# taz.de -- Buch über deutschen Waffenexport: 114 Heckler & Koch-Opfer pro Tag | |
> Jürgen Grässlins „Schwarzbuch Waffenhandel“ belegt, wie sich Politiker | |
> aller Couleur für die deutsche Rüstungsindustrie starkmachen. | |
Bild: Heckler & Koch P8 Pistole eines Bundeswehrsoldaten im Norden Afghanistans. | |
Jürgen Grässlin ärgert gerne Leute. Zumindest, wenn es sich um solche wie | |
Angela Merkel, die „Marketenderin der Todeswaffen“, oder den | |
Heckler-&-Koch-Investor Andreas Heeschen, den „Manager der Mortalität“, | |
handelt. Ansonsten ist der Freiburger Pazifist ein äußerst umgänglicher | |
Mensch. Er lacht viel, erzählt gerne Anekdoten und ist fast immer | |
optimistisch. | |
Zurzeit hat er allen Grund, zuversichtlich zu sein. Denn jüngst hat die | |
Rüstungsschmiede Heckler & Koch zugegeben, illegal G-36-Gewehre nach Mexiko | |
geliefert zu haben. Nun spricht alles dafür, dass sich die Firma vor | |
Gericht verantworten muss. Und das nur, weil Grässlin die Waffenbauer aus | |
dem schwäbischen Oberndorf vor drei Jahren wegen der widerrechtlichen | |
Exporte angezeigt hat. | |
Hier würde der 55-jährige Realschullehrer wohl widersprechen. Denn das lag | |
ja auch an den Journalisten, seinen Mitstreitern von der „Aktion Aufschrei | |
– Stoppt den Waffenhandel“, seinem Anwalt und nicht zuletzt dem Informanten | |
aus dem Inneren des Betriebes, ohne den er sich heute nicht so siegessicher | |
fühlen könnte. Aber zweifellos ist Grässlin der beste Kenner und | |
profilierteste Gegner der Waffenbauer und deren politischer Hintermänner. | |
Mit seinem jetzt erschienenen „Schwarzbuch Waffenhandel“ ärgert Grässlin | |
nicht nur die Schwarzwälder Gewehrproduzenten. Auf über 624 Seiten | |
beschreibt er, was bereits der Untertitel verspricht: „Wie Deutschland am | |
Krieg verdient“. In historischen Abrissen schildert der Pazifist, wie sich | |
Politiker aller Couleur für die deutsche Rüstungsindustrie starkmachen, | |
Banken fragwürdige Deals absichern und Manager todbringende Geschäfte mit | |
repressiven Regimes in aller Welt abwickeln. | |
Er erklärt, wie der CSU-Mann Franz Josef Strauß in den 1950er Jahren die | |
Produktion von Gewehren, Panzern und Maschinenpistolen wieder salonfähig | |
gemacht hat und Deutschland dank entsprechender Lobbyarbeit zum | |
drittgrößten Waffenlieferanten avancieren konnte. | |
## Panzer für die Saudis | |
Entlang zahlreicher Beispiele legt er dar, dass Firmen wie Rheinmetall, | |
Mercedes-Benz, Krauss-Maffei Wegmann, ThyssenKrupp oder EADS die | |
Exportrichtlinien ad absurdum führen, also in Länder exportieren, deren | |
Menschenrechtssituation als bedenklich gilt. Da geht es um die geplante | |
Lieferung von Leopard-2-Panzern nach Saudi-Arabien, um | |
Milan-Panzerraketensysteme, die zu Zeiten Muammar al-Gaddafis nach Libyen | |
gingen, oder um EADS-Grenzsicherungsanlagen, mit denen Algeriens Machthaber | |
Abdelaziz Bouteflika die EU-Agentur Frontex in der Abwehr von Flüchtlingen | |
unterstützen soll. | |
Und es geht um Kleinwaffen, die „Massenvernichtungswaffen der Neuzeit“, wie | |
Grässlin erklärt. Hier hat der Freiburger vor allem Heckler & Koch im | |
Blick; sie zu ärgern hat er sich zur Lebensaufgabe gemacht hat. Denn rund | |
zwei Millionen Menschen seien durch die Gewehre des Schwarzwälder | |
Unternehmens ums Leben gekommen, rechnet er vor. „Das ergibt für die | |
letzten 50 Jahre durchschnittlich 114 H-&-K-Opfer pro Tag.“ | |
Grässlin benutzt Quellen, die ihm kaum als tendenziell ausgelegt werden | |
können. Er verweist auf Rüstungsexportberichte der Bundesregierung wie auf | |
alternative Untersuchungen der Gemeinsamen Konferenz Kirche und Entwicklung | |
(GKKE) oder des Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri. Allein die | |
Menge am Fakten macht das Schwarzbuch zum Standardwerk über die tödlichen | |
Geschäfte. | |
Und es widerspricht jenen, die die Ausfuhren mit dem Interesse von | |
