| # taz.de -- Grüne Bezirksbürgermeisterin in Berlin: Planlos durch Kreuzberg | |
| > Ein Spaziergang mit Monika Herrmann, die vor einem Jahr zur | |
| > Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg gewählt wurde. | |
| Bild: Monika Herrmann bei einer Podiumsdiskussion im April | |
| BERLIN taz | Dass es ausgerechnet die Dealer sind, die an einem | |
| Freitagmorgen ein Lächeln für ihre Bezirksbürgermeisterin übrig haben, | |
| scheint Monika Herrmann zu belustigen. Die Männer, die am Ausgang des | |
| Görlitzer Parks Spalier stehen, grüßen freundlich: „Guten Morgen, Herrmann. | |
| Alles klar?“ Monika Herrmann nickt, lächelt – und geht zügig weiter. Eine | |
| kurze Begegnung nur – und doch illustriert sie, wie sich die seit einem | |
| Jahr amtierende Grüne Monika Herrmann sieht. In ihrer Funktion als | |
| Bürgermeisterin, in ihrem Kiez. Oder besser, in dem Teil des Bezirks, der | |
| die öffentliche Wahrnehmung prägt. | |
| Seit Monika Herrmann das grüne Bürgermeisteramt von ihrem Vorgänger Franz | |
| Schulz übernommen hat, kommt der südöstliche Teil von Kreuzberg aus den | |
| Schlagzeilen gar nicht mehr heraus: Drogendealer im Görlitzer Park, | |
| Flüchtlingsaktivisten und Marginalisierte, die öffentliche Orte besetzen. | |
| Der Kiez steht unter Druck wie kein anderer in Berlin: höchste | |
| Bevölkerungsdichte Berlins, erhöhte Arbeitslosenquote, massive | |
| Gentrifizierungsgefahr. | |
| Einige der Debatten um SO36 hat Monika Herrmann bewusst selbst initiiert. | |
| Etwa die Idee, im Görlitzer Park einen Coffeeshop zu eröffnen. Auch in die | |
| Tourismusdebatte hat sie sich zuletzt eingemischt, Benimmregeln für | |
| Berlinbesucher und Gummiüberzieher für Rollkoffer gefordert. Viel Häme hat | |
| es dafür gegeben, doch Herrmann bleibt dabei: Sie findet es richtig, | |
| Touristen für die Stadt zu sensibilisieren. Argumente führen, davon ist sie | |
| überzeugt, eher zum Ziel als Verbote: „Verbieten, das ist so gar nicht | |
| meins“, sagt sie beim Spaziergang durch SO36. Den Kiez also, den sie, wie | |
| es in der lokalen Presse bereits zu lesen war, zu einem Experimentierfeld | |
| für grüne Sonderwege machen will. | |
| Experimente – warum nicht? Sie habe eben, sagt die Bürgermeisterin, | |
| bestimmte politische Werte. Eine grüne Haltung, die sie sich, Realpolitik | |
| hin, Sachzwänge her, auch gar nicht abgewöhnen wolle. „Eine andere Politik | |
| ist möglich“, so könnte man ihr Credo in Abwandlung des Attac-Mottos | |
| zusammenfassen. Welche Ergebnisse an deren Ende stehen sollen? Einen Plan | |
| habe sie nicht, sagt sie. Und meint das keineswegs entschuldigend – es ist | |
| Teil ihres Konzepts. | |
| ## Posieren für's ZDF | |
| Ein Spaziergang mit der Regierenden Bürgermeisterin zwischen | |
| Oberbaumbrücke, Wrangelkiez, Görlitzer Park bis hin zur Markthalle Neun, | |
| gibt Einblick in ihr Politikverständnis – und in ihr persönliches | |
| Verhältnis zu dem Teil ihres Bezirks, der bundesweit als Synonym für | |
| „Kreuzberger Verhältnisse“ steht. | |
| Ein kühler Freitagmorgen um halb zehn. Monika Herrmann hat gerade für das | |
| ZDF am May-Ayim-Ufer posiert: Hinter ihr die Oberbaumbrücke, auf der | |
| anderen Uferseite die East Side Gallery mit ihren bunten Mauerresten. Vor | |
| dieser Kulisse hat sie wieder einmal über den ausufernden Tourismus in | |
| ihrem Bezirk gesprochen, über vollgepinkelte Hauseingänge, dröhnende | |
| Rollkoffer, betrunkene Hostelgäste. Zustände, denen sie den Kampf angesagt | |
