# taz.de -- Debatte Flüchtlingshilfe: Sterben leicht gemacht | |
> Syrische Notleidende sind der UN halb so viel wert wie palästinensische. | |
> Das zeigt ein Zahlenvergleich. Die internationale Hilfe ist beschämend. | |
Bild: Syrische Flüchtlinge bei der Registrierung in Arsal: Etwa 1,1 Millionen … | |
Während Tripolis erwacht, drängen sich schon die ersten Syrer vor der | |
Vertretung des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR). Tripolis ist | |
jene Stadt im Libanon, die bisher am weitesten in den Strudel des syrischen | |
Bürgerkriegs hineingezogen wurde. Das UNHCR-Büro gleicht deshalb einer | |
Festung. | |
Draußen lehnen sich Flüchtlinge an die Umfassungsmauer und genießen für | |
einen Augenblick die wärmenden Strahlen der Morgensonne. Manche von ihnen | |
haben die letzte Nacht in Bauruinen oder Schulen verbracht. Nun wollen sie | |
sich beim UNHCR registrieren lassen – in der Hoffnung auf ein bisschen | |
Hilfe. | |
Eigentlich müsste man per Hotline einen Termin vereinbaren. Doch ein | |
Durchkommen ist fast nicht möglich. Viele versuchen es auf gut Glück. Noch | |
vor dem großen Kontrollposten am Eingang stehen sie Schlange vor einem | |
kleinen Verschlag und warten darauf, das Gelände betreten zu dürfen. | |
Die nächste Wartezone befindet sich unter einem Sonnendach. Auch dort | |
passiert zuerst einmal nichts. Später nimmt eine Frau an einem Tisch die | |
Personaldaten der Flüchtlinge entgegen, überträgt sie auf ein Formular und | |
verteilt dann eine Nummer, die irgendwann von einem Sicherheitsbeamten | |
aufgerufen wird. Damit gelangt man in einen weiteren Wartesaal. Diesmal | |
geht es darum, die Ausweispapiere kopieren zu lassen. Dann wieder Warten | |
auf Plastikstühlen. Erst danach folgt das eigentliche Interview durch eine | |
Mitarbeiterin. | |
Jeden Tag registriere das UN-Hochkommissariat im Libanon 3.000 syrische | |
Flüchtlinge, erzählt Roberta Russo, die Kommunikationsbeauftragte im | |
Beiruter Hauptsitz des UNHCR. Insgesamt seien mehr als 833.000 Syrer | |
gemeldet. | |
In Wirklichkeit leben inzwischen mehr als 1.100.000 syrische Flüchtlinge im | |
kleinen Libanon mit seinen vier Millionen Einwohnern. Das wäre so, als | |
kämen plötzlich 20 Millionen Flüchtlinge nach Deutschland. Der Zustrom | |
überfordert nicht nur die Libanesen, sondern auch das | |
Flüchtlingshochkommissariat, wie Russo unumwunden zugibt. | |
Von den 1,7 Milliarden Dollar, die das UNHCR dieses Jahr für die Versorgung | |
der syrischen Flüchtlinge brauche, habe man nur gerade 38 Prozent in Form | |
von Spenden erhalten. Das wirkt beschämend für die sogenannte | |
internationale Gemeinschaft, von der sich einige Länder, darunter die USA, | |
Großbritannien, Frankreich und Deutschland, zur „Gruppe der Freunde des | |
syrischen Volkes“ zusammengeschlossen haben. | |
## Nur die Gehälter sind großzügig | |
Außerdem müssen mit den 38 Prozent nicht nur die Flüchtlinge alimentiert | |
werden, sondern auch die ausufernde UN-Bürokratie, die ihren Mitarbeitern | |
im Vergleich zu anderen Hilfsorganisationen zum Teil astronomische Gehälter | |
bezahlt. | |
Angesichts des Geldmangels erstaunt es nicht, dass sich das | |
Welternährungsprogramm (WFP), eine andere UN-Organisation, im November | |
gezwungen sah, 30 Prozent der Flüchtlinge im Libanon von den | |
Empfängerlisten für Nahrungsmittelgutscheine zu streichen. Verkauft wurde | |
die Aktion als Programm, um die Hilfe besser auf jene Flüchtlinge zu | |
fokussieren, die am meisten Not litten. Dabei haben die UN-Bürokraten nicht | |
die Kapazität, um informierte Entscheidungen zu treffen, wer am ehesten | |
ohne die Essensgutscheine überleben kann. | |
## Nahrungsmittelhilfe gestrichen | |
Bei den Recherchen im Libanon traf ich zum Beispiel einen jungen | |
Kriegsverletzten, der nur auf einer Matratze am Boden liegen konnte und | |
dessen linkes Bein nach einer Operation um zehn Zentimeter kürzer war als | |
das rechte. Ihm hatte man die Nahrungsmittelhilfe genauso gestrichen wie | |
einer Mutter, deren kleiner Sohn an einem Gehirntumor leidet. | |
Noch bitterer sieht es in Syrien selbst aus. Dort irren nach UN-Angaben | |
schätzungsweise 6,5 Millionen Menschen als intern Vertriebene umher. Nimmt | |
man die offiziellen Zahlen des UN-Büros für die Koordination humanitärer | |
