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# taz.de -- Ex-RAFler Klaus Jünschke: Er ist rausgekommen
> Klaus Jünschke kämpfte für die RAF, wurde zu lebenslänglich verurteilt
> und saß in Isolationshaft. Heute kämpft er für benachteiligte Kinder.
Bild: Jugendarrest in Wetter (NRW). Klaus Jünschke fordert die gänzliche Absc…
„Den Körper zur Waffe machen“, eine Form des Widerstandes, an der sich
Klaus Jünschke einst beteiligte. Er überlebte sieben Hungerstreiks, „wir
waren ja sonst gegen die Haftbedingungen absolut wehrlos“, blickt er
zurück. Während eines Protestes fiel er ins Koma und musste in eine Klinik
ausgeflogen werden. Heute ist sein Körper zu schwach, um noch eine Waffe zu
sein. Der 65 -Jährige hat Krebs, erst vor wenigen Wochen wurde er aus dem
Krankenhaus entlassen. Wenn er darüber spricht, dann hält er manchmal kurz
inne, so erschöpft ist er von allem.
Jünschke sitzt in einem Büro des Kölner Appells, einer Initiative, bei der
er sich seit 1990 für Projekte gegen Rassismus und für Kinder ausländischer
Eltern engagiert, es werden Deutschkurse und Hausaufgabenhilfen angeboten.
Dass er nun hier ist, ist keine Selbstverständlichkeit – immerhin war er
einst ein Staatsfeind, wurde 1971 inhaftiert und sollte eigentlich niemals
wieder rauskommen. Er gehörte zur ersten Generation der RAF-Terroristen.
Doch darüber will er nicht sprechen, sagt er vorab am Telefon. Viel
wichtiger, betont er immer wieder, sei seine heutige Arbeit und vor allem
sein Engagement gegen den Jugendarrest und für sozial Schwache.
In dem Büro dann redet der Sozialwissenschaftler doch ausgiebig von seiner
Vergangenheit, ohne dass man ihn danach fragt. Immer wieder kommen Kinder
in das Zimmer, Jünschke kennt alle beim Namen. Es ist Mittag, Schulschluss.
Ob die Kinder von seiner Vergangenheit wissen? „Wenn sie mich danach
fragen, dann erzähle ich es ihnen auch“, sagt er. Die Kinder, so sagt er,
die geben ihm Kraft. Die seien unvoreingenommen, die haben keine Angst vor
ihm.
Als 24-Jähriger schloss er sich 1971 der RAF an, schon bald verlor er die
Freiheit, für die er doch kämpfte. Das Gericht ging davon aus, dass er mit
Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe 1971 eine Bank in
Kaiserslautern überfallen hatte, wobei der Polizist Herbert Schoner
erschossen wurde. Als der vorsitzende Richter ihn im Gerichtssaal
unterbrach, sprang er über den Tisch, warf den Richter zu Boden und schrie:
„Für Ulrike, du Schwein!“
## Rückendeckung vom Ex-Minister
Jünschke wurde 1977 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Dabei
konnte ihm nicht einmal nachgewiesen werden, am Tatort gewesen zu sein. Wer
geschossen hat, was genau geschah, über Details spricht Jünschke bis heute
nicht. Wie alle Gefangenen der Baader-Meinhof-Gruppe kam er in „strenge
Einzelhaft“, isoliert von allem und jeden. Als er nach sieben Jahren
erstmals beim Hofgang auf 400 Männer traf, bekam er Platzangst.
Natürlich hat ihn diese Zeit zu einem anderen Menschen gemacht. Die Angst,
die ist ihm geblieben. Manchmal überfällt sie ihn, dann muss er sie
aushalten, bis die Unruhe wieder verschwunden ist. Bis heute quälen ihn
Kreislaufprobleme. „Dann habe ich das das Gefühl, meine ganzen Adern und
Venen sind aus Glas“, schildert er unaufgeregt. „Genau wie uns Ehemalige
die RAF ein Leben lang begleiten wird, genauso müssen wir mit den
Haftfolgen leben“, sagt er.
Die drei letzten Hungerstreiks machte er nicht mehr mit, weil er sich schon
damals von dem Linksterror distanziert hatte. Erstmals 1986 forderte er
seine Genossen in einem offenen Brief auf, die Waffen niederzulegen. Zwei
Jahre später wurde er vom rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten
Bernhard Vogel (CDU) begnadigt und aus der Haft entlassen. Der Staat, den
er einst bekämpfte, der gewährte ihm nun Gnade.
## Rebellion während des Studiums
Geboren 1947 in Mannheim, engagierte er sich bei den christlichen
Pfadfindern, machte sein Abitur und wurde Wehrdienstverweigerer. Ein
Durchschnittsleben eines Durchschnittsjugendlichen. Jünschke wurde während
des Psychologiestudiums Mitglied im Sozialistischen Patientenkollektiv SPK,
das sich für eine klassenlose Gesellschaft einsetzt.
Dann die RAF, die er heute als gescheitert empfindet. „Aus
Befreiungskämpfern wurden Verbrecher“, sagt er. Nur noch mit Manfred
Grashof, der damals mit ihm im Gefängnis saß, hat er noch Kontakt, die
anderen seien unbekannt verzogen oder lebten nicht mehr. Mit Christiane
Ensslin, der Schwester des in Stammheim gestorbenen RAF-Mitglieds Gudrun
Ensslin, ist er verheiratet.
