| # taz.de -- Umgang mit 40 Jahren Deutscher Herbst: So sehen junge Linke die RAF | |
| > Welche Bedeutung haben Baader, Meinhof und Ensslin für radikale Linke | |
| > heute? Zwei Protokolle über den Einfluss der RAF auf die Politisierung. | |
| Bild: Wie weit darf Protest gehen? Randale beim G20-Gipfel in Hamburg | |
| Protokoll 1: Timon Simons heißt eigentlich anders. Der 39-jährige Linke ist | |
| aktiv in der Bremer Gruppe des „… ums Ganze! Bündnis“. | |
| Wenn man so will, bin ich ein Kind des Deutschen Herbstes. Ich bin im | |
| Oktober 1977 in Bremen geboren und der erste in meiner Familie, der Abitur | |
| hat. Meine Politisierung begann eigentlich im Konfirmandenunterricht. Meine | |
| Eltern haben mich damals dorthin geschickt mit der Ansage: Nimm das alles | |
| nicht zu wörtlich. Denk dir deinen Teil selber dazu. Für mich war das ein | |
| Moment, der vieles grundsätzlich in Frage gestellt hat. Ich habe nach | |
| Antworten gesucht und in meinem Alltag keine gefunden. | |
| Ich habe angefangen nach Leuten zu suchen, mit denen ich reden und | |
| diskutieren konnte. Ich wollte verstehen: Wie funktioniert unsere | |
| Gesellschaft und wie konnte so ein Staat wie die DDR entstehen? | |
| Erst habe ich es bei den Autonomen versucht, aber die wollten nicht | |
| inhaltlich schnacken. Irgendwann bin ich bei der PDS gelandet. | |
| Vermutlich bin ich auf die RAF das erste Mal in der Schule gestoßen. Die | |
| RAF existierte Anfang der 1990er Jahre ja auch noch. So lange es sie gab, | |
| ging es in der radikalen Linken vor allem darum, wie man sich zu ihr | |
| positionierte. | |
| Es gab so etwas wie einen Zwang: Wie, du bist nicht solidarisch mit den | |
| RAF-Gefangenen? Dann bist du gegen uns. Das war ein sehr unangenehmes | |
| Gefühl. | |
| Ich glaube, unbewusst und indirekt beschäftigen sich alle radikal Linken | |
| mit der RAF. Die radikale Linke von heute ist letztendlich auch ein Produkt | |
| der Debatten aus den 1980er und 1990er Jahren. Da gab es ganz | |
| unterschiedliche Pole: Die K-Gruppen, die RAF, die Autonomen und die | |
| Grünen. Die Art und Weise wie die radikale Linke heute Politik betreibt ist | |
| eine Folge dieser Zeit. | |
| Nach dem Bruch von 1989/90 begann vor allem eine Phase der selbstkritischen | |
| Aufarbeitung. Da entstand auch eine kritische Beschäftigung mit der RAF. | |
| Zum Beispiel mit ihren Bezügen auf antisemitischen Antizionismus oder | |
| nationale Bewegungen. | |
| Wenn ich mir im Nachhinein anschaue, was die RAF gemacht hat, denke ich: | |
| politisch, inhaltlich und strategisch bescheuert. Emotional kann ich die | |
| erste Generation der RAF verstehen. Diese Ablehnung der | |
| Nazi-Elterngeneration. Dieser Wunsch nach 1968 weiterzumachen. Die Umstände | |
| waren aber auch ganz andere: Die radikale Linke vor 1989 ist davon | |
| ausgegangen – und hatte dafür auch subjektiv gute Gründe – dass die sozia… | |
| Revolution nahe sei. Jedenfalls in Westeuropa glaubt das heute niemand | |
| mehr. Trotzdem ist es natürlich immer noch nötig, diese Gesellschaft | |
| revolutionär zu überwinden. Diese Gesellschaft ist auf Ausbeutung angelegt. | |
| Eine Linke, die sich grundsätzlich von Gewalt distanziert, ist eine | |
| sozialdemokratische Linke. Ich bin Kommunist, ich will diese Gesellschaft | |
| überwinden. | |
| Für mich ist Gewalt keine Moralfrage, sondern eine taktische. Mich | |
| interessiert: Passt das gewählte Mittel inhaltlich zum Zweck meiner | |
| Politik? | |
| Man kann aus der Geschichte der RAF verschiedene Lehren ziehen. Nämlich: So | |
| wie es stattgefunden hat, darf es nicht noch mal stattfinden. Also diese | |
| Verselbstständigung, dass sich ein kleiner militanter Kreis politisch | |
| völlig von den anderen sozialen Bewegungen abkoppelt. Andererseits hat die | |
| RAF auch gezeigt, dass es ab einem bestimmten Grad sozialer Kämpfe nicht | |
| nur nötig sondern möglich ist. Das ist auch eine wertvolle Erkenntnis. | |
| Die heutige radikale Linke ist schwächer als sie vielleicht von außen | |
| aussieht. In den 1970er und 80er Jahren gab es eine Vielzahl sozialer | |
| Bewegungen und eine ungleich größere Linke. Und die radikale Linke hat | |
| versucht, ein Katalysator für diese Bewegungen zu sein. | |
| Heute ist das gesellschaftliche Kräfteverhältnis ein ganz anderes. Es gibt | |