| hat: Erst kürzlich hat ihr Bezirksamt die Neueröffnung einer Weinstube in | |
| der Grimmstraße untersagt – weil schon mehr als genug Gastronomie im Gebiet | |
| sei. Jetzt will sie erstmal eine rauchen, zusammen mit ihrem Pressesprecher | |
| Sascha Langenbach. „Aber nicht fotografieren, ja?“ | |
| Schnellen Schrittes durchquert die Rathauschefin – schwarzer Anorak, Jeans, | |
| Turnschuhe – den Wrangelkiez. Die Straßenzüge rund um das Schlesische Tor | |
| haben sich in den letzten Jahren zur Ausgeh- und Amüsiermeile gewandelt, es | |
| gibt Ärger mit Ferienwohnungen und steigenden Mieten. Und dann ist da noch | |
| die zu diesem Zeitpunkt noch zugängliche Cuvrybrache, das illegale Camp auf | |
| einer Investorenbrache am Wasser, von den Medien bereits „Berlins Favela“ | |
| genannt. Rund 150 Menschen leben dort ohne Wasser, Strom, Toiletten. | |
| ## Neun Tage Nervenkrieg | |
| Hineingehen will Monika Herrmann nicht. Aber sie findet: „Da muss bald mal | |
| was passieren.“ Der Eigentümer müsse Müll beseitigen und Ratten bekämpfen. | |
| Aber das reiche nicht. Die Stadt brauche ein Konzept für die Zeit nach der | |
| Räumung. „Aber glauben Sie, dass der Senat einen Plan hat für die | |
| Unterbringung von Leuten? Nicht die Spur!“ Sie schnaubt. Die Stadt müsse | |
| einen Umgang mit innerstädtischer Armut finden. Stattdessen tue | |
| CDU-Innensenator Henkel so, als seien die Menschen, die auf der Brache und | |
| am Görlitzer Park campierten, ein Kreuzberger Problem. | |
| Vor dem Haus ihres Baustadtrats Hans Panhoff sieht sich Herrmann wiederholt | |
| um – sie wolle sehen, ob der Polizeischutz noch da sei, sagt sie leise. | |
| Nachdem Panhoff im Juli die von Flüchtlingen besetzte | |
| Gerhart-Hauptmann-Schule räumen ließ – eine Aktion, von der Herrmann sich | |
| öffentlich distanzierte –, hatten er und Herrmann Morddrohungen erhalten. | |
| Die „neun Tage Nervenkrieg“ nach der Räumung sei die bisher härteste Zeit | |
| in ihrem Leben gewesen, gesteht Herrmann. Seit ein Journalist ihre | |
| Privatadresse getwittert habe, habe sie nicht zu Hause schlafen können und | |
| sei im Auto durch die Stadt gefahren worden. „Jetzt bin ich das erste Mal | |
| wieder zu Fuß in diesem Kiez unterwegs“, sagt sie. „Ein komisches Gefühl�… | |
| Die Räumung ist fast drei Monate her. Viele Anwohner des | |
| Reichenbergerkiezes, der tagelang von der Polizei abgeriegelt worden war, | |
| nehmen es Herrmann noch heute übel, dass sie so wenig vor Ort war. Als | |
| Wegducken empfanden das viele, auch die Medien. Jetzt erklärt sie: Man habe | |
| sie aus Sicherheitsgründen in den Innendienst verbannt. Sie sei trotzdem | |
| eingebunden gewesen in alle Entscheidungen. „Jeden Abend diskutierten wir | |
| bei mir bis spät in die Nacht.“ | |
| ## Was ist geblieben? | |
| Die Situation in der Schule an der Ohlauer Straße ist nach wie vor | |
| ungeklärt: Rund 40 Besetzer sind noch im Gebäude, das rund um die Uhr von | |
| einem Sicherheitsdienst bewacht wird. Der ohnehin klamme Bezirk geht an | |
| diesen Kosten fast zugrunde, Finanzstadträtin Jana Borkamp musste unlängst | |
| die Haushaltssperre ausrufen. Auch für das „internationale | |
| Flüchtlingszentrum“ mit Wohngemeinschaften und Beratungsstellen, das | |
| Herrmann den Leuten versprochen hatte, ist kein Geld da. Das Landesamt für | |
| Gesundheit und Soziales (Lageso) soll jetzt als Träger mit einsteigen. WGs | |
| und Plätze für Illegalisierte wird es mit dem Lageso aber wohl nicht geben. | |
| Die Flüchtlinge sind unzufrieden, ein Unterstützer sagt am Telefon: „Jetzt | |
