| # taz.de -- 40 Jahre Deutscher Herbst: Von Anschlag zu Anschlag dümmer | |
| > Was hat die RAF erreicht? Nicht viel. Sie hat keine eigene Idee | |
| > entwickelt und keine Dialektik von Scheitern und Erkenntnis in Gang | |
| > gesetzt. | |
| Bild: Der Tatort in Köln, an dem RAF-Mitglieder den Arbeitgeberpräsidenten Ha… | |
| Die RAF war, so eine These, eine Figurengruppe aus einem bundesdeutschen | |
| Familienroman. Das Kapitel, das sie schrieb: die extremste Geste von | |
| Verachtung gegenüber der schuldig gewordenen Elterngeneration. Die | |
| Hinrichtung des Ex-SS-Mannes Hanns Martin Schleyer 1977 war so gesehen ein | |
| symbolischer Vatermord. | |
| In der Tat war die frappierende Kontinuität der Eliten zwischen NS-Regime | |
| und Bundesrepublik ein Motiv für den Linksterrorismus. Und mehr noch der | |
| Vietnamkrieg, mit dem die USA die neue Autorität der postfaschistischen | |
| Republik als moralisches Vorbild diskreditiert hatte. | |
| Allerdings hatte das Verhältnis der Militanten zum Nationalsozialismus von | |
| Beginn an etwas Flirrendes. So kämpfte die RAF gegen die USA, wurde von | |
| radikalen Palästinensern unterstützt und hatte somit teilweise die gleichen | |
| Feinde wie die Elterngeneration. 1972 adelte Ulrike Meinhof den Anschlag | |
| auf israelische Sportler in München durch palästinensische Terroristen als | |
| „antiimperialistisch, antifaschistisch und internationalistisch“. | |
| Die dröhnenden Sieg-oder-Tod-Reden klangen wie Kampfaufrufe der SS. Und war | |
| der Untergang in Stammheim im Oktober 1977 kein fernes Echo des Untergangs | |
| im Führerbunker im Mai 1945? Nein, die RAFler waren keine Wiedergänger der | |
| Nazis, wie es manchen SPD-Ministern 1977 erschien, aber erst recht keine | |
| antifaschistischen Racheengel. | |
| ## Die RAF bot Drama, Gewalt, Aktion, Todesnähe | |
| So oder so – in jeder Lesart erscheint die RAF als Autor eines | |
| spektakulären Kapitels der kollektiven deutschen Familientragödie. Deshalb | |
| galt sie als bedeutend, deshalb fesselte sie. Es gelang einem Dutzend | |
| selbst ernannter Revolutionäre die Aufmerksamkeit zu mobilisieren. Dem | |
| Historiker Walter Laqueur erschienen Baader & Co als „Superunterhalter | |
| unserer Zeit“. Die RAF bot, was die papierne Politik und auch die linken | |
| Bewegung mit ihren Demonstrationen, Kinderläden und Kneipenkollektiven | |
| nicht hatten: Drama, Gewalt, Aktion, Todesnähe. | |
| Wenn man heute jedoch in den Texten, Kommandoerklärungen und Kassibern der | |
| RAF blättert, zeigt sich ein anderes Bild: Das Flair von Bedeutsamkeit und | |
| tragischem Aufstand einer Generation ist ausgewaschen. Die RAFler | |
| erscheinen in ihren eigenen Texten nicht als revoltierende Kinder von | |
| Hitler – sondern als Geistesverwandte Stalins. Sie verstanden sich von | |
| Beginn an als Kadertruppe, die sich aus dem Fundus des dogmatischen | |
| Leninismus bedienten. Nach innen herrschte eine stählerne Kommandostruktur. | |
| Sie erklärten sich in atemberaubender Anmaßung zur Avantgarde des | |
| Proletariats und entwickelten einen Fetisch um Andreas Baader, der wie eine | |
| schräge Imitation des Personenkults kommunistischer Diktaturen wirkte. | |
| Das alles verklammernde Konzept war eine kanonisierte Imperialismustheorie, | |
| die die Welt übersichtlich in gut und böse sortierte. Demnach war der | |
| Hauptfeind die USA samt Verbündeter, die die RAF an der Seite Nordvietnams | |
| und anderer meist orthodox kommunistischer Bewegungen und Regime in einem | |
| globalen Krieg bekämpfte. So viel anders klang das auch an | |
| SED-Parteihochschulen nicht. | |
| Dass die zweite RAF-Generation in den 80er Jahren zwischen Schwerin und | |
| Eisenhüttenstadt Unterschlupf fand – Bonnie & Clyde im VEB – war so gesehen | |
