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# taz.de -- Hamburger Kirchenasyl für Flüchtlinge: Olaf Scholz schaut nicht v…
> Eine Flüchtlingsgruppe bewohnt mit Duldung des Pastors eine Kirche in St.
> Pauli. Seit der Razzia vom Wochenende fragen sich viele, wie es nun
> weitergeht.
Bild: Demonstration von „Lampedusa in Hamburg“ und Unterstützern.
HAMBURG taz | Pastor Sieghard Wilm wünscht einen guten Tag und legt den
Hörer auf. „Man munkelt, die Polizei würde heute vorbeischauen,“ erklärt…
ruhig und lächelt milde. „Das haben wir schon oft gehört, aber es ist
nichts passiert.“ Diesmal soll es anders kommen. Doch davon weiß Pastor
Wilm, wissen die 80 afrikanischen Flüchtlinge, die seit Juni in der St.
Pauli Kirche Unterschlupf gefunden haben, an diesem Morgen noch nichts. Es
herrscht Alltag auf dem Kirchengelände – Frühstücken, Laub harken, Wäsche
trocknen. Ein Banner, auf dem „Embassy of Hope,“ „Botschaft der Hoffnung�…
steht, begrüßt die Besucher.
Am Wochenende wird ein Fußballspiel stattfinden. Die Flüchtlinge haben eine
Mannschaft gegründet, den FC Lampedusa, der rege Kontakte zum FC St. Pauli
unterhält. Regelmäßig gibt es Freundschaftsspiele und gemeinsame Ausflüge
zu den Spielen. Ein paar Meter von der Kirche entfernt, in der Hafenstraße,
arbeiten einige der Flüchtlinge an einem neuen Wandbild. „Die Einbindung in
die Stadtteilkultur ist ein wichtiges Element der Solidarisierung,“ sagt
Pastor Wilm.
Auch über die Grenzen St. Paulis hinaus sind die Mitglieder der insgesamt
etwa 300 Personen zählenden Gruppe „Lampedusa in Hamburg“ in kulturelle
Aktivitäten und Projekte involviert. Im September gab es eine Lesung von
Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“, aufgeführt von Schauspielern des
Thalia Theaters gemeinsam mit den Flüchtlingen in der St. Pauli Kirche vor
600 Besuchern.
Vor zwei Wochen besetzten einige der Männer gemeinsam mit dem Künstlerpaar
Nadja und Dr. Hollihore ein Kunstwerk des spanischen Künstlers Santiago
Sierra in der Sammlung Falckenberg. Und als die Hochschule für bildende
Künste in Hamburg kürzlich 100-jähriges Jubiläum feierte, tauschten
Studenten ihre Plätze im Festsaal mit Flüchtlingen. Diese übergaben dem
völlig überraschten Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) eine selbstgefertigte,
kleine Galionsfigur – als Geschenk und mit der Einladung, er möge doch mal
in der St. Pauli Kirche vorbeischauen.
## Neue Formen des Aufstands
Hier wird mit dem häufig üblichen Schicksal von Flüchtlingen, die durch die
Angst, entdeckt zu werden, in Vereinzelung und Isolation getrieben werden,
gebrochen. Mit Gruppen wie „Lampedusa in Hamburg“ entstehen neue Formen des
Aufstands von Migranten, in denen Kunst zur Ausdrucksform politischer
Anliegen wird.
„Wir sind viele,“ sagt Kwadjo, einer der Sprecher der Gruppe aus der St.
Pauli Kirche. Als gebürtiger Ghanaer hatte er lange in Libyen gelebt, bevor
er vor drei Jahren in den Wirren des Kriegs nach Italien übersetzte.
Letzten Winter kam er nach Hamburg, wo er sich mit den anderen
afrikanischen Flüchtlingen zusammenschloss. „Wir können die Menschen mit
unseren Aktionen auf unsere Lage aufmerksam machen.“ Die kreative
Artikulation der Flüchtlinge setzt der geschürten Angst vor
„Flüchtlingsmassen“ eine klare Stimme entgegen.
Doch seit dem Wochenende ist nicht mehr klar, ob es weitere Fußballspiele
geben wird, ob die Flüchtlinge das Wandbild fertigstellen können. Auch, ob
die Männer die Möglichkeit haben, die Ausstellung Santiago Sierras weiter
zu besetzen, steht in den Sternen: Am Freitagnachmittag, eine Woche nach
dem letzten verheerenden Schiffsunglück vor Lampedusa, machen sich
Polizisten auf den Weg nach St. Pauli und St. Georg, den zentralen
Aufenthaltsorten der Flüchtlingsgruppe. Die Afrikaner, die sich auf den
umliegenden Straßen der Kirchen befinden, werden kontrolliert und in
Gewahrsam genommen.
Aus der Gruppe der St. Pauli Kirche trifft es etwa 10, insgesamt über 20
Männer. Obwohl sie abends wieder freikommen, kennt die Polizei nun ihre
Identitäten und hat ihre Fälle an die Innenbehörde weitergegeben. Das
wollten die Flüchtlinge vermeiden, da sie dann Gefahr laufen, nach Italien
abgeschoben zu werden – das Land, in dem sie zuerst europäischen Boden
betraten. „No way back to Italy“ hieß eine Veranstaltung der „Lampedusa …
Hamburg“-Gruppe – bloß nie wieder nach Italien.
## Der Kampf geht weiter
„Wir sind geschockt von den Ereignissen“, sagt Kwadjo. Die Stimmung der
Gruppe sei nicht gut. Die Hoffnung aber ist ungebrochen. Während am Tag
nach den Kontrollen vor den Toren der Kirche eine Demo stattfindet, bauen
einige Afrikaner auf dem Kirchengelände eifrig an einer Bank. Die Steine
vor der Kirche werden langsam zu kalt zum Sitzen.
Über den Sommer sind die Flüchtlinge zu St. Paulianern geworden. Der
Stadtteil, der seit jeher über den Hafen Menschen verschiedener Kulturen
angezogen hat, hat sie aufgenommen und wie selbstverständlich integriert.
Trotz der großen Solidarität der Bewohner im Stadtteil drohen ernsthafte
Schwierigkeiten. Der Winter naht, und die Kirche ist unbeheizt. Pläne, den
Flüchtlingen Container für die Überwinterung auf dem Kirchengelände
aufzustellen, wurden bisher abgelehnt. Der Hamburger Senat lässt keinen
Zweifel daran, dass es für die Lampedusa-Gruppe „keine Perspektive“ gebe,
wie es Olaf Scholz kürzlich ausdrückte.
Noch aber sind sie da, noch sind sie laut. Noch flattert das Banner
„Embassy of Hope“ im starken Wind.
15 Oct 2013
## AUTOREN
Carla Baum
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