# taz.de -- Gerhard Schröder beim Russlandtag: Schulbücher für den Weltfried… | |
> Auf dem Russlandtag in Rostock hält sich ein Hannoveraner Altkanzler mit | |
> Kritik an Moskau zurück. Aber er präsentiert seinen ganz besonderen | |
> Friedensplan. | |
Bild: Der Altkanzler beim Russlandtag in Rostock. | |
ROSTOCK taz | Dem Handelsvertreter aus Niedersachsen scheint der | |
Weltfrieden sehr am Herzen zu liegen. Knapp zwanzig Minuten redet er schon, | |
über den Fall der Berliner Mauer und die Jugoslawien-Kriege, über Napoleons | |
Russlandfeldzug und den Ersten Weltkrieg, dann kommt er endlich auf die | |
Ukrainekrise zu sprechen, zitiert Willy Brandt und fordert die | |
Bundesregierung zum Kurswechsel auf. | |
„Die Sanktionen schaden beiden Seiten immens und zerstören Vertrauen“, sagt | |
der Mann, Anfang siebzig, der im Auftrag eines Moskauer Energieunternehmens | |
nach Rostock gereist ist. Er spricht im Bernsteinsaal des Hotels Neptun, | |
der weniger spektakulär aussieht, als es der Name vermuten lässt. Graue | |
Kunststoffplatten an der Decke, grauer Beton an der Wand, | |
Handelskammeratmosphäre. Dem Anlass angemessen: Ihren Russlandtag hatte die | |
Regierung von Mecklenburg-Vorpommern ja nicht als spektakuläres Event | |
geplant, mit internationalem Medieninteresse und zwölf Fernsehkameras | |
allein vor der Hoteltüre. | |
Doch dann kam der Konflikt in der Ukraine dazwischen und das Bundesland | |
galt plötzlich als Sanktionsbrecher. Genau jetzt ein Treffen zwischen | |
deutschen und russischen Unternehmern zu veranstalten, das unterlaufe die | |
Friedensbemühungen des Außenministeriums. | |
Dass die Sache in Wirklichkeit etwas komplizierter ist, zeigt schon die | |
Geschichte des Tagungsortes: Die DDR-Führung ließ das Hotel an der | |
Warnemünder Strandpromenade einst bauen, um Touristen aus dem Westen mit | |
Luxusurlaub (Meerwasserwellenbad, beste Broiler der Republik, erste | |
Diskothek des Ostens) zu relativ billigen Preisen anzulocken. Die Ausländer | |
brachten Devisen mit an die Ostsee, die das Land dringend benötigte. | |
## Networking zur Schadensbegrenzung | |
Seit der Wende funktioniert der Devisentrick freilich nicht mehr, Geld aus | |
dem Ausland kann der Nordosten aber noch immer gut gebrauchen. Zum Beispiel | |
aus Russland, das zuletzt viertwichtigster Handelspartner | |
Mecklenburg-Vorpommerns war, vor allem in der Seefahrt und dem Schiffsbau. | |
Die EU-Sanktionen ließen das Geschäft aber einbrechen. Ein wenig Networking | |
kann da zur Schadensbegrenzung nicht falsch sein. Im Bernsteinsaal blättern | |
die Gäste durch die Teilnehmerliste, acht Seiten, eng beschriftet, und | |
kringeln Namen ein. | |
Der Chef einer Spedition aus der Oblast Leningrad (Teilnehmer Nummer 435) | |
und der Weinhändler aus Rostock (Teilnehmer Nummer 400), nach der | |
Kaffeepause schon Geschäftspartner? „Dieses Wirtschafstreffen heute dient | |
der Vertiefung unserer guten Zusammenarbeit“, sagt Ministerpräsident Erwin | |
Sellering (SPD), bevor er den Mann aus Niedersachsen auf die Bühne bittet. | |
„Aber wir werden hier und heute keine außenpolitischen Konflikte lösen | |
können.“ | |
Der Ehrengast aus Hannover versucht es dann trotzdem. Er heißt Gerhard | |