| machen sie aus der Schule ein Lager, das werden wir nicht hinnehmen.“ Fühlt | |
| er sich von Herrmann betrogen? „Ach, sie will uns eigentlich helfen, aber | |
| die Realität ist immer anders. Und Herrmann war schon länger nicht mehr in | |
| der Schule.“ | |
| Was ist eigentlich geblieben vom grünen Versprechen, eine andere, humanere | |
| Flüchtlingspolitik zu versuchen? Und wie geht es jetzt weiter? Monika | |
| Herrmann wirkt ein wenig kleinlaut, als sie gesteht: „Wir Grünen haben das | |
| zu wenig von hinten her gedacht. Weder beim Oranienplatz, noch bei der | |
| Schule.“ Sie wirkt ehrlich ratlos – für eine Politikerin eigentlich ein | |
| No-Go. Aber Herrmann weigert sich, die Pose der souveränen Bürgermeisterin | |
| einzunehmen. Sie sagt keine Dinge, die sie nicht auch so meint. Und sie ist | |
| nicht der Typ, der Hände schüttelt, auf die Leute zugeht, um einen | |
| engagierten Eindruck zu machen. Zu den Sicherheitsmännern mit gelben | |
| Leuchtwesten, die das Gittertor zur Schule bewachen, bleibt sie auf | |
| Abstand, nickt nur knapp. Es ist ihr Pressesprecher, der mit den Männern | |
| plaudert, sich nach der Lage erkundigt. „Alles ruhig“, sagt ein Wachmann. | |
| Währenddessen bleiben ein paar Anwohner am Zaun stehen, lesen Aushänge, | |
| linsen missbilligend zu den Wachleuten. Herrmann würdigen sie keines | |
| Blickes. Auch sie unternimmt gar nicht den Versuch, hier irgendetwas zu | |
| kommentieren, zu erklären. | |
| Hat sich das Verhältnis der Bürgermeisterin zu den Anwohnern abgekühlt? | |
| „Ach, das sind die Kreuzberger, die tun halt immer so cool“, tut Herrmann | |
| die Reaktionen ab. | |
| Langenbachs Handy klingelt. Die Pfarrerin der gerade eben von Flüchtlingen | |
| besetzten Kirche am Mariannenplatz bittet um Unterstützung. Kleiner | |
| Abstecher zum Mariannenplatz, oder? Herrmann winkt ab. Sie wolle sich da | |
| nur blicken lassen, wenn sie den Leuten auch etwas anzubieten habe. Aber | |
| dazu müsse sie erst telefonieren. „Später.“ Sie wirkt jetzt genervt, will | |
| lieber auch mal über was Positives sprechen: „Wussten Sie, dass | |
| Friedrichshain-Kreuzberg der Bezirk mit der höchsten Dichte an | |
| Jugendhilfeeinrichtungen ist“? | |
| ## Jugendhilfe ist ihr Metier | |
| Jugendhilfe, darin kennt Herrmann sich aus. Von 2010 bis 2012 war sie | |
| Jugend- und Schulstadträtin des Bezirks. Kitas, Spielplätze, | |
| Familienförderung, das ist Herrmanns Metier. Hier hat sie Erfolge | |
| eingefahren. Schulschwänzerprojekte initiiert, Projekte mit cleverem | |
| Umschichten von Haushaltsmitteln gerettet. Noch heute loben sie Jugend-und | |
| Bildungseinrichtungen im Kiez. Franziska Giese, Sozialpädagogin im | |
| Jugendhaus Chip in der Reichenberger Straße schätzt sie als engagierte | |
| Fachfrau, die im Jugendhilfeausschuss kompetent auftrete. Und als | |
| unermüdliche Diplomatin, die langwierige Verhandlungsprozesse aushält – | |
| auch wenn sie lange dauerten. Dass Herrmann stets offen zugibt, wenn sie | |
| kein Geld oder keine Lösung anzubieten hat, findet sie „bewundernswert | |
| mutig“. Nur den Vorschlag mit dem Coffeeshop versteht sie nicht. Der sei | |
| undurchdacht. Und für die Jugendlichen im Kiez „nicht das günstigste | |
| Signal“. | |
| Am Eingang zum Görlitzer Park prallt Monika Herrmann fast mit einem | |
| Polizeibeamten zusammen, der sich Notizen macht. Neben ihm fährt im | |
| Schritttempo eine Polizeiwanne. Statt den Beamten anzusprechen, nickt | |
