| # taz.de -- Humanitäre Notlage in Syrien: Niederknien oder verhungern | |
| > Im Raum Damaskus sind mehrere Städte von den Regierungstruppen | |
| > abgeriegelt. Ihr Widerstand wird durch Aushungern gebrochen. | |
| Bild: Eine der seltenen Lebensmittellieferungen in Aleppo | |
| BERLIN taz | „Als ich durch eine der Straßen der Stadt ging, fiel mir eine | |
| Gruppe von Kindern auf, die in einer der Mülltonnen nach etwas Essbarem | |
| suchten. Das ist einer der Orte, wo man noch nach Essen wühlen kann. Aber | |
| sie haben nichts gefunden – die Anwohner haben damit aufgehört, ihre Reste | |
| wegzuwerfen; alles Essbare wird jetzt aufgehoben. | |
| […] In einem Haus fanden wir eine Gruppe von Jugendlichen, die schweigend | |
| dasaßen. Als wir sie fragten, warum sie nicht sprechen, sagte einer von | |
| ihnen: ’Wir haben seit zwei Tagen nichts gegessen, nicht, weil wir es | |
| vergessen haben, sondern weil es nichts zu Essen gibt. Also sitzen wir | |
| schweigend herum, denn Reden verbraucht Kalorien, die notwendig sind und | |
| die nicht ersetzt werden können.’“ | |
| Der Autor dieser Zeilen, dessen Name nicht bekannt ist, lebt in der Stadt | |
| Muadamija, südwestlich der syrischen Hauptstadt Damaskus. Amnesty | |
| International veröffentlichte seinen Blog, nachdem er sich an die | |
| Menschenrechtsorganisation gewandt hatte. | |
| Muadamija ist eine der Städte und Vororte in Damaskus und Umgebung, die von | |
| Truppen des Regimes von Baschar al-Assad belagert werden. Einst lebten | |
| 98.000 Menschen in der Stadt; heute harren noch etwa 8.000 aus. Muadamija | |
| liegt an einer Ausfallstraße aus Damaskus, südlich des Militärflughafens | |
| der Stadt, und ist damit für das Regime von strategischer Bedeutung. | |
| ## Abgeriegelte Städte | |
| Im Raum Damaskus gibt es neben Muadamij weitere belagerte Orte, darunter | |
| al-Jarmuk, wo vor allem palästinensische Flüchtlinge leben, dann Daraya, | |
| Ost-Ghouta, Qudsaja, Duma und Irbin sowie weiter nördlich die Altstadt von | |
| Homs. In der Regel darf niemand raus oder rein, es gibt keinen Strom, keine | |
| Lebensmittel, keine Medikamente. | |
| Die UNO schätzt die Zahl der Eingeschlossenen, denen jedwede Hilfe | |
| verweigert wird, inzwischen auf 250.000 Personen. Nach Angaben des | |
| UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind in Ost-Ghouta 160.000 Menschen | |
| betroffen, 25.000 (von beiden Konfliktparteien) in Jarmuk, 9.000 in Daraya | |
| und 4.000 in Homs. | |
| Valerie Amos, Nothilfekoordinatorin der UNO, griff am Dienstag in einer | |
| Sitzung des Sicherheitsrats dieses Thema auf. Hinsichtlich der | |
| Möglichkeiten, der Zivilbevölkerung zu helfen, sagte sie kurz und knapp: | |
| „Wir haben keinen Fortschritt gesehen.“ Eine leichte Verbesserung gab es | |
| bei der Ausstellung von Visa für Mitarbeiter; erhöht wurde auch die Zahl | |
| der erlaubten Hilfskonvois. Nach durchschnittlich drei in den vergangenen | |
| Monaten wurden im November sieben Konvois zugelassen. | |
| Amos fügte hinzu, dass es abgesehen von den 250.000 belagerten Personen, | |
| die nicht zu erreichen sind, weitere 2,5 Millionen befänden sich in | |
| Gebieten, wo der Zugang nur unter sehr erschwerten Bedingungen möglich sei | |
| – aufgrund von Kämpfen oder Behinderungen durch die Kriegsparteien. | |
| ## Essen als Erpressung | |
| Angesichts der schwierigen Lage in den abgeriegelten Orten haben einige | |
| Kommunen inzwischen einen Waffenstillstand mit dem Regime ausgehandelt oder | |
| sind dabei, es zu tun, wie etwa Qudsaja oder al-Jarmuk. Auch in | |
| al-Muadamija gibt es mittlerweile ein Angebot des Regimes: Die Bewohner | |
| müssten an allen hohen Gebäuden der Stadt die Flagge des Regimes anbringen, | |
| alle Waffen abgeben und alle Deserteure überstellen. Zudem müssten alle die | |
| Stadt verlassen, die nicht gebürtig aus Muadamija sind. Auch der Aktivist | |
| Qusai, der dies gegenüber der deutschen Solidaritäskampagne „Adopt a | |
| Revolution“ berichtet, wäre demnach ein „Fremder“, obwohl er seit Jahren… | |
| Muadamija wohnt. | |
| Die zugesicherte Gegenleistung des Regimes wäre aber nicht, die Belagerung | |
| aufzuheben. Es soll lediglich Essen in kleinen Portionen in die Stadt | |
| geliefert werden. „Obwohl Muadamija ein Gefängnis bleiben wird, sind wohl | |
| die meisten Menschen inzwischen bereit, ein solches Abkommen zu | |
| unterzeichnen, Hauptsache das Bombardement hört auf und das Aushungern wird | |
| gestoppt“, schätzt Qusai die Lage ein. Auch wenn er selbst stark Hunger | |
| leidet, teilt er diese Haltung nicht: „Wir dürfen uns nicht auseinander | |
| dividieren lassen. Wenn wir hier aufgeben, dann fällt auch Daraja, dann | |
| fällt die Revolution.“ | |
| Dem Spruch „Beugt euch oder sterbt vor Hunger“, den Milizen des Regimes an | |
| den Ortseingängen von Muadamija angebracht haben, haben die AktivistInnen | |
| inzwischen ihren sehr eigenen Slogan entgegengesetzt: „Lieber hungern als | |
| niederknien.“ | |
| 6 Dec 2013 | |
| ## AUTOREN | |
| Beate Seel | |
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