Schröder und war einmal Bundeskanzler. Jetzt leitet er den Aufsichtsrat | |
einer Tochterfirma des Gazprom-Konzerns. Merkt man: Dialog bedeute nicht | |
Kritiklosigkeit, sagt Schröder zu Beginn seiner Rede – und hält sich mit | |
Kritik an Moskau trotzdem zurück. Er sei ein Russland-Versteher und stolz | |
darauf, sagt der Altkanzler. Er hoffe auf Frieden in der Ukraine und eine | |
Freihandelszone zwischen Lissabon und Wladiwostok. Und dann präsentiert er | |
endlich seinen Friedensplan: ein gemeinsames Geschichtsbuch für Schüler aus | |
Deutschland und Russland, verfasst von Historikern beider Länder, so etwas | |
könne doch Brücken bauen zwischen den Völkern. | |
Eine schöne Vorstellung: Kapitän Schröder steuert die MS Gazprom, in | |
Stralsund vom Stapel gelaufen, voll geladen mit deutsch-russischen | |
Schulbüchern über die Ostsee nach Sankt Petersburg. Vielleicht hätte er | |
dann doch lieber auf den Ministerpräsidenten hören sollen: Außenpolitische | |
Konflikte löst so ein Wirtschaftstreffen wirklich nicht. | |
1 Oct 2014 | |
## AUTOREN | |
Tobias Schulze | |
## TAGS | |
Russland | |
Gerhard Schröder | |
Ukraine | |
Mecklenburg-Vorpommern | |
Russland | |
Untersuchungsausschuss | |
EU-Kommission | |
BASF | |
Ukraine | |
Russland | |
Rebecca Harms | |
Sanktionen | |
EU | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Neue Entspannungspolitik: Rabatt für Russland | |
Die SPD will in der Wirtschaftspolitik auf Moskau zugehen, um die | |
Ost-West-Beziehungen zu verbessern. Widerspruch kommt aus der CDU. | |
Schröder im Untersuchungsausschuss: Ein Basta für den Landtag | |
In Nordrhein-Westfalen sagt der Altkanzler zur West LB aus. Neue | |
Erkenntnisse trägt er nicht vor, unterhalten kann er aber noch immer. | |
Sanktionen gegen Russland: Der neue kalte Krieg wird teuer | |
Sanktionen gegen Russland zeigen unerwünschte Folgen im Westen, räumt die | |
EU-Kommission ein. Russlands Wirtschaft gerät tiefer in die Krise. | |
Deutsch-russische Geschäfte: Milliardenschweres Tauschgeschäft | |
Die BASF-Tochter Wintershall will im Herbst mehrere Erdgasspeicher an den | |
russsichen Energiekonzern Gazprom übergeben. | |
Krise in der Ukraine: Drohnen-Einsatz der Bundeswehr | |
Deutschland will Drohnen in die Ostukraine schicken. Sie sollen die | |
Waffenruhe vor Ort überwachen. Zudem sollen wohl auch Fallschirmjäger | |
eingesetzt werden. | |
Russlandtag in Meck-Pomm: Networking im Bernsteinsaal | |
Die Schweriner Regierung veranstaltet ihren Russlandtag – trotz aller | |
Kritik. In Rostock treffen sich Politik, Wirtschaft und: Gerhard Schröder. | |
„Schwarze Liste“ in Russland: Nicht nur Harms hat Einreiseverbot | |
Es ist nicht bekannt, wer draufsteht, aber sie existiert: Eine Liste mit | |
„unerwünschten Personen“, denen die Einreise nach Russland verweigert wird. | |
Wirtschaftssanktionen gegen Russland: Strafen und verhandeln | |
Die EU lässt neue Wirtschaftssanktionen gegen Russland in Kraft treten. | |
Gleichzeitig laufen Gespräche über ein Freihandelsabkommen mit der Ukraine. | |
Kommentar Russland-Sanktionen der EU: Der Starrsinn der Kanzlerin | |
Die EU verschärft die Sanktionen gegen Moskau – trotz des vereinbarten | |
Waffenstillstands in der Ostukraine. Schuld daran ist Angela Merkel. |