Wirtschaft und Arbeitsplätzen rechtfertigen wollen. Selbst nach Angaben der | |
Bundesregierung macht der Rüstungsexport nur 0,12 Prozent der deutschen | |
Ausfuhren aus. Trotz exorbitanter Verkaufs- und Umsatzsteigerung hat die | |
Branche die Zahl ihrer direkt Beschäftigten seit den 1980er Jahren von | |
400.000 auf 100.000 verringert. | |
## Täterprofil Joschka Fischer | |
Dass ihn in der Entwicklung Deutschlands zur drittgrößten | |
Rüstungsexportnation Joschka Fischer sehr beschäftigt und er dem ehemaligen | |
grünen Außenminister eines seiner „Täterprofile“ widmet, verwundert nich… | |
Auch Grässlin war mal bei den Grünen aktiv, mit Blick auf deren | |
Regierungszeit stellt er jedoch fest: „Statt einer | |
menschenrechtsorientierten Außenpolitik definierten letztlich militärisch | |
orientierte Sicherheitsinteressen und wirtschaftlich orientierte | |
Profitinteressen die Politik von Rot-Grün.“ Diese Kritik ist nicht neu. | |
Neu aber ist, dass sich Joschka Fischer im Bundessicherheitsrat, der heikle | |
Rüstungsgeschäfte absegnen muss, in der Regel für die umstrittenen | |
Ausfuhren starkgemacht hat. Kanzler Gerhard Schröder und „Herr Fischer | |
gingen immer mit vorab geklärten, meist die Rüstungsexporte befürwortenden | |
Vorabsprachen in die Runde“, zitiert Grässlich die damalige | |
SPD-Justizministerin Herta Däubler-Gmelin, die ihm einiges über die | |
internen Vorgänge in dem geheim tagenden Gremium erzählte. | |
Die Folgen von Fischers Haltung lassen sich im Rüstungsexportbericht der | |
Bundesregierung nachlesen: Der Wert der Kriegswaffenausfuhren verfünffachte | |
sich in der Zeit von 2002 bis 2005 von 318,4 Millionen auf 1,629 Milliarden | |
Euro. | |
## Fundamentalkritik | |
Kosovo, Afghanistan, Irak, Mexiko – Grässlin lässt keinen Kriegsschauplatz | |
aus. Überall zählt er die Toten, und jeder einzelne ist für ihn ein Opfer | |
der Rüstungsindustrie. Folgerichtig kritisiert er U-Boot-Exporte nach | |
Israel genauso wie die Tatsache, dass die palästinensische Hamas mit | |
schwäbischen Sturmgewehren mordet und das iranische Regime | |
G-36-Sturmgewehre in Lizenzproduktion herstellt. Im Libyenkrieg, so | |
prangert er an, schossen alle Beteiligten mit deutschen Waffen: Gaddafis | |
Truppen, die Rebellen und die Nato. Als konsequenter Pazifist wähnt sich | |
der 55-jährige Lehrer damit moralisch auf der sicheren Seite. | |
Mit seiner fundamentalen Kritik an jedem bewaffneten Vorgehen enthebt er | |
sich jedoch wie viele Friedensbewegte per se der Frage, wie | |
verantwortliches Handeln etwa im Syrienkonflikt aussehen könnte. Bislang | |
jedenfalls hat die internationale Zurückhaltung dazu geführt, die | |
Todesstatistik der Waffenbauer zu steigern. Und die Zahl jener, die durch | |
deutsche Gewehre aus den Arsenalen Gaddafis gestorben sind, wäre | |
möglicherweise bei einem Nichthandeln der Nato in Libyen höher gewesen, als | |
sie es jetzt ist. Nicht schießen ist jedenfalls nicht notwendigerweise die | |
moralisch integere Entscheidung. | |
Trotzdem hat Grässlin natürlich recht: Jede Waffe ist ein Mordwerkzeug, | |
jedes Sturmgewehr, das in Oberndorf produziert wird, ist eines zu viel. Das | |
hat er nicht nur auf 2.600 Veranstaltungen beschworen und den Beschäftigten | |
von Heckler & Koch schon oft beim Verteilen von Flugblättern am Werkstor | |
erklärt. | |
Immer wieder hat er Menschen in Somalia oder Kurdistan besucht, die Opfer | |
der schwäbischen Waffen wurden. Hat Männer getroffen, die ihr Leben lang | |
geistig behindert sind, weil sie von einer Kugel aus einem H-&-K-Gewehr am | |
Kopf getroffen wurden. Hat Kriegsversehrte besucht, deren zum Stumpf | |
geschrumpftes Bein sich immer wieder aufs Neue entzündet. Grässlin weiß | |
also genau, wovon er spricht. Auch das macht sein „Schwarzbuch | |
Waffenhandel“ so überzeugend. | |
4 Jun 2013 | |
## AUTOREN | |
Wolf-Dieter Vogel | |
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