# taz.de -- Opfer-Nachfahrin über das KZ Neuengamme: „Die Bombardierung war … | |
> Vor 80 Jahren wurde die „Cap Arcona“ in der Lübecker Bucht versenkt. Fast | |
> 7.000 Menschen gingen mit ihr unter – vor allem Häftlinge des KZ | |
> Neuengamme. | |
Bild: Die Lübecker Bucht als ein Grab: Den Nachfahren der Opfer der versenkten… | |
taz: Frau Letterie, was geschah am 3. Mai 1945 in der Lübecker Bucht? | |
Martine Letterie: Das Konzentrationslager Neuengamme und seine Außenlager | |
wurden in den letzten Kriegstagen geräumt. Tausende Häftlinge wurden – zu | |
Fuß oder per Zug – in Richtung Lübeck transportiert, wo man sie auf Schiffe | |
verlud. Die „[1][Cap Arcona]“ und „Thielbek“ fuhren hinaus in die Bucht… | |
Neustadt. Am 3. Mai bombardierte die britische Luftwaffe beide Schiffe. Sie | |
gingen in Flammen auf, fast 7.000 Menschen starben – verbrannt, ertrunken, | |
erschossen. Nur etwa 300 überlebten. | |
taz: Die Royal Air Force spricht bis heute von einem tragischen Versehen. | |
Halten sie das für angemessen? | |
Letterie: Die Piloten [2][hatten Warnungen erhalten, dass es sich um | |
KZ-Häftlinge handelte]. Aber offenbar kam die Nachricht nicht an. Die | |
genauen Abläufe sind bis heute nicht ganz geklärt – auch, weil britische | |
Archive noch immer nicht vollständig geöffnet sind. Klar ist: Die | |
Bombardierung war ein tragisches Versagen. | |
taz: Es gab danach eine regelrechte Hetzjagd auf Überlebende am Ufer. Was | |
geschah dort konkret? | |
Letterie: Viele Häftlinge versuchten in völlig entkräfteten Zustand ans | |
Ufer zu schwimmen. Ein Zeitzeuge, damals ein kleiner Junge, sprach von | |
einem „Meer aus kahlgeschorenen Köpfen“. Gemeint waren die in Seenot | |
geratenen Häftlinge im Wasser. Einige schafften es an den Strand. Dort | |
warteten bereits Marineangehörige und Hitlerjugend und erschossen die | |
wenigen Überlebenden. Es wurden auch über 200 aus dem KZ Stutthof | |
deportierte Häftlinge am Strand von Neustadt von der SS hingerichtet. Diese | |
letzte Brutalität zeigt, wie tief der NS-Terror noch bis zum letzten Tag | |
reichte. | |
taz: Warum wurden die Häftlinge überhaupt auf die Schiffe gebracht? | |
Letterie: Wir gehen davon aus, dass die Nazis die Schiffe gezielt versenken | |
wollten. Wie an anderen Orten sollten die letzten Spuren und Zeug*innen | |
der NS-Verbrechen verschwinden. Dieses Vorhaben reiht sich ein in eine | |
lange Liste der Endphaseverbrechen der SS. Neuengamme selbst wurde | |
„aufgeräumt“, [3][um nichts sichtbar den Alliierten zurückzulassen.] | |
taz: Wie lief die Aufarbeitung in der betroffenen Region in | |
Schleswig-Holstein? | |
Letterie: Jahrzehntelang sprach man nicht darüber – es wurde lieber unter | |
den Teppich gekehrt. Ein kleiner Ausstellungsbereich im örtlichen Museum | |
war lange das Einzige. Aber es gab engagierte Einzelpersonen, etwa den | |
Stadtarchivar von Neustadt in Holstein, Wilhelm Lange. Dort wurde sich auch | |
viel mit Schüler*innen aktiv ausgetauscht und gearbeitet. Erst in den | |
letzten Jahren hat sich viel getan: Die Gedenkstätte wird erweitert, ein | |
neues Museum entsteht in Neustadt. Die Zusammenarbeit mit Stadt, Land und | |
Bund ist inzwischen sehr gut. | |
taz: Und wie steht es um das internationale Gedenken? | |
Letterie: Es kamen früher Überlebende und ihre Familien aus Dänemark, | |
Frankreich, Polen, Spanien, den Niederlanden, der Ukraine und Russland. Es | |
ist eine Erinnerung über Grenzen hinweg. Besonders freut mich, dass in den | |
letzten Jahren auch auf dem Marktplatz von Neustadt Veranstaltungen | |
stattfinden, also nicht nur am Mahnmal am Strand. | |
taz: Gab es eine offizielle Stellungnahme aus Großbritannien zur | |
Bombardierung? | |
Letterie: Ja. Ein britischer Botschafter hat bei einer Gedenkfeier im Namen | |
der Regierung das Bedauern Großbritanniens ausgesprochen. Das war ein | |
wichtiges Zeichen. Aber entscheidend ist, dass wir aus der Geschichte | |
lernen. In unserer Gedenkorganisation Amicale Internationale KZ Neuengamme | |
(AIN), gegründet 1958 von Holocaustüberlebenden, ist ein Ziel bis heute | |
zentral: Wir stehen für ein friedliches Europa – gegen Faschismus, gegen | |
das Vergessen. Gerade jetzt, wo sich in vielen Ländern seit einiger Zeit | |
autoritäre Tendenzen zeigen und rechtes Gedankengut kontinuierlich | |
ausbreitet, ist das nötiger denn je. | |
1 May 2025 | |
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## AUTOREN | |
Esther Erök | |
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