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# taz.de -- Eurokolumne: Viel Asche, aber kein Phönix
> Gute Nachrichten aus Griechenland? Das hätten die Gesundbeter der Krise
> gerne – aber die Abwärtsspirale ist noch lange nicht durchbrochen.
Bild: Da sind sie wieder: Touristen auf der Akropolis.
Die jüngsten Meldungen aus Griechenland klingen toll. Die Wirtschaft des
Landes erhebe sich gerade wie „Phönix aus der Asche“. Anfang der Woche
wollte der Hedgefonds des Milliardärs John Paulson noch auf den Aufschwung
griechischer Banken wetten.
Hellas' Gesamtwirtschaft soll zudem so wenig schrumpfen wie seit dem
Ausbruch der Rezession 2008 nicht mehr: Die griechische Regierung sagt
voraus, das um die Inflation bereinigte Bruttoinlandsprodukt werde „nur“
noch um 3,8 statt wie erwartet 4,2 Prozent sinken. Vom „Aufstieg aus der
Talsohle“ ist die Rede - als ob man die Konjunkturmuster wettbewerbsfähiger
Volkswirtschaften auf Griechenland anwenden könne.
Ähnliche Erfolge meldet die Regierung in Athen auch zum öffentlichen
Haushalt. Ende Juli wies Griechenland einen Überschuss bei seinem
Primärsaldo aus: satte 2,6 Milliarden Euro Plus im Etat - wenn man die
leidigen Zinsbelastungen außen vor lässt.
War es also ein Irrtum, zu kritisieren, dass die Troika als Gegenleistung
für ihre Finanzhilfen eine Schrumpfpolitik verlangt? Ein Blick auf die
Fakten zeigt: keineswegs. Die Aufschwungsoptimisten haben Ursachen und
Kernprozess dieser tief greifenden Rezession auf der Basis einer
Strukturkrise immer noch nicht begriffen.
Die Abwärtsspirale ist längst nicht durchbrochen. Wie auch? Weiterhin muss
die griechische Regierung die Finanzhilfen dazu verwenden, die Inhaber
auslaufender Staatsanleihen auszuzahlen. In Aufbau und Stärkung der
Wirtschaft fließt bislang kein Euro. Zugleich führen Ausgabenkürzungen und
höhere Massensteuern dazu, dass die binnenwirtschaftliche Nachfrage
abgewürgt wird.
Als Ergebnis ist die Wirtschaft in sechs Rezessionsjahren um über 17
Prozent geschrumpft. Die Kaufkraft der Bevölkerung bewegt sich auf dem
Niveau des Jahres 1999.
## Es ist eine Systemkrise
Es handelt sich um eine Systemkrise. Die hohe Arbeitslosigkeit kommt in den
Pseudoerfolgsmeldungen natürlich nicht vor. Sie liegt derzeit bei über 28
Prozent, bei den Jugendlichen sogar bei knapp 65 Prozent. Qualifizierte
Arbeitskräfte wandern derzeit in Massen ins Ausland ab. Sie werden beim
Wiederaufbau der griechischen Wirtschaft fehlen.
Das Kernproblem bleibt, dass die negative Wirkung der Austeritätspolitik
auf die Gesamtwirtschaft und die staatlichen Finanzen völlig unterschätzt
wird. Sogar von höchster Stelle: So die EU-Kommission, als sie im Frühjahr
2011 ein Nullwachstum für 2012 vorhersagte - faktisch ging die
Wertschöpfung um sechs Prozent zurück.
Der aktuelle Aufschwungsoptimismus lässt sich auch auf einem anderen Weg -
durch einfache Mathematik - entzaubern: Je kleiner die Basis ökonomischer
Wertschöpfung, desto schneller sind auch mit kleinsten absoluten Zuwächsen
der Produktion akzeptable Wachstumsraten zu erreichen.
## Schäbige Motive
Die Motive der Gesundbeter sind schäbig: Mit den scheinbaren
Erfolgsmeldungen wollen sie die unvermeidbare dritte Runde an Finanzhilfen
aus dem Rettungsfonds torpedieren. Die Hedgefonds, denen die
gesamtwirtschaftliche Lage gleichgültig ist, wetten dagegen auf Profite aus
Anteilen an griechischen Banken, die zuvor mit öffentlichen Kapitalhilfen
gerettet wurden. Zugleich erhöhen die Kapitalsammler den Druck auf Athen,
die Privatisierung des Bankensektors voranzutreiben.
Griechenlands Lage schönzureden, ist also gefährlich dumm. Es geht um eine
tief greifende Krise der dortigen Binnen- und Außenwirtschaft. Aus der
durch die Sparpolitik erzeugten Asche kann kein Phönix emporsteigen.
Also: Wir brauchen ein Finanzierungsprogramm für die Schulden und/oder
einen erneuten Schuldenschnitt. Zugleich ist es nötig, das Sparen zu
beenden und stattdessen Gelder in den Aufbau Griechenlands zu lenken. Dabei
müssen endlich wettbewerbsfähige Strukturen entwickelt werden. Die Griechen
brauchen exportstarke mittelständische Unternehmen. Der Beitrag, den die
Regierung aber vor allem liefern sollte, ist eine Reform ihrer eigenen
Strukturen. Das Ziel: eine „Good Gouvernance“.
14 Oct 2013
## AUTOREN
Rudolf Hickel
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