| Herrmann nur knapp – und geht vorbei, wie eine Passantin. Hat die | |
| Bürgermeisterin kein Interesse, ein paar Dinge zu dem Einsatz zu fragen? | |
| Nein, sagt Herrmann etwas trotzig. Polizeieinsätze seien keine Bezirkssache | |
| – das sei Henkels Beritt. | |
| Die Bürgermeisterin bleibt jetzt im Gebüsch stehen. Sie spricht über | |
| Verschönerungsmaßnahmen im Park, die der Bezirk durchgeführt hat: Neue | |
| Wege, bessere Beleuchtung, das neue Kronkorken-Mosaik, das die Ruine des | |
| Pamukkale-Brunnens ziert. Wo sind eigentlich an diesem Vormittag die | |
| Dealer? Nur ein paar von ihnen drücken sich zwischen den Büschen herum. | |
| Herrmann zuckt wieder mit den Schultern. „Da war wohl vor uns eine Razzia“, | |
| sagt sie. | |
| An Tagen, an denen es keine Razzia gibt, stehen die Dealer bis zur | |
| U-Bahnstation Görlitzer Bahnhof Spalier. Vorne am Hähnchenimbiss die | |
| Libanesen, weiter hinten die Afrikaner. Und mittendrin im Geschäft der | |
| Kinderbauernhof. Das selbstverwaltete Projekt existiert dort seit 1980. | |
| Seit einiger Zeit befinde man sich in einer „Belagerungssituation“, sagt | |
| die Leiterin Claudia Hiesl: Sechs bis acht Einbrüche in den letzten zwei | |
| Jahren, der Eingang zur Glogauer Straße dauerbelagert von Dealern, die bei | |
| Razzien versuchten, auf dem Gelände ihre Ware zu verstecken. Den | |
| langjährigen Kontakt zu Monika Herrmann bezeichnet Hiesl als „gut“. | |
| Trotzdem: „Wir sind hier mit Problemen konfrontiert, für die wir keine | |
| Lösung sehen“. Der Präventionsbeauftragte der Polizei habe ihr kürzlich | |
| „viel Glück“ gewünscht – Hiesl lacht bitter. Dass ein quasi rechtsfreier | |
| Raum von allen Autoritäten toleriert werde, sei für die Kinder „pädagogisch | |
| eine Katastrophe“. Das Projekt lässt sich jetzt von ehemaligen Kindern | |
| beschützen: Kräftige Jungs mit arabischem Hintergrund, die ehrenamtlich | |
| patrouillieren und Dealer vom Gelände verjagen. | |
| ## Aus dem Ruder gelaufen | |
| Am Görlitzer Park wird Monika Herrmann gemessen – auch wenn sie sich selbst | |
| lieber mehr Aufmerksamkeit für die neue Gebärdendolmetscherin im | |
| Bezirksparlament wünschen würde. Oder für den neuen Spielplatz der | |
| Kindernothilfe in Friedrichshain. Für das was gut läuft, wo sie selbst | |
| etwas gestalten kann. Trotzdem sind es immer wieder die Drogen, die | |
| Armutszuwanderung, die Touristen, die über Berlin hinaus Schlagzeilen | |
| machen. Und im Görlitzer Park, dieser immer überfüllten Graskuhle zwischen | |
| dem Wrangelkiez und der Wiener Straße, bündeln sich all diese Probleme. | |
| Manche Dinge – die Dealer, die am Park in ihren Autos campierenden | |
| Roma-Familien – habe man lange einfach laufen lassen, gibt Monika Herrmann | |
| zu. In der vergangenen Woche forderte das Jugendamt nun die Roma-Familien | |
| auf, eine Unterkunft für ihre Kinder zu suchen. Sollte dies nicht gelingen, | |
| so hieß es in dem Schreiben, wolle man die Kinder in Obhut nehmen. | |
| „Wir dachten, wir sind tolerant, das kriegen wir hin.“ Doch dann sei die | |
| Situation aus dem Ruder gelaufen. Bei den Dealern zeichnet sich bisher | |
| keine Veränderung der Lage ab. Dass Henkels Polizei auch wenig ausrichten | |
| konnte, scheint Herrmann in ihrem Credo zu bestärken: „Law and Order ist | |
| nicht die Lösung.“ Was aber dann? Herrmann erzählt vom Coffeeshop-Hearing | |
| mit Experten vorige Woche. Nett und informativ sei das gewesen, sie lobt | |
| die konstruktive Haltung vieler Anwohner, auch wenn sie das Projekt | |
