# taz.de -- Ex-RAF-Mitglied über Gefängnisskandal: "Ein Zellengefängnis ist … | |
> In der JVA Gelsenkirchen wurden zwei Männer wochenlang gequält. Der | |
> Journalist Klaus Jünschke sagt, dass die Knast-Strukturen Gewalt nicht | |
> abbauen. Die Zelle gehöre abgeschafft. | |
Bild: Klaus Jünschke: "Das jetzige Zellengefängnis ist geprägt von strukture… | |
taz: Herr Jünschke, die Misshandlungsvorwürfe von Gelsenkirchen, der | |
Foltertod in Siegburg: Woher kommen solche Grausamkeiten von Häftlingen | |
untereinander? | |
Klaus Jünschke: Gewalt in Gefängnissen gibt es, seit es das Gefängnis gibt. | |
Trotzdem: Solche brutalen Taten, die nicht kleingeredet werden dürfen, sind | |
Ausnahmen im Alltag des Gefängnisses. Der Alltag ist vielmehr geprägt von | |
Menschen, die interessiert sind, dass sie möglichst schnell wieder | |
rauskommen. Dazu gehört, dass man einigermaßen ruhig mit sich und den | |
anderen umgeht. Allerdings wirkt das Gefängnis nicht Gewalt abbauend. | |
Gefängnis fördert Gewalt? | |
Wir leben in einer Welt, in der es asymmetrische Sozialbeziehungen gibt. | |
Dadurch entsteht Gewalt. Gefangene, die wegen Gewalttaten einsitzen, sind | |
als Kinder selbst Opfer maßloser Brutalität und Misshandlung gewesen. Aber | |
das Gefängnis macht sie bestimmt nicht besser. Es gibt Menschen, deren | |
Bewegungsfreiheit eingeschränkt werden muss, weil sie zu einer Gefahr für | |
sich oder andere geworden sind. Der Punkt ist jedoch, dass, was dann in den | |
Strafanstalten mit ihnen geschieht, nicht das ist, was nötig wäre, um diese | |
jahrelange Verwahrlosung und Brutalisierung aufzuarbeiten. | |
Was läuft falsch? | |
Das jetzige Zellengefängnis ist eine Institution, die geprägt ist von | |
struktureller Gewalt. Die Gefangenen unterliegen einem besonderen | |
Gewaltverhältnis, in dem sie bisweilen 23 Stunden am Tag in Zellen | |
eingesperrt werden, manche nicht nur für ein paar Tage, sondern über Jahre. | |
Wenn Leute sich selbst überlassen sind und sich langweilen, können sie auf | |
die verrücktesten Ideen kommen, zum Beispiel jemanden zu quälen. | |
Das Problem ist das Zellensystem? | |
Die Unterbringung in den Zellenhäusern hat tatsächlich gravierende negative | |
Auswirkungen. Diese Enge, dieses Eingesperrtsein ist schwer zu verarbeiten. | |
Irgendwann kommen Angstgefühle auf. Manche kommen damit einigermaßen gut | |
klar, andere gar nicht. Da wachsen extreme Gefühle. Einige werden ganz | |
still, apathisch. Bei anderen wächst der Hass. In einer bestimmten | |
Konfliktsituation verlieren sie dann leichter die Kontrolle und schlagen | |
schnell zu. | |
Was müsste sich an der Situation in den Gefängnissen ändern? | |
Es müsste endlich Ernst gemacht werden mit jenen in den Siebzigerjahren im | |
Strafvollzugsgesetz formulierten drei Grundsätzen: Der | |
Angleichungsgrundsatz besagt, dass die Verhältnisse innerhalb der | |
Gefängnisse den allgemeinen Lebensverhältnissen draußen so weit wie möglich | |
angeglichen werden sollen. Nach dem Gegenwirkungsgrundsatz soll alles | |
unterlassen werden, was negative Auswirkungen auf die Häftlinge hat. Und | |
der Resozialisierungsgrundsatz fordert, dass die Inhaftierten vernünftig | |
auf die Freiheit vorbereitet werden. Doch die meisten Gefangenen werden | |
unvorbereitet entlassen. Auch das ist ein Grund dafür, dass die | |
Rückfallquote bei jugendlichen Straftätern bei 80 Prozent liegt. | |
Welche Folgen zieht das konkret nach sich? | |
In Nordrhein-Westfalen werden gerade zwei neue Gefängnisse gebaut. Ein ganz | |
neues Jugendgefängnis mit 500 Plätzen entsteht in Wuppertal, und die JVA | |
Heinsberg soll verdoppelt werden, von 250 auf 500 Plätze. Da gibt es | |
keinerlei gesellschaftliche Diskussion darüber, ob es überhaupt sinnvoll | |
ist, junge Menschen in einer so großen Zahl gemeinsam unterzubringen. | |
Dabei sind es reine Finanzprobleme, die dahinterstecken: Mehrere kleinere | |
Einrichtungen wären eben teurer, dann lieber alle in ein Haus. Aber das ist | |
völlig falsch. Da ist es vorprogrammiert, dass es Subkulturen gibt. Und | |
Subkultur bedeutet Gewalt, denn das ist ja der Bereich, der der Kontrolle | |
und Überwachung entzogen ist. Es gibt kein gesellschaftliches Bewusstsein, | |
was eine Gefängniszelle ist - was sie für ein Raum ist und was die | |
Ohnmachtserfahrungen in diesen Räumen anrichten. Zellen sind Räume, die | |
haben eine Tür, in der gibt es außen ein Schloss, aber keine Möglichkeit, | |
von innen selbst aufzumachen. Es scheint in unserem System undenkbar, dass | |
man die Zellen abschafft. Genau das wäre jedoch notwendig. | |
15 Jan 2009 | |
## AUTOREN | |
Pascal Beucker | |
## TAGS | |
Terror | |
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