Für Gerhart Baum ist Jünschke ein Vorbild. Der ehemalige
FDP-Bundesinnenminister (1978 bis 1982) kennt Jünschke aus der Zeit, als
dieser noch Freigänger war und sie gemeinsam bei einer öffentlichen
Veranstaltung diskutierten. Es war die Zeit, als die Mehrheit der Deutschen
unter Eindruck der RAF-Gewaltwelle die Todesstrafe befürwortete. Für den
Juristen Baum war das keine verhandelbare Frage. „Die Mehrheit kann nicht
der Maßstab sein“, sagt er, der seitdem Jünschkes Arbeit unterstützt. So
spendete er 3.000 Euro an den Kölner Appell. „Ich habe unheimlichen Respekt
vor seiner Arbeit“, sagt Baum.
Aus dem Gefängnis entlassen, ging Jünschke bald wieder in eines zurück.
Seit 1993 redet er einmal im Monat mit den Gefangenen in der
Jugendvollzugsanstalt in Köln-Ossendorf. Es ist das Gefängnis, in dem auch
die NSU-Terroristin Beate Zschäpe einsitzt. Warum geht er, der 16 Jahre
eingemauert war, da heute noch freiwillig hin? „Ich weiß, wie wichtig
Gesprächspartner sind, die wissen, was da abgeht“, sagt Jünschke, der auch
im Gefängnisbeirat sitzt. „Ich schaue, wie weit ich helfen kann, man kann
ja niemanden die Zeit, die er absitzen muss, abnehmen.“ Auch die Männer im
Gefängnis erfahren erst von seiner Vergangenheit, wenn sie danach fragen.
„Ich bin halt kein Berufsterrorist“, wiederholt er immer wieder. „Die RAF
war nur ein kurzer Teil meines Lebens.“
Natürlich sei es etwas Besonderes, wenn ein ehemaliges Mitglied der RAF im
Anstaltsbeirat sitzt, sagt Wolfgang Schriever: „Aber er macht eine sehr,
sehr gute Arbeit, bringt unheimlich viel Herzblut mit ein“, sagt der
stellvertretende Anstaltsleiter. Jünschke ließe aber auch durchaus
erkennen, dass er kritisch gegenüber dem Gefängnis und den dortigen Regeln
sei.
Machtspiele und Gewalt dort, wo eigentlich die Resozialisierung beginnen
sollte: Es sind Eindrücke wie diese, die Jünschke an der erzieherischen
Wirkung des Strafvollzugs für 14- bis 21-Jährige zweifeln lassen. Die
Jugendlichen würden im Gefängnis sich selbst und der Langeweile überlassen.
Deswegen hat er eine radikale Forderung: die Abschaffung des
Jugendstrafvollzugs. Eine Alternative zum Gefängnis sieht Jünschke im
sogenannten Täter-Opfer-Ausgleich. Dabei sitzen sich Täter und Opfer
gegenüber, sprechen über Schuld, Scham und Wut. „Gerade Jugendliche lernen
dabei, sich in die Lage der Opfer zu versetzen und Empathie zu zeigen“,
sagt er.
## Von Reichtum und Kriminalität ablenken
Diskussionen über kriminelle Jugendliche sollen über den Zusammenhang von
Reichtum und Kriminalität ablenken, findet Jünschke. Immer wieder kommen
Kinder in das Büro, wollen in dem Raum ihre Hausaufgaben machen, er
unterbricht dann kurz, manchmal verliert er die Gesprächsorientierung,
spricht dann langsamer, stockt, holt aus zu einer Lektion über die
Ungerechtigkeiten in dieser Welt, redet von Armut, von Reichtum, von
Hungertoten, von Ausbeutung.
Die Wut auf die Gesellschaft, die ist ihm geblieben. Auch die Wut auf
Stefan Aust. Sie schweigen wie ihre Väter, das habe der ehemalige
Spiegel-Chefredakteur und RAF-Chronist den einstigen RAFlern vorgeworfen.
„Das stimmt doch gar nicht, fast jeder von uns hat ein Buch geschrieben“,
sagt Jünschke sichtlich angewidert von Aust und schiebt hinterher: „Stefan
Aust will sein eigenes Leben legitimieren, das er geführt hat.“ Nun wird es
etwas ruhiger in den Räumen nebenan, die Kinder sitzen vor den Rechnern und
schauen sich ihre Facebookseiten an.
Im Dezember beschloss die Bundesregierung einen Gesetzentwurf, der die
Sicherungsverwahrung für Jugendliche mit „besonderer Gefährlichkeit“
vorsieht. Als „Sanktionen, die von den Nationalsozialisten 1933 für
Erwachsene eingeführt wurden“, bezeichnet Jünschke den Entwurf, mit dem der
„Staat soziales Konfliktpotenzial schafft“. Schon die Rückfallquote zeige,
wie wenig effektiv Jugendgefängnisse seien. „Diese Gesellschaft lässt sich
durch die Integration der Randgruppen verändern und nicht über das
Abknallen von Spitzen aus Wirtschaft, Politik und Militär“, schrieb
Jünschke bereits 1986 in seinem offenen Brief an die RAF.
Er ist aufgewühlt, wenn er über die Vergangenheit und die Gegenwart
spricht, immer wieder kommt er auf die RAF zu sprechen. Der einstige
Staatsfeind, der Linksradikale und Menschenrechtler ist aber schwach
geworden, er muss im Gespräch manchmal ein wenig pausieren. „Den Körper zur
Waffe machen“, das kann und will er heute nicht mehr. Dennoch, sein
politischer Kampf ist noch nicht beendet.
7 Feb 2013
## AUTOREN
Cigdem Akyol
Cigdem Akyol
## TAGS
Terror
Rote Armee Fraktion / RAF
Radikale Linke
Rote Armee Fraktion / RAF
Rote Armee Fraktion / RAF
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