# taz.de -- Neue Entspannungspolitik: Rabatt für Russland | |
> Die SPD will in der Wirtschaftspolitik auf Moskau zugehen, um die | |
> Ost-West-Beziehungen zu verbessern. Widerspruch kommt aus der CDU. | |
Bild: Handelsvertreter: SPD-Chef Sigmar Gabriel mit dem russischen Industriemin… | |
BERLIN/ROSTOCK taz | Ein Sonderangebot soll im Hafen von Warnemünde den | |
Frieden sichern. Am Passagierkai liegt in dieser Woche die „Mir“, ein | |
mächtiger Dreimaster, auf dem die Petersburger Admiral-Makarow-Akademie | |
zukünftige Seeleute ausbildet. Am Samstag wird sie zu einem „Segeltörn mit | |
Friedensmission“ aufbrechen. Für 79 Euro pro Person gibt es eine | |
sechsstündige Rundfahrt, Mittagessen und eine Tasse Kaffee inklusive. Wer | |
im Sinne der Völkerverständigung eine Person anderer Nationalität | |
mitbringt, fährt ermäßigt mit. Geht zum Beispiel ein Deutscher mit einem | |
Russen an Bord, zahlt jeder nur 59 Euro. | |
Annäherung über den Geldbeutel: Was die Ticketverkäufer in Warnemünde im | |
Kleinen versuchen, will die SPD in Zukunft auch im Großen probieren. Die | |
Sozialdemokraten wollen in der Wirtschaftspolitik auf Russland zugehen. Ihr | |
Kalkül: Mehr Handel schafft mehr Kontakte, mehr Kontakte schaffen mehr | |
Verständnis. Wenn die Geschäfte erst mal laufen, könnten sich so auch die | |
politischen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau wieder verbessern. | |
Ein paar Kilometer vom Segelschiff „Mir“ entfernt steht am Mittwochabend | |
Sigmar Gabriel in der Rostocker Messehalle. Vor Unternehmern spricht er | |
über Nord Stream 2, eine geplante Gas-Pipeline zwischen Greifswald und der | |
russischen Ostseeküste. „Projekte wie Nord Stream 2 sind ein Signal aus | |
Deutschland, dass wir trotz aller Schwierigkeiten, trotz unterschiedlicher | |
Positionen unsere Zusammenarbeit erneuern wollen“, sagt der | |
Wirtschaftsminister. | |
Dann kommt er auf die Sanktionen zu sprechen, die die EU wegen des | |
Ukrainekonflikts gegen Russland verhängt hat. In den kommenden Wochen | |
entscheiden die Mitgliedstaaten, ob sie das Embargo um weitere sechs Monate | |
verlängern, da Moskau noch nicht alle Bedingungen des Minsker | |
Friedensabkommens erfüllt hat. | |
„Die bisherige Position lautet: Erst wenn das Friedensabkommen zu 100 | |
Prozent erfüllt ist, werden die Sanktionen zu 100 Prozent aufgehoben. Das | |
ist nicht sehr klug“, sagt Gabriel. Sein Vorschlag: Russland soll wie | |
vereinbart Wahlen im besetzten Osten der Ukraine gestatten, im Gegenzug | |
lässt die EU zumindest einen Teil der Sanktionen fallen. | |
## Die Wirtschaft applaudiert | |
Das Publikum applaudiert. Rund 610 Zuhörer sitzen im Saal, die meisten von | |
ihnen sind Wirtschaftsvertreter aus Deutschland und Russland. | |
Ministerpräsident Erwin Sellering, ebenfalls SPD, hat sie zum zweiten | |
„Russlandtag“ eingeladen. Die erste Ausgabe des Business-Forums hatte er im | |
Oktober 2014 veranstaltet, der Ukrainekonflikt war damals noch frisch und | |
die Landesregierung geriet deutschlandweit in die Kritik. | |
Sellering war das damals ebenso egal wie heute. Erstens gehört Russland zu | |
den wichtigsten Handelspartnern Mecklenburg-Vorpommerns und seiner | |
Ostseehäfen; gute Wirtschaftsbeziehungen sind von Rostock aus gesehen also | |
wichtiger als der Streit um die Krim. Zweitens glaubt auch er, dass | |
Veranstaltungen wie der Russlandtag „einen kleinen Beitrag zum besseren | |
gegenseitigen Verständnis“ leisteten. | |
Und noch ein dritter SPD-Politiker neben Sellering und Gabriel setzt auf | |
wirtschaftliche Zusammenarbeit: Frank-Walter Steinmeier, der Außenminister. | |
In der vergangenen Woche lud er zu einer Wirtschaftskonferenz der OSZE ins | |
Auswärtige Amt. Er hoffe, sagte er dort, dass Kooperation in der Wirtschaft | |
„nicht nur wachsenden Wohlstand, sondern auch Vertrauen und gestärkte | |
Sicherheit“ schaffe. | |
Der Kurs der Sozialdemokraten ist kein Zufall. Sie berufen sich auf Willy | |
