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# taz.de -- Gedenken an Euthanasie-Opfer: Vom Interesse am Nichtwissen
> Ein neues Mahnmal in Neustadt in Holstein erinnert an die dortigen
> „Euthanasie“-Opfer im Nationalsozialismus. Die Behörden haben lange
> gebremst.
Bild: In Schwerin gibt‘s bereits ein Euthanasie-Mahnmal. In Schleswig-Holstei…
NEUSTADT i. HOLSTEIN taz | Am Ende eines steinigen Weges stehen nun drei
Tafeln. Jeweils drei Meter hoch, in einen Stahlrahmen eingelassen. 931
Namen sind darauf aufgeführt. Es sind die Namen von Opfern des
Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten. Zwischen 1940 und 1944 wurden
sie deportiert und ermordet. Das neue Mahnmal steht auf dem Gelände des
heutigen Ameos-Klinikums in Neustadt in Holstein.
Wenn es am heutigen 27. Januar, dem Tag der Befreiung des
Vernichtungslagers Auschwitz, um 11.30 Uhr eröffnet wird, über 70 Jahre
nach den Euthanasie-Verbrechen, ist es ein Denkmal, das noch immer zu
Konflikten führt. Denn es gab massive Widerstände dagegen, die Namen der
Opfer öffentlich zu machen.
Für das Mahnmal eingesetzt hat sich der Arbeitskreis [1][Cap Arcona]. Die
kleine Gruppe beschäftigte sich seit Anfang der 1980er-Jahre mit dem
Untergang der „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht, bei dem am 3. Mai 1945
nach einem Angriff britischer Jagdbomber tausende an Bord befindliche
Häftlinge, vor allem aus dem KZ Neuengamme, starben. Später befasste sich
der Arbeitskreis mit der Landesheilanstalt Neustadt.
Im Zuge des Euthanasie-Programms der Nationalsozialisten sind aus der
Landesheilanstalt über 1.000 Menschen nach [2][Brandenburg] und
[3][Bernburg] in Sachsen-Anhalt deportiert worden. Die meisten wurden
ermordet. „Wir wollen den namenlos Ermordeten einen Teil ihrer Würde
zurückgeben, nämlich ihre Namen“, sagt Sylvia Blankenburg vom Arbeitskreis.
„Die Aufarbeitung dieser Geschichte haben wir uns leichter vorgestellt, als
es dann war.“
Der heutige Klinikbetreiber, der, private Schweizer Ameos-Konzern zeigte
sich kooperativ, zahlt sogar mehrere tausend Euro für die Errichtung des
Mahnmals. Die [4][Unterlagen] über die Patienten, die während des
Nationalsozialismus von der Klinik in den Tod geschickt wurden, hat Ameos
jedoch an das Landesarchiv in Schleswig übergeben. Dort stellte der
Gedenk-Arbeitskreis einen Antrag auf Akteneinsicht „mit der klaren
Begründung, was wir damit vorhaben“, sagt Blankenburg. Doch im März 2014
lehnte das Landesarchiv ab.
Der taz teilt das schleswig-holsteinische Kulturministerium mit, dass sich
das [5][Landesarchiv] dabei auf die „aktuelle Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts“ stütze: „Die Auswertung von Patientenakten aus
der NS-Zeit bewegt sich hier in einem Spannungsverhältnis zwischen dem
wissenschaftlichen Interesse und der gesellschaftlichen Verpflichtung zur
Erinnerung einerseits und dem Schutzbedürfnis Betroffener oder Dritter
andererseits“, deutet Ministeriumssprecher Oliver Breuer die Lage [6][aus].
„Mit Blick auf den Umstand, dass genetische Dispositionen auch Angehörige
von Patienten betreffen können, hat ein Einsichtnehmender danach mit den
aus seiner Patientenakte erlangten Informationen so umzugehen, dass das
sogenannte ‚Drittinteresse am Nichtwissen’ gewahrt bleibt.“
Eine Argumentation, die Sylvia Blankenburg als „[7][haarsträubend]“
bezeichnet. Nur in den wenigsten Fällen handele es sich bei psychischen
Erkrankungen um genetische Dispositionen. Außerdem seien es nicht die
Opfer, sondern die Täter, von denen viel zu viele nicht wegen ihrer Untaten
angeklagt, geschweige denn verurteilt worden seien, die sich schämen
müssten. „Darüber sollte Einigkeit bestehen.“ Es gehe auch nicht um
„Patienten“, sondern [8][um NS-Opfer.]
Um an die Namen der Opfer zu kommen, legte der Arbeitskreis rechtliche
Schritte ein. Ein Schiedsausschuss gab dem Antrag schließlich in den
wesentlichen Punkten statt. Damit nur die ermordeten Patienten auf dem
Mahnmal genannt werden, verpflichtete sich der Arbeitskreis, die
Verlegungslisten mit den in den Tötungsanstalten dokumentierten Namen der
Ermordeten abzugleichen.
27 Jan 2016
## LINKS
[1] http://www.stadt-neustadt.de/museum_cap_arcona/
[2] http://www.stiftung-bg.de/doku/neues/neues_m1.htm
[3] http://www.gedenkstaette-bernburg.de/
[4] https://www.bundesarchiv.de/geschichte_euthanasie/
[5] http://www.schleswig-holstein.de/DE/Landesregierung/LASH/lash_node.html
[6] http://gedenkort-t4.eu/de/content/gutachten-namensnennung-ns-euthanasieopfer
[7] http://blog.gedenkort-t4.eu/2015/03/25/gedenkinitiative-und-archiv-keine-pa…
[8] http://www.euthanasie-gedenken.de/patientenakten.htm
## AUTOREN
Lena Kaiser
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