| zwar aufsehen erregende Aktionen wie beim G20-Gipfel im Hamburger Hafen. | |
| Vielmehr aber meist auch nicht. Das Schöne ist, dass trotzdem noch so viele | |
| Leute zusammenkommen. Aber es fehlt ein gesellschaftlicher Resonanzraum. | |
| Ich finde es gut, immer wieder mit der RAF konfrontiert zu werden. Sie | |
| gehört zu der Geschichte der Linken dazu. Ich muss zu ihr eine Position | |
| haben. Ich kann mich nicht linkspolitisch betätigen, wenn ich dazu keine | |
| Meinung habe. Das ist nicht aus Blödheit passiert. In einer konkreten | |
| historischen Situation haben Leute bestimmte Dinge gemacht. Und damit es | |
| sich so nicht wiederholt, ist es nötig, sich damit auseinanderzusetzen. Um | |
| es beim nächsten Mal besser zu machen. Wenn die Linke darauf immer wieder | |
| gestoßen wird und ihre einzige Reaktion ist, dass sie von der Debatte | |
| genervt ist, dann ist das ein Zeichen von inhaltlicher Unsouveränität. | |
| * * * | |
| Protokoll 2: Maria Schmidt heißt eigentlich anders. Die 26-Jährige studiert | |
| Jura in Berlin, sie ist antifaschistisch aktiv und macht | |
| Jugendbildungsarbeit. | |
| Im Laufe meines Lebens und meiner politischen Sozialisierung hat die RAF | |
| unterschiedliche Rollen gespielt. In meiner Teenie-Antifa-Clique an der | |
| Schule war die RAF schon ein emotionales Thema. Wir haben darüber | |
| gestritten, was wir von der personifizierten Kapitalismuskritik der RAF | |
| halten, und natürlich darüber, ob es legitim sein kann, aus politischen | |
| Gründen Gewalt gegen Menschen einzusetzen. | |
| Ich komme aus einem Juristen-Elternhaus, in dem es eine ganz starke | |
| Rechtsstaatromantik gibt, da war alleine das Thema RAF schon eine riesige | |
| Provokation. Für mich selbst war das schwierig, damit einen Umgang zu | |
| finden: Mit diesem positiven RAF-Bezug konnte ich selbst wenig anfangen, | |
| aber mit der Rechtsstaatverklärung meiner Eltern auch nicht. | |
| Später habe ich mich dann ganz bewusst aus dieser linken Traditionslinie | |
| herausgenommen. Der brutale und bis heute nicht gut aufgearbeitete | |
| Antisemitismus der deutschen Linken in der zweiten Hälfte des 20. | |
| Jahrhunderts war für mich ein Grund, mich davon ganz klar abzugrenzen, | |
| dafür, mit diesem Teil linker Geschichte nichts zu tun haben zu wollen. | |
| Heute sehe ich das etwas differenzierter. Ich glaube, man macht es sich zu | |
| einfach, wenn man so tut, als würde dieser Teil linker Geschichte für einen | |
| selbst keine Rolle spielen. Ich denke, dass man sich damit beschäftigen | |
| muss. Es gibt unter Linken ein Unbehagen, sich mit der Geschichte linker | |
| Gewalt zu beschäftigen, das gilt auch für andere Themen, den Stalinismus | |
| beispielsweise oder die DDR. Ich glaube, das liegt auch daran, dass genau | |
| diese Themen natürlich oft für Angriffe gegen Linke genutzt werden. | |
| Es verlangt einem intellektuell viel ab, die eigenen politischen | |
| Überzeugungen gegen diese Angriffe zu verteidigen, ohne dabei ungewollt in | |
| die Rolle zu rutschen, Dinge zu verteidigen, von denen man sich selbst | |
| abgrenzt – etwa den ganz plumpen, moralisch aufgeladenen Antikapitalismus, | |
| den die RAF zum Teil gepflegt hat. Deshalb meiden insbesondere junge Linke | |
| oft diese Themen, weil sie Angst haben, dort argumentativ nicht bestehen zu | |
| können. | |
| In meinem Freundeskreis oder auf Plena taucht das Thema RAF ab und an schon | |
| auf, aber eigentlich immer nur als Negativfolie für die eigene Abgrenzung. | |
| Dazu kommt natürlich, dass das, was die RAF gemacht hat – sich bewaffnen, | |
| in den Untergrund gehen, Menschen töten – für uns einfach sehr weit weg | |
| ist. | |
| Dennoch würde ich sagen, dass Linkssein in der BRD ohne Bezugnahme und | |
| Auseinandersetzung auf die RAF nicht möglich ist. Als Person mit | |
| linksradikalem Selbstverständnis ist man immer wieder in Rechtfertigungsnot | |
| wegen den Morden der RAF und muss sich die Frage gefallen lassen, wie man | |
| deren linkes Erbe mitträgt. Auch deswegen finde ich, dass Linke sich viel | |
| mehr mit ihrer eigenen Geschichte – gerade auch der jüngeren und gerade | |
| auch der gewalttätigen – auseinandersetzen sollten. | |
| 8 Oct 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Gesa Steeger | |
| Malene Gürgen | |
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