| # taz.de -- Als der Bremer Senat in die Knie ging: Eine Woche, die Bremen verä… | |
| > Die Straßenbahnunruhen im Januar 1968 haben die noch obrigkeitsstaatlich | |
| > tickende Bremer SPD völlig überrascht – und eine lebendige | |
| > Zivilgesellschaft angekündigt. | |
| Bild: Kräftemessen: Bremer Schüler*innen gegen den Senat | |
| BREMEN taz | Nach einer Woche waren die großen Bremer Straßenbahn-Proteste | |
| vor 50 Jahren eigentlich schon wieder vorbei: Der Senat hatte beschlossen, | |
| dass es keine Fahrpreiserhöhungen geben sollte, und auch der damalige | |
| Polizeipräsident Erich von Bock und Polach blieb im Amt – noch sechs lange | |
| Jahre. Das kurze Kräftemessen zwischen den aufmüpfigen SchülerInnen und dem | |
| politischen Establishment hatte die Stadt dennoch nachhaltig verändert. | |
| Trotz aller handfesten Gewalt – von Seiten der SchülerInnen, die | |
| Straßenbahnen entkoppelten und auch einzelne Scheiben einschlugen – und von | |
| Seiten der Polizei („Draufhauen! Nachsetzen!“) war es vor allem das | |
| symbolische Ereignis, das Bremen veränderte: Der Senat war, nachdem er drei | |
| Tage lang versucht hatte, „Stärke“ zu demonstrieren, in die Knie gegangen. | |
| In Bremen war etwas auf den Plan getreten, das man später als | |
| „Zivilgesellschaft“ bezeichnen sollte. Die obrigkeitsstaatliche Politik | |
| hatte sich blamiert. | |
| Das wird auch deutlich in einem Leserbrief im Weser-Kurier vom 20. 1. 1968: | |
| Nicht nur die Polizei habe sich „lächerlich gemacht“. „Das wäre noch zu | |
| verkraften“, schreibt da ein Jürgen Schmundt, sondern auch der sich gerade | |
| zwei Monate im Amt befindliche neue, junge Bürgermeister Hans Koschnick. | |
| Der Leserbrief verweist auf den markigen Ausspruch Koschnicks: „Wir können | |
| uns nicht erpressen lassen“, den der Weser-Kurier auf Seite eins an | |
| hervorgehobener Stelle gedruckt hatte – fast wie eine hoheitliche | |
| Verlautbarung, ohne Kommentar. Über den Weser-Kurier hatte Koschnick die | |
| Bevölkerung aufgefordert, „Ruhe zu bewahren“ und die Polizei zu | |
| unterstützen. Obrigkeitsstaatlicher geht es nicht. Auf den | |
| Leserbriefschreiber Schmundt wirkte Koschnick so: „Der Umgang mit der Macht | |
| hat seinen Blick bereits so getrübt, dass er die Belange der Bevölkerung, | |
| insbesondere der Jugend … nicht mehr zu verstehen vermag.“ | |
| Wenige Tage später knickte Koschnick ein, ließ sich also „erpressen“, um … | |
| seiner Gedankenwelt zu bleiben. Es ging vordergründig um 650.000 Mark | |
| zusätzlicher Subventionen für die sowieso subventionierte Bremer | |
| Straßenbahn. Im Grunde ging es aber um das Verhältnis des Staates zu seinen | |
| Bürgern. | |
| Obwohl die Preiserhöhungen um sieben Pfennig für die Schülertickets – | |
| immerhin waren das damals 20 Prozent – nicht gerade moderat waren, hatte | |
| die BSAG Recht, als sie feststellte, es ginge den SchülerInnen eigentlich | |
| nicht um diese Preiserhöhung. Der Protest war viel grundsätzlicher: Als im | |
| Herbst 1967 der „Unabhängige Schülerbund“ (USB) gegründet wurde, da ging… | |
| zum Beispiel um die Abschaffung der Schulstrafen und die Zivilisierung des | |
| Lehrer-Schüler-Verhältnisses. Der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Robert | |
| Bücking etwa war damals einer jener Schüler, die Klassenbücher klauten, er | |
| flog von der Schule, weil er ein Plakat mit der Aufschrift „Schluss mit der | |
| Onanie am Lehrerpult“ ausgehängt hatte. | |
| Hermann Rademann, der rhetorische Kopf der Proteste, hatte ein „Plädoyer | |
| für eine menschenfreundliche Sexualmoral“ formuliert und forderte | |
| „Nachhilfeunterricht in Liebeserziehung“. Im Fernsehen hatten die | |
| SchülerInnen die Bilder von den Berliner Studentenunruhen gesehen – von den | |
| „Jubelpersern“, die beim Schah-Besuch unter den Augen deutscher Polizisten | |
| auf Studenten einprügeln durften. | |
| Die Autorität der Polizei ging zu Bruch – erst im Fernsehen, dann am 18. 1. | |
| 1967 auf dem Bremer Marktplatz. Zu Weihnachten 1967 hatten Schüler aus | |
| gutbürgerlichem Hause vor dem Bremer Dom gegen „diese unerträgliche | |
| Parallelität von Krieg und Elend in der Welt und diesem Glöckchengeklingel | |
| zu Hause“ protestiert, auf Plakaten stand: „Napalm – Lichterglanz über | |
| Vietnam“. Dombauherr Henry Lamotte verbot daraufhin das Verteilen von | |
| Flugblättern und Demonstrationen auf den Domtreppen. | |
| Bremens junger Bürgermeister Hans Koschnick hatte in seiner | |
| Regierungserklärung kurz zuvor noch mutig festgestellt, dass „die junge | |
| Generation und nicht nur die Studentenschaft von einer nicht | |
| unbeträchtlichen Unruhe über den Zustand unserer Gesellschaft befallen ist. | |
| Das ist auch meine Meinung. … Wir müssen erkennen, dass die junge | |
| Generation, auch die junge Studentenschaft, recht hat …“ Vier Wochen später | |
| hatte ihn dann offenbar der Mut verlassen. | |
| In der lokalen Presse hat der gesellschaftliche Aufbruch, der sich mit den | |
| Schülerprotesten ankündigte, damals kein Forum gefunden. Die SchülerInnen | |
| tauschten ihre Meinungen über selbstgedruckte Flugblätter und Zeitungen | |
| aus, auch deswegen war der Protest gegen die Zensur der Schülerzeitungen so | |
| massiv. Über das neue Medium Fernsehen hatten die protestierenden Schüler | |
| ihr Wissen über den schmutzigen Krieg in Vietnam erhalten. Über die | |
| Musikkultur des Beat und Rock wurde auch in Bremen ein aufmüpfiges neues | |
| Lebensgefühl verbreitet, das dann 1969 in dem Film „Ich bin ein Elefant, | |
| Madame“ des Bremer Theater-Regisseurs Peter Zadek einen wunderbaren | |
| Ausdruck fand. | |
| 29 Jan 2018 | |
| ## AUTOREN | |
| Klaus Wolschner | |
| ## TAGS | |
| Senat Bremen | |
| Hans Koschnick | |
| Schwerpunkt 1968 | |
| Schwerpunkt 1968 | |
| Rote Armee Fraktion / RAF | |
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