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# taz.de -- Ruhestätte für NS-Opfer in Grömitz: Verschwundene Gräber
> Wurde im schleswig-holsteinischen Grömitz die Fläche einer Ruhestätte mit
> Ehrenmal für NS-Opfer illegal halbiert? Historische Pläne legen das nahe.
Bild: Auf die Pelle gerückt: Bis auf gut zwei Meter reicht das Gemeindehaus an…
Hamburg taz | Am Rand der Grabstätte auf dem Grömitzer Kirchhof – gegenüber
der Nikolaikirche – thront ein zwei Meter hoher Gedenkstein mit der
Aufschrift: „[1][Den Opfern der Cap Arcona]“. Eine später installierte
Gedenktafel verrät, dass an dieser Stelle „91 namenlose Opfer der
Cap-Arcona-Tragödie“ ruhen. Doch wer die Grabstätte, in der nach amtlichen
Dokumenten aus der Nachkriegszeit sogar die Gebeine von 107 KZ-Häftlingen
ruhen, noch vor wenigen Wochen besuchte, durfte sich fragen, wie auf etwa
60 Quadratmetern Gesamtfläche so viele Menschen begraben liegen können.
Diese Frage stellte sich auch die Hamburger Fotografin Beate Koch, bekam
vor Ort keine Antwort, suchte dann in den Arolsen-Archiven nach
Informationen über die Grabstätte und wurde fündig. Die [2][Arolsen-Archive
im hessischen Arolsen] sind die weltweit größte Dokumentensammlung über die
Opfer und die Überlebenden des NS-Regimes. Auf einem historischen
Friedhofsplan von 1949 ist die Grabstätte zentimetergenau verzeichnet – nur
weist der Plan hier eine plausiblere Gesamtgröße des Sammelgrabs von 110
Quadratmetern aus.
Pikant ist daran: Stimmen der historische Friedhofsplan und spätere
Aufzeichnungen, dann wurden zahlreiche Gräber dort eingeebnet. Das geschah,
als 2009 und 2010 das neue Gemeindehaus Nicolaiblick gebaut wurde – bis
direkt an die historische Grabstätte heran. Rund 55 Quadratmeter
Grabfläche, im Westen und im Süden des Sammelgrabs gelegen, wurden –
vergleicht man den Plan von 1949 mit dem aktuellen Zustand – hier unbemerkt
von der Öffentlichkeit eingeebnet, die einst 110 Quadratmeter große
Grabfläche damit halbiert.
So wurde Platz für das neue Gemeindehaus geschaffen, dessen Fundamente
recht dicht – bis auf gut zwei Meter – an die historisch belegte Grenze der
Grabstätte heranreichen. Dass bei den Ausschachtungsarbeiten für den
Nicolaiblick menschliche Knochen gefunden wurden, deren Herkunft nie
zweifelsfrei geklärt werden konnte, passt da ins Bild. Sie sollen, so will
Gemeindepastor Holger Lorenzen herausgefunden haben, zu einem Toten gehört
haben, der nicht in dem Ehrengrab bestattet wurde. Polizeiliche
Untersuchungen aber gab es dazu nie.
Nach dem [3][Deutschen Gräbergesetz] müssen „Gräber der Opfer von Krieg und
Gewaltherrschaft“ „dauernd bestehen“ bleiben, sie sind „zu erhalten“ …
pflegen. Eine Einebnung solcher Ruheflächen kommt damit rechtlich einer
Grabschändung gleich. Doch davon, dass hier Gräber illegal eingeebnet
worden sein könnten und das Gemeindehaus viel zu nah an das historische
Grabfeld gebaut wurde, will von offizieller Seite niemand etwas wissen.
Es habe „einen Vertuschungswettlauf aller zuständigen Stellen“ gegeben,
nachdem sie ihre Erkenntnisse an diese herangetragen hätte, berichtet
Fotografin Koch. Sie meint damit Gemeindepastor Lorenzen, die zuständige
Mitarbeiterin des schleswig-holsteinischen Innenministeriums und auch den
Antisemitismusbauftragten Peter Harry Carstensen – früher
CDU-Ministerpräsident des Landes. Im vergangenen Januar fand eine
gemeinsame Begehung des Ehrenmals statt, an der die drei teilnahmen.
Anschließend hätten sie ihr beachtliche Erklärungen aufgetischt, warum es
den von ihr behaupteten Grabschwund nie gegeben habe, sagt Koch.
So schreibt etwa das Ministerium der Fotografin, nach dem Krieg sei es
„üblich“ gewesen, „dass zur Vermessung das Schrittmaß“ anstelle eines
Zollstocks benutzt worden sei. Deshalb sei „die Angabe von 110
Quadratmetern“ Gesamtgrabfläche „eher als grobe Angabe zu sehen“. Dass r…
100 Verstorbene auf so kleiner Fläche Platz fänden, begründet die
Ministeriumsmitarbeiterin damit, es sei „nicht davon auszugehen, dass die
Toten seinerzeit nebeneinander, sondern in mehreren Lagen bestattet
wurden“.
Dies würden angeblich auch „alte Unterlagen aus dem Kirchenarchiv belegen“,
behauptet das Ministerium, bleibt einen konkreten Beweis aber schuldig. Und
Gemeindepastor Lorenzen betont, er sei sich „absolut sicher“, dass „das
Cap-Arcona-Grab nicht in irgendeiner Form verkleinert“ wurde.
Bemerkenswert: Obwohl die Grabfläche nach offiziellen Angaben nie
beschnitten worden war, wurden ihr nach den Recherchen von Beate Koch in
einer Nacht- und Nebelaktion Ende März wieder Flächen zugeschlagen – und
zwar ziemlich genau das Teil-Areal, das vor dem Bau des Gemeindehauses im
Süden des Ehrenmals eingeebnet worden sein muss. Da zuvor schon das Mahnmal
im Osten um eine Fläche erweitert wurde, auf der aber niemals
Cap-Arcona-Opfer begraben wurden, gleicht das Ausmaß der Gesamtfläche nun
wieder fast der in den historischen Dokumenten ausgewiesenen Größe – nur
dass sie nach Osten verschoben wurde und nicht mehr deckungsgleich mit dem
Areal ist, in dem die Cap-Arcona-Opfer tatsächlich ihre letzte Ruhe fanden.
Einen Schönheitspreis wird die neue alte Gedenkstätte auch kaum gewinnen:
Die ihr nun zugeschlagene Fläche wurde nicht einmal begrünt, sondern
einfach mit einer Kunststoffplane überzogen, auf der Kiesel verteilt
wurden.
In einer früheren Version dieses Textes haben wir den Namen der zuständigen
Ministeriumsmitarbeiterin genannt, ohne dies abzustimmen. Wir bitten dafür
um Entschuldigung.
27 Apr 2021
## LINKS
[1] /Cap-Arcona-Katastrophe-vor-75-Jahren/!5679437
[2] https://arolsen-archives.org/
[3] https://www.gesetze-im-internet.de/gr_bg/BJNR005890965.html
## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
NS-Gedenken
Grabmal
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Holocaust-Mahnmal
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