| kritisch sähen, wie eine Mutter, die sich Sorgen um ihren drogenabhängigen | |
| Sohn machte. Sie wolle, betont sie, keinen Kiff-Tourismus am Görli. Eine | |
| Meldekarte könnte die Cannabisabgabe nur für über 18-Jährige mit Wohnsitz | |
| in Berlin garantieren. „Es wäre natürlich entlastend, wenn es auch in | |
| anderen Bundesländern klappen könnte mit legalen Abgabestellen“, sagt sie. | |
| Noch in diesem Jahr will sie den Genehmigungsantrag für die Coffeeshops | |
| beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einreichen. | |
| ## Mal was wagen | |
| Wahrscheinlich ist eine amtliche Genehmigung nicht. Auch hat Herrmann, die | |
| von sich sagt, sie habe noch nie gekifft, für diesen Vorstoß harte Kritik | |
| geerntet, sogar aus ihrer Partei. Antje Kapek, grüne Fraktionsvorsitzende | |
| im Abgeordnetenhaus und Kreuzbergerin, sagte öffentlich, sie halte von dem | |
| Projekt nichts. Dass die legale Abgabe von Cannabis den Drogenhandel im | |
| Görlitzer Park beseitigen könnte, ist selbst für wohlwollende Beobachter | |
| zweifelhaft: Schließlich werden dort auch jede Menge harte Drogen und | |
| Hehlerware gehandelt. Ein lukrativer Markt, an dem auch ohne Cannabis viele | |
| verdienen. | |
| Auch Herrmann weiß das. Man müsse halt auch mal etwas wagen, sagt sie: „Ich | |
| bin überzeugt, dass man in viele Richtungen denken muss, um Ergebnisse zu | |
| erreichen. Auch wenn es dauert.“ Diese radikale Grundüberzeugung, die | |
| Sturheit, die sie hinter scheinbarer Lockerheit versteckt, habe sie mit | |
| anderen Kreuzberger Grünen wie Dirk Behrendt oder Hans-Christian Ströbele | |
| gemeinsam. Manche nennen das grünen Fundamentalismus – wie ihre politischen | |
| Widersacher Frank Henkel und Klaus Wowereit, die ihr öffentlich fahrlässige | |
| Planlosigkeit vorwarfen. „Ich nenne es Haltung“, sagt Herrmann knapp. | |
| Die Kreuzberger Grünen gelten als besonders links, besonders grün. In | |
| diesem Kosmos ist Herrmann, die offen lesbisch lebt und sich politisch in | |
| Frauenprojekten sozialisiert hat, fest verwurzelt. Ihre Stammwählerschaft | |
| weiß zu schätzen, was sie leistet. Man schätzt ihre unverblümte Art, selbst | |
| ihr Eingeständnis, für viele Probleme keine Lösung zu haben. Wenn man rund | |
| ums Kottbusser Tor unterwegs ist, wo Herrmann von manchen „Monika“ genannt | |
| wird, hört man, sie sei „eine Gute“, die leider nur begrenzt ihre | |
| Vorstellungen durchsetzen könne – weil in der Regierung Betonköpfe säßen. | |
| „Sie ist absolut in Ordnung“, findet Ahmet Tuncer vom Mieterbündnis Kotti & | |
| Co., der vor dem Infostand steht. Zum Zweijährigen des Vereins sei sie da | |
| gewesen, habe praktische Tipps gegeben. Doch sei die Mietenexplosion nicht | |
| ihre Schuld. „Der Senat hat den Mieterschutz jahrzehntelang | |
| vernachlässigt“, sagt Tuncer. | |
| In ihrer Abneigung gegen die Politik der rot-schwarzen Koalition sind sich | |
| Wähler und Bürgermeisterin einig. Herrmanns schlechtes Verhältnis zu Klaus | |
| Wowereit ist legendär. Nie hat sie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den | |
| scheidenden Bürgermeister für inkompetent hält, seine Koalitionspartner von | |
| der CDU für indiskutabel, seine Partei für arrogant. | |
| ## Mit einem Augenzwinkern | |
| „Die SPD braucht einen Paradigmenwechsel, besonders im Umgang mit den | |
| Bezirken“, sagt die Grüne, als sie sich in der Markthalle Neun mit einem | |
| Milchkaffee niederlässt. Stadt von oben zu herrschen, müsse die SPD lernen, | |
