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# taz.de -- Kommentar Europawahl-Ergebnis: Schockwelle für das Parteiensystem
> In Deutschland ist man sturzzufrieden, die Wahl bestätigt das
> Parteiensystem. Der Rest des Kontinents driftet hingegen gefährlich
> auseinander.
Bild: Die böse Fratze Europas: Nigel Farage von der britischen Ukip.
Aus Berlin betrachtet ist die Welt mal wieder völlig in Ordnung. Alle außer
der FDP freuen sich, vor allem aber: Der Parteien-Laden als ganzer ist so
stabil, dass es stabiler kaum geht: Die Konservativen haben gewonnen, dann
kommen die Sozialdemokraten …
Mit dieser Normalität steht Deutschland ziemlich allein – quer durch den
Kontinent hat diese Wahl so manches nationales Parteiensystem in den
Grundfesten erschüttert. Der kometenhafte Aufstieg der Ukip in
Großbritannien, der Triumph der Front National in Frankreich, der massive
Einbruch sowohl der Konservativen als auch der Sozialisten in Spanien, der
kometenhafte Aufstieg von Syriza in Griechenland: In vielen Ländern der EU
wurde der Wahlgang zur möglicherweise traumatischen Schockwelle.
Mancher Kommentator tröstete sich schon in den Vortagen mit der wohlfeilen
Überlegung, am Ende würden die „Anti-Europäer“ ja doch bloß bei 20 Proz…
liegen – macht 80 Prozent für Europa. Auch so kann man sich die Realität
schönreden: eine Realität, in der zerbröselnde Parteiensysteme zu
beobachten sind, eine Realität, in der Gestalten wie Marine Le Pen oder
Nigel Farage in Zukunft nicht mehr bloß auf Platz, sondern auf Sieg
spielen.
## Eine Wahl der Wut
Vor allem Deutschland täte gut daran, diese Realität endlich zur Kenntnis
zu nehmen. Dier Wirtschaft brummt, die Euro-Krise ist (vorerst wenigstens)
dank deutscher Diktate ganz im Berliner Sinn „gelöst“, das Gros der
Bevölkerung ist genauso sturzzufrieden wie seine Politiker – und reibt sich
einigermaßen verwundert die Augen: Denn anderswo war die Wahl vor allem
eine Wahl der Wut.
Eine Wutwahl mit ganz unterschiedlichen nationalen Ausprägungen allerdings.
Bemerkenswert ist vorneweg, dass der massive Vormarsch der Rechtspopulisten
in erster Linie gar nicht jene Länder Südeuropas traf, die am stärksten von
der Euro-Krise betroffen sind.
Die FPÖ in Österreich, die Volkspartei in Dänemark, auch die UKIP in
Großbritannien, ja auch Front National in Frankreich: Sie punkten in
Ländern, in denen die Lage im Vergleich zum Süden des Kontinents
vergleichsweise gemütlich ist. Sie zählen auf Wähler, die Europa den Rücken
wenden wollen, weil sie glauben, sich diesen Schritt leisten zu können, mit
einem stramm-rechten Votum gegen „Ausländer“, für die „Souveränität�…
„Schmarotzer“ und Europa.
Ganz andere Trends sind in Südeuropa zu verzeichnen. Auch wenn das in
Deutschland nicht so auffällt – es ist schon etwas anderes, ob jemand
prinzipiell gegen die EU wettert oder gegen Merkels Krisenkurs, ob jemand
vorschlägt, jener EU einfach den Rücken zu kehren oder aber auf eine
radikale Änderung des Kurses in Europa hinarbeitet.
## Die demokratische Reife Südeuropas
Es ist interessant, dass selbst in Griechenland die Nazis von der Goldenen
Morgenröte bei 10 Prozent hängenblieben, während das Gros der Unzufriedenen
links wählte, für die Syriza von Alexis Tsipras. Ebenso interessant ist,
dass Italiens Wähler die rechtspopulistischen Angebote diverser
Anti-Euro-Parteien verschmähten, dafür massiv bei Beppe Grillos
Fünf-Sterne-Bewegung ihr Kreuz machten – einer Bewegung, deren Anhänger in
der großen Mehrheit den Kurswechsel, nicht aber den Abschied von Europa
wollen.
Auch in Spanien oder Portugal sind radikal rechts Kräfte eher randständig.
Wir können es auch so sagen: Der Süden des Kontinents hat eine weit größere
demokratische Reife bewiesen als der Norden.
Nun sollte diese EP-Wahl mit ihren Spitzenkandidaten doch dazu dienen,
endlich die demokratische Normalität der gegeneinander antretenden
Alternativen endlich auf die europäische Ebene zu heben. Doch so
unterschiedlich die Dynamiken in den verschiedenen Teilen Europas sind, so
gleich könnte ihr Resultat sein: Überall, so ist zu befürchten, könnten sie
den Trend entweder zur Großen Koalitionen befördern – oder aber dazu, dass
die gemäßigt konservativen Kräfte offen die radikal Rechten umwerben.
Aus dieser Ecke kann Europa nur herauskommen, wenn auch in Deutschland
echtes Nachdenken über das Wahlresultat einsetzt. Sonst droht in der
Politik, was wirtschaftlich ja schon Realität ist: Der Kontinent driftet
gefährlich auseinander, zwischen einem bestens gelaunten Deutschland und
dem großen, äußerst missgestimmten Rest.
26 May 2014
## AUTOREN
Michael Braun
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