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# taz.de -- Syrische Flüchtlinge: Hoffnung Europa
> Etwa 700.000 Syrer sind in die Türkei geflüchtet. Viele haben keinen
> Pass, keine Rechte, keine Perspektive. Deshalb wollen sie weiter.
Bild: Menschen aus Aleppo in einem Istanbuler Park
ISTANBUL taz | Zuerst kamen die Bomben des Regimes, dann die kurdischen
Kämpfer und schließlich die sunnitischen Extremisten. Hevin und Mustafa
Hamdush beschlossen, alles stehen und liegen zu lassen: das Haus in Aleppo
im Norden Syriens, den Friseursalon und das Möbelgeschäft. Zusammen mit
Dutzenden anderen steigen sie in fünf kleine Busse und machen sich auf den
Weg zur Grenze.
Doch schon nach wenigen Kilometern ist die Fahrt zu Ende. An einem
Checkpoint halten sie Kämpfer des „Islamischen Staats im Irak und in
Syrien“ an, der Al-Qaida-Ableger, der einen Kalifatstaat errichten will, in
dem Andersdenkende enthauptet werden und Frauen sich von Kopf bis Fuß
verschleiern müssen.
„Zwei Tage mussten wir auf dem nackten Boden hocken und wurden verhört“,
sagt Mustafa Hamdush. „Ein Scheich mit langem Bart hielt die ganze Zeit
einem von uns seine Kalaschnikow an den Kopf.“ Ihren Fahrer sahen die
Hamdushs nie wieder.
Jetzt, zwei Monate später, sitzen sie in einer kleinen Wohnung in Istanbul.
Es ist eng und kühl. Elf Personen, vier Erwachsene und sieben Kinder,
teilen sich drei kleine Zimmer. „Immerhin haben wir ein Dach über dem
Kopf“, sagt Hevin Hamdush. „Es ist ja nur vorübergehend.“
Ein zaghaftes Lächeln macht sich auf ihrem schmalen Gesicht breit. Wenn
alles klappt, wie sie es sich wünscht, ist Istanbul nur eine
Zwischenstation. Die Familie will weiter nach Europa. So wie Tausende von
Syrern.
## Fliehen nur noch mit Pass
Rund 700.000 syrische Flüchtlinge hat die Türkei nach Angaben der Regierung
bislang aufgenommen. Doch das Land stößt an den Rand seiner Kapazitäten.
Die Flüchtlingslager im Grenzgebiet sind mit 200.000 Personen längst
überfüllt. Eine halbe Million Syrer leben mittlerweile in den Großstädten.
Deshalb lässt die Regierung seit Längerem nur noch Flüchtlinge mit Pässen
ins Land.
Doch die Zahl der Neuankömmlinge reißt nicht ab. Wie viele Syrer täglich
wie die Hamdushs mit Hilfe von Schmugglern über die Grenze kommen, weiß
niemand. Ohne Pass können sie keine Aufenthaltsgenehmigung beantragen, und
ohne diese können sie keiner legalen Beschäftigung nachgehen und ihre
Kinder nicht zur Schule schicken.
Vor allem wegen der Kinder wollten sie nach Europa, sagt Hevin Hamdush. Ihr
Ältester wäre in diesem Jahr eingeschult worden. Die Familie ihrer
Schwägerin Mizgin, die ihnen Unterschlupf gewährt, hat selbst zwei
schulpflichtige Kinder. Allein in diesem Quartier im Westen von Istanbul
gibt es Dutzende von Familien, deren Kinder keine staatliche Schule
aufnimmt, weil sie nicht die nötigen Papiere besitzen.
Mizgin Hamdush ist Lehrerin, sie würde die Kinder umsonst unterrichten,
wenn man ihr einen Raum gäbe. Doch ohne Aufenthaltsgenehmigung geht nicht
einmal das. Es ist der Wunsch aller Eltern, der auch sie nach Europa zieht:
„Meine Kinder sollen in Frieden aufwachsen“, sagt die 33-Jährige. „Sie
sollen den Krieg vergessen und eine gute Ausbildung bekommen.“
## Tausende Euro für die Schmuggler
Die Türkei ist seit Langem eines der wichtigsten Transitländer für
Flüchtlinge aus dem Nahen und Mittleren Osten. Schmuggler organisieren für
mehrere tausend Euro die Fahrten über Griechenland oder den Balkan nach
Zentral- und Nordeuropa. Bisher hat die türkische Polizei beide Augen
zugedrückt. Das könnte sich nun ändern.
Nach jahrelangen Verhandlungen hat sich die Türkei mit der EU auf
Rücknahmeabkommen geeinigt. Damit verpflichtet sich Ankara, Flüchtlinge,
die auf illegalem Weg aus der Türkei in die EU gelangen, wieder
aufzunehmen. Im Gegenzug hat die EU mit Ankara Gespräche über die
Erleichterung der Visabestimmungen für türkische Staatsbürger aufgenommen.
Der Druck, gegen die Schmuggler vorzugehen, wächst.
Schon jetzt macht sich unter den Einheimischen Unmut gegenüber den Syrern
breit. „Die Syrer nehmen uns die Arbeitsplätze weg“, schimpft ein
Gemüseverkäufer. „Es ist ja richtig, dass die Regierung ihnen hilft“, wir…
ein Kunde ein. „Aber hier gibt es auch genug Arme. Wer kümmert sich um
die?“
Auch wegen dieser Stimmung wollen die Hamdushs weg. „Die Türkei hat uns
aufgenommen, dafür sind wir dankbar“, sagt die 27-Jährige. Wieder lächelt
sie scheu. „Aber vier, fünf Jahre können wir so nicht leben. Unsere Kinder
brauchen eine Zukunft.“
17 Dec 2013
## AUTOREN
Inga Rogg
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