| die Stadt von unten zu denken, doziert sie. Und wirkt einen Moment lang wie | |
| eine typische Politikerin. Im nächsten Moment lacht sie lautstark los, | |
| lässt ihrer Schadenfreude über den SPD-Mitgliederzuwachs nach Wowereits | |
| Rücktrittsankündigung freien Lauf. Und plaudert über die | |
| Nachfolgekandidaten. Jan Stöß sei ein „total netter Kerl“ – sie kennt d… | |
| ehemaligen Kreuzberger Finanzstadtrat noch aus ihrer gemeinsamen Zeit im | |
| Bezirksamt. An Saleh bewundert sie, wie er sich in der Partei durchgebissen | |
| hat. Und Müller? Der könne Verwaltung. „Ich bin froh, dass ich nicht mit | |
| abstimmen muss“, schmunzelt sie. Endlich mal etwas, wofür sie nicht | |
| verantwortlich ist. Nicht mal indirekt. | |
| Im Ambiente der Markthalle Neun mit ihren regionalen Gourmetständen wirkt | |
| Herrmann gelöst. Es ist eine bürgerlich-grüne Umgebung, der sie mit einem | |
| Augenzwinkern begegnet. Mit Langenbach frotzelt sie genussvoll über | |
| handgestreichelte Schweine und laktosefreien Café Latte. Den Leuten, die | |
| aus der heruntergekommenen Halle einen Slowfood-Tempel gemacht haben, | |
| bringt sie Sympathie entgegen. Sie ist Schirmherrin des anstehenden | |
| „Festival für gutes Essen und gute Landwirtschaft“, spontan schaut sie im | |
| Büro des Marktleiters vorbei, vermittelt den Kontakt zur Kreuzberger | |
| Weinkönigin. Die Marktleute sind glücklich, Herrmann wirkt beschwingt. | |
| Auf dem Weg nach draußen erzählt sie von Kreuzberg 61, dem westlichen Teil | |
| Kreuzbergs, in dem sie mit ihrer Lebensgefährtin wohnt. Dort könne man ohne | |
| Reservierung nicht mehr essen gehen – immer mehr „ganz normale“ Leute aus | |
| dem Kiez zögen weg, der Mieten wegen. Sie selbst wohnt in einer | |
| Eigentumswohnung. „Ich bin durchaus privilegiert“, sagt sie. | |
| Bürgerliches Elternhaus in Neukölln, beide Eltern CDU-Politiker. Vielleicht | |
| hat Monika Herrmann von ihnen das Diskutieren gelernt, vielleicht den | |
| bürgerlichen Sinn für Anstand in der Auseinandersetzung. Der habe sie, wie | |
| sie beim Weg zu ihrem Fahrrad erzählt, davon abgehalten, sich als Studentin | |
| in Antifa-Gruppen zu engagieren. Empört erzählt sie von einer Veranstaltung | |
| zur Flüchtlingspolitik in diesem Jahr, wo sie von radikalen Unterstützern | |
| niedergebrüllt wurde und von Polizisten aus dem Raum eskortiert werden | |
| musste. „Bei aller Radikalität. Aber wenn Leute bestimmen wollen, wo ich | |
| sein darf, und was ich sagen darf, werde ich bockig.“ | |
| 28 Sep 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Nina Apin | |
| ## TAGS | |
| Kreuzberg | |
| Monika Herrmann | |
| Gerhart-Hauptmann-Schule | |
| Bündnis 90/Die Grünen | |
| Gentrifizierung | |
| Berlin | |
| Ohlauer Straße | |
| Kreuzberg | |
| Kreuzberg | |
| Flüchtlinge | |
| Cannabis | |
| Berlin | |
| Roma | |
| Coffeeshop | |
| Flüchtlinge | |
| Hans Panhoff | |
| Flüchtlinge | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Berliner „Weltrestaurant“ muss schließen: Herr Lehmann sitzt hier nicht me… | |
| Das Kreuzberger „Weltrestaurant“ war Romanvorlage für Sven Regeners Roman | |
| „Herr Lehmann“ und Treffpunkt der Boheme. Jetzt muss der Pächter gehen. | |
| Ferienwohnungen für Flüchtlinge: Amt hält nichts von Beschlagnahmung | |
| Grüne Bezirksbürgermeisterin wird für ihren Vorschlag abgewatscht: | |
| Temporäre Beschlagnahmung von illegalen Ferienwohnungen laut LaGeSo | |
| rechtlich nicht möglich. | |
| Flüchtlinge in Kreuzberger Schule: Die Ruhe vor der Räumung | |
| Schon zwei Jahre