| naheliegend. Manés Sperber, in den 30er Jahren KPD-Mitglied, später | |
| entschiedener Antistalinist, fällte 1974 ein ambivalentes Urteil über | |
| Baader & Meinhof. „Das Malheur der RAF ist, dass das Ziel die Mittel | |
| heiligt. Die schändlichen Mittel haben das Ziel verschandelt und zerstört. | |
| Das ist das typische Ereignis dieses Jahrhunderts.“ | |
| In dieser tragischen Denkfigur zerstörte der Griff zur Waffe den moralische | |
| Impuls der Militanten. Doch davon konnte man nur in der Frühphase reden, | |
| als die RAF Bomben in US-Kasernen legte. Mit dem Abzug der USA aus Vietnam | |
| nach 1973 kam der RAF nämlich das politische Ziel abhanden. Gleichzeitig | |
| verwandelte sie sich in eine Organisation, deren Ziel sie selbst wurde: die | |
| Befreiung ihrer Gründungsmitglieder. Damit endete die Spannung zwischen | |
| Ziel und Mittel. Die Gewalt wurde Selbstzweck. | |
| 1971, bevor die Gewaltspirale vollständig in Gang gekommen war, erklärte | |
| die RAF: „Wir behaupten, dass die Organisierung von bewaffneten | |
| Widerstandsgruppen zu diesem Zeitpunkt in der Bundesrepublik und Westberlin | |
| richtig ist, möglich ist, gerechtfertigt ist. Unsere Praxis ist kein Jahr | |
| alt. Die Zeit ist zu kurz, um schon von Ergebnissen reden zu können.“ | |
| Dieses Reflexionsniveau erreichte die RAF bis zu ihrer Selbstauflösung 1998 | |
| nicht wieder. Denn hier glimmte, wenn auch schwach, die Möglichkeit der | |
| Selbstrevision, der Erkenntnis, dass sich die Guerilla auch als Sackgasse | |
| erweisen könnte. | |
| Doch die Gewaltpraxis zerstörte jede Reflexion. Das Flüssige härtete aus, | |
| das Bewegliche erstarrte. Je mehr Polizisten starben, je mehr eigene | |
| Fighter zu Märtyrern stilisiert wurden, desto mehr galt jeder Anflug von | |
| Kritik als Verrat. Die RAF verschanzte sich in dem schwarzen Traum, | |
| ebenbürtiger Kriegsgegner der Bundesregierung zu sein. Dafür | |
| instrumentalisierte die RAF-Spitze alles – ihre Anwälte und Sympathisanten, | |
| schließlich in Stammheim auch den eigenen Tod, den Baader, Ensslin und | |
| Raspe als Mord der faschistischen Bundesrepublik inszenierten. | |
| Die RAF wurde von Anschlag zu Anschlag dümmer, ihre Politik | |
| selbstbezüglicher. Genau genommen ist es ein Euphemismus von RAF-Politik zu | |
| sprechen; vielmehr entfesselte sie eine Vendetta gegen Staat und Eliten. | |
| Die Ziele verschwanden in den rhetorischen Nebelschwaden eines abstrakten | |
| Antiimperialismus, in dem die Militanten als Kämpfer einer fiktiven | |
| Weltrevolution firmierten. Die Gruppe war personell und gedanklich mit der | |
| Bewegung von 1968 verknüpft. Von diesem Kredit lebte sie eine Weile. Doch | |
| gründlicher als sie hat niemand den offenen, antiautoritären Impuls von | |
| damals ins Gegenteil verkehrt. | |
| ## Fußnote der Zeitgeschichte | |
| Was hat die RAF bewirkt? Nicht viel. Trotz ein paar hysterischer Ausschläge | |
| haben die Attentate die politische Architektur der Republik nicht | |
| verändert. Für die Gesellschaft waren andere Ereignisse in den 70er und | |
| 80er Jahren prägender – von der Reform des Scheidungsrechts über die | |
| Lohnerhöhungen, von Bafög und Gesamtschulen bis zur Entspannungspolitik. | |
| Verglichen mit dem, was die Frauenbewegung bewirkte, ist die RAF eine | |
| Fußnote der Zeitgeschichte. Die RAF hat neben fast drei Dutzend Toten einen | |
| Wust von kaum lesbaren Texten hinterlassen. Sie hat keine eigene Idee | |
| entwickelt und keine Dialektik von Scheitern und Erkenntnis in Gang | |
| gesetzt. Sie war die Reinszenierung des kommunistischen Dramas, das Sperber | |
| skizzierte – als Farce und blutige Burleske. Sie war ein leeres Projekt. | |
| Das war das einzig Tragische an ihr. | |
| 3 Sep 2017 | |
| ## AUTOREN | |
| Stefan Reinecke | |
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