Angelegenheiten (OCHA) zum Maßstab, dann stehen derzeit etwa 840 Millionen | |
Dollar für die Hilfe zugunsten dieser Vertriebenen zur Verfügung. Das | |
entspricht knapp 130 Dollar pro Mensch und Jahr. | |
Doch nicht in allen Konflikten wird mit gleichem Maß gemessen. So gibt es | |
eine eigene UN-Behörde, die sich seit 63 Jahren um das Los der aus Israel | |
vertriebenen Palästinenser kümmert. Von jenen Palästinensern einmal | |
abgesehen, die jetzt in Syrien quasi zum zweiten Mal Flüchtlinge wurden, | |
lässt sich die Situation der seit vielen Jahren im Gazastreifen oder | |
Westjordanland lebenden Bevölkerung kaum mit jener der syrischen | |
Flüchtlinge vergleichen. | |
## Ungleiche Budgets | |
Dennoch budgetierte die UN-Agentur für die palästinensischen Flüchtlinge | |
(UNRWA) dieses Jahr 627 Millionen Dollar für die rund 2,1 Millionen | |
Menschen, die das Hilfswerk dort betreut. Das sind etwa 295 Dollar pro Kopf | |
und Jahr, also mehr als doppelt so viel, wie der UN ein Vertriebener in | |
Syrien „wert“ ist. | |
Während meiner insgesamt sieben Reisen durch Nord- und Zentralsyrien ist | |
mir in den letzten zwei Jahren kein einziger Vertreter einer westlichen | |
Hilfsorganisation begegnet. Nicht nur das. Nicht einmal von Weitem habe ich | |
ein Emblem, eine Fahne oder eines der weißen Geländefahrzeuge der Helfer | |
gesehen, die in anderen Konfliktgebieten sonst allgegenwärtig sind. | |
#Selbst als Hilfe in den syrischen Rebellengebieten noch möglich war, | |
glänzten die sogenannten Nichtregierungsorganisationen durch Abwesenheit. | |
Sie überließen das Feld ihren islamistischen Kollegen aus dem arabischen | |
Raum, die Nahrungsmittel, Medikamente und andere Hilfsgüter bereitwillig | |
verteilen – und dabei mittelalterliche Vorstellungen vom Islam und der | |
Rolle der Frau verbreiten. | |
## Westliche Hilfe nicht mehr möglich | |
Inzwischen ist es zu spät, das Rad zurückzudrehen. Al-Qaida-Terroristen aus | |
dem Irak haben im Verbund mit anderen ausländischen Dschihadisten die Macht | |
in weiten Teilen der Rebellengebiete übernommen. Westliche Hilfe ist dort | |
nun ebenso wenig möglich wie unabhängige Berichterstattung. Wer trotzdem | |
als Nichtmuslim in die von Rebellen beherrschten Zonen reist, riskiert sein | |
Leben. | |
Eine der wenigen großen Hilfsorganisationen, die noch in Syrien arbeitet, | |
ist das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK). Dieses Jahr gibt das | |
Hilfswerk mehr als 100 Millionen Dollar allein in Syrien aus – die Hilfe | |
für Flüchtlinge in den Nachbarländern nicht eingerechnet. | |
Doch Hilfe im Syrien von Diktator Assad hat seinen Preis. Wie andere | |
Hilfsorganisationen muss auch das Rote Kreuz mit dem Syrisch-Arabischen | |
Roten Halbmond zusammenarbeiten. Der ist auf dem Papier zwar unabhängig, in | |
Wirklichkeit aber eine weitgehend vom Regime gesteuerte Organisation. Dass | |
viele syrische Helfer des Roten Halbmonds ihr Leben riskieren, um auf | |
beiden Seiten Verwundeten zu helfen oder Nahrungsmittelpakete zu verteilen, | |
ändert daran nichts. | |
## Der Rote Halbmond in Syrien | |
Präsident des Roten Halbmonds ist Abdul Rahman Attar, einer der reichsten | |
Geschäftsleute Syriens. Er steht dem Regime nahe und hat schon für Assads | |
Vater Hafis versucht, in den USA militärische Kommunikationsausrüstung zu | |
beschaffen, wie aus Wikileaks-Dokumenten hervorgeht. Die Funkgeräte waren | |
für den berüchtigten Geheimdienst der Luftwaffe bestimmt. Zudem ist Attar | |
Geschäftspartner von Assads Cousin Rami Machluf, der Gewalttaten gegen | |
Demonstranten finanziert hat und daher auf einer Sanktionsliste der EU | |
steht. | |
Vor diesem Hintergrund ist es nicht erstaunlich, dass sich das IKRK mit | |
Kritik an den Vernichtungsfeldzügen des Regimes zurückhält. Dies gilt nicht | |
nur für die Giftgasangriffe in Damaskus, sondern auch für das Aushungern | |
ganzer Stadtteile von Homs und Damaskus durch die Regierungstruppen. | |
Das Schweigen des Roten Kreuzes zu den vielleicht schlimmsten | |
Kriegsverbrechen seit dem Bosnienkonflikt wird übrigens nicht besser, wenn | |
man zugleich versäumt, die Menschenrechtsverletzungen verschiedener | |
Rebellengruppen anzuprangern. | |
16 Dec 2013 | |
## AUTOREN | |
Kurt Pelda | |
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