Brandt und dessen Ostpolitik. Schon als sich die SPD-geführte | |
Bundesregierung ab den späten 1960er Jahren an die Sowjetunion annäherte, | |
spielten gemeinsame Erdgasgeschäfte eine wichtige Rolle. | |
## Trostpflaster für Moskau? | |
Auch der Zeitpunkt der neuen Avancen ist wohl kein Zufall. Die Nato wird | |
auf ihrem Gipfel Anfang Juli den Forderungen ihrer östlichen | |
Mitgliedstaaten folgen und beschließen, an der Grenze zu Russland | |
aufzurüsten. Moskau ist damit alles andere als einverstanden. Geschäfte mit | |
dem Westen könnten den Kreml in dieser Situation zumindest ein Stück weit | |
beschwichtigen. | |
Dabei geht es nicht nur um die Sanktionen. Auf Einladung von Gabriel wird | |
Ende Juni die sogenannte „Strategische Arbeitsgruppe für Wirtschaft und | |
Finanzen“ wieder tagen. In dem Gremium, das bislang wegen der Ukrainekrise | |
ausgesetzt war, kommen Regierungs- und Wirtschaftsvertreter aus Deutschland | |
und Russland zusammen. Die Atmosphäre in der Runde ist pragmatisch: Es geht | |
um Themen wie die Anerkennung von Ausbildungsabschlüssen. Heikle Fragen wie | |
die Ukrainekrise spielen keine Rolle. | |
Als Gabriel in Rostock davon erzählt, sitzt Frank Soßnowski im Publikum. Er | |
ist Geschäftsführer eines Logistikunternehmens auf Rügen und hat seit jeher | |
gute Kontakte nach Osten: Zu DDR-Zeiten ging Soßnowski auf eine sowjetische | |
Militärschule, verheiratet ist er mit einer Weißrussin, seine Firma machte | |
lange Zeit gute Geschäfte mit Russland. | |
Benötigte ein russischer Bauunternehmer zum Beispiel Klinkersteine aus | |
Deutschland, rief er auf Rügen an. Soßnowski wickelte dann den kompletten | |
Transport ab. In guten Zeiten machte er allein mit dem Russlandgeschäft | |
einen Jahresumsatz von 2,3 Millionen Euro. In den vergangenen beiden Jahren | |
ist der Wert um sechzig Prozent gesunken. | |
## Russland in der Krise | |
Die russische Wirtschaft ist ohnehin in der Krise, unter anderem wegen der | |
maroden Infrastruktur und des niedrigen Ölpreises. Die Finanzsanktionen | |
machen die Lage noch schwieriger: Weil russische Investoren seltener an | |
Kredite kommen, benötigen russische Bauunternehmer seltener Klinkersteine. | |
„Wenn die Sanktionen tatsächlich fallen, wäre das für uns natürlich gut�… | |
sagt Soßnowski. Aber brächten gute Geschäfte auch automatisch bessere | |
Beziehungen zu Russland? | |
Michael Harms ist Geschäftsführer des Ost-Ausschusses der Deutschen | |
Wirtschaft. Er würde sich über einen Abbau der Sanktionen freuen, sagt aber | |
auch: „Ich würde die Unternehmen nicht mit politischen Hoffnungen | |
überfrachten. Ihnen geht es in erster Linie darum, Geschäfte zu machen.“ | |
Natürlich sei es aber ein schöner Nebeneffekt, wenn dadurch Beziehungen | |
entstünden und das Verständnis wachse. | |
Teile der Union blicken kritischer auf die Vorstöße aus der SPD. Aus dem | |
Kanzleramt kamen vor dem laufenden G-7-Gipfel in Japan keine Zeichen der | |
Entspannung. Und der CDU-Außenpolitiker Karl-Georg Wellmann sagt: „In den | |
letzten beiden Jahren hat sich doch kaum etwas geändert. Der militärische | |
Konflikt ist nicht beendet. Erst am Montag wurden im Donbass sieben | |
Soldaten getötet, dafür trägt Russland die Verantwortung. Wir haben also | |
keinen Anlass, unseren Kurs zu ändern.“ | |
Und wie reagieren die Russen selbst auf den Kurs der SPD? In Rostock tritt | |
nach Gabriel der russische Industrieminister ans Mikrofon. Denis Manturow | |
geht nicht auf das Angebot des Vizekanzlers ein, für Fortschritte in der | |
Ukraine die Sanktionen abzubauen. Nur ganz am Ende sagt er zwei Sätze, die | |
sich vielleicht auf die Krim beziehen könnten: „Wir haben am Schwarzen Meer | |
wunderschöne russische Kurorte. Ich lade alle deutschen Touristen herzlich | |
dorthin ein.“ | |
27 May 2016 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
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