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# taz.de -- „Cap Arcona“ am Theater Lübeck: Mit Spott gegen das Schweigen
> Schorsch Kameruns „musiktheatrales Spektakel“ zur „Cap Arcona“ nimmt …
> Erbe des NS ernst – und macht daraus einen bemerkenswert munteren Abend.
Bild: Sehr heutige Hauptfigur: Stefanie alias Feuersalamander (Luisa Böse) pro…
Nachmittags zufällig gesehen: Im nicht ganz so [1][pittoresken Lübeck],
nördlich des Hauptbahnhofs in der Ziegelstraße, wirbt [2][der Lübecker
Tennis- u. Hockey- Club e.V.] für seinen Schnuppernachmittag ohne
Anmeldung. Einfach kommen, Sportschuhe mit glatter Sohle genügen! Abends
dann, auf der Bühne des Großen Hauses im [3][Theater Lübeck], wird auch
Tennis gespielt; werden Körper und Geist aber gleich noch auf andere Weise
zugerichtet. Dabei spielt Turnvater Jahn eine erwartbarere Rolle, als es,
unter anderem, Klaus Lage und Bata Illic tun.
Erst mal aber sitzen da diese zwei Typen in Trainingshosen und
Cricket-Pullovern links am Bühnenrand, vor einem noch heruntergelassenen
Vorhang aus Wellblech. Der eine scheint ein Klavier, na, mehr zu stimmen
als darauf zu spielen, das ist PC Nackt, bürgerlich: Patrick Christensen.
Der andere ist Schorsch Kamerun, Autor, Regisseur, Impresario dieses
Abends, ins Mikrofon mehr hauchend und flüsternd. Ab und zu spricht er dann
auch mal laut und deutlich genug, sodass man ihn versteht: „Stefanie“, sagt
er etwa, als es allmählich losgeht, aus dem Freistil-Prolog das Stück sich
herauszuschälen scheint: Um kurz nach halb acht öffnet sich im Wellbech
eine Tür, und, eben, „Stefanie alias Feuersalamander“ (Luisa Böse) zeigt
sich: die Hauptfigur.
## Kein Dokumentartheater
Die Beschäftigung mit der titelgebenden [4][Schiffskatastrophe ganz am Ende
des Zweiten Weltkriegs] rahmt Kameruns „musiktheatrales Spektakel“ mit
einer sehr heutigen Handlung. Die dabei, weil autobiografisch begründet,
auch schon wieder einige Jahre auf dem Buckel hat. So wie auf der Bühne nun
Stefanie und ihre bunte Clique es tun, so triggerte ein junger Schorsch
Kamerun einst selbst die Abwehrreflexe aus dem Lehrerzimmer. Indem er, als
Schüler im westdeutschen Ostseeörtchen Timmendorfer Strand ein
Theaterprojekt anregte zum Massengrab vor der eigenen Haustür. Überreste
von mehreren Tausend zu Tode gekommenen Häftlingen vor allem aus dem KZ
Neuengamme lagern ja bis heute in der flachen Lübecker Bucht.
Dass in den ersten Nachkriegsjahren das Wrack der „Cap Arcona“ selbst noch
gut zu sehen war, übers Eis erreichbar und bequem zu plündern; dass die
Aale einige Zeit lang besonders fett in der Ostsee schwammen, aber niemand
recht Lust hatte, sie zu essen: All das kommt nun zum Vortrag. Die Frage,
wie viel Schuld an der Katastrophe die schlechte Kommunikation innerhalb
der britischen Streitkräfte hatte, wirft das Programmheft auf; das aber
erfreulich frei von der Schuld-Projektion, in die sich manche Deutsche
heute wieder so nassforsch flüchten.
## Leichen vor der Haustür
Mindestens so viel Raum wie das Geschehen im Mai 1945 bekommt im Stück, was
später erleben konnte, wer nach den Leichen fragte in den Kellern dieser
zunehmend auf touristische Verwertung hin sich optimierenden Region:
Kamerun konzentriert das opportune Leugnen im wiederholten Satz: „Welche
'Cap Arcona’?“ Den sagen dann die drei buntgesichtigen Lehrer:innen-Figuren
(Jan Byl, Sonja Cariaso, Will Workman), die damit gleich noch ganz andere
autoritäre Autoritäten repräsentieren dürften.
Es ist aber auch keine 1980er-Jahre-Punk-in-der-Provinz-Recherche geworden:
In den Text eingeflochten sind Verweise etwa auf [5][CDU-Chef Friedrich
Merz’ Zahnarzt-Ausspruch] oder gezielt [6][jugendliche Ohren attackierende
Vertreibungs-Akustik] in (zunächst britischen) Einkaufszentren. Und
natürlich erinnern Stefanie alias Feuersalamander und ihre „1312“ taggenden
Freund:innen auch an – zum Beispiel „Eichhörnchen“ sich nennende –
Klimaschutz-Aktive. Dass sich nicht gleich wieder irgendwer am Bühnenboden
festklebt, bekundet Kameruns Gespür dafür, wann aus Genau-richtig ein
Zuviel wird.
„Welche 'Cap Arcona’?“ – vom versuchten Beschweigen also handelt der se…
musikalische Abend; neben Kamerun und PC Nackt gibt es mit Urs Benterbusch,
Jonathan Göring, Edgar Herzog und Peter Imig auch noch eine richtige Band.
Da scheinen dann auch allerlei Epochen Kamerun’schen Musikschaffens auf,
wiederholt kommt es zu Szenenapplaus. Ein Stück wie „Die Menschen aus Kiel“
[7][von 1996] zeigt sich bestens geeignet, das Lübecker Publikum [8][aufs
Glatteis inner-schleswig-holsteinischen Revierdenkens] zu locken (und
auflaufen zu lassen).
Und was hat es nun mit Klaus „Tausendundmalberührt“ Lage und Schlager-Star
Bata Illic auf sich? Sie sind, neben der Landeshymne und dem „Weißen
Rössl“, Teil eines gruseligen Medleys, mit dem die Autoritäten,
wissenschaftlich fundiert, die jungen Leute einzunorden suchen – und das im
Saal für allerbeste Stimmung sorgt. Denn bei aller Schwere des Stoffs, den
die Inszenierung stets ernst nimmt: Es bleibt ein munteres Spektakel.
14 Feb 2024
## LINKS
[1] /Hansekultur/!5368934
[2] http://www.luebeck-tennis.de/
[3] https://www.theaterluebeck.de/start/index.html
[4] /Untergang-der-Cap-Arcona/!5679424
[5] /CDU-und-Zahnbehandlungen-fuer-Gefluechtete/!5959412
[6] /Buch-ueber-Klang-in-Club-und-Krieg/!5141697
[7] /Archiv-Suche/!1468021/
[8] /Portraet-der-Landeshauptstadt-Kiel/!5849468
## AUTOREN
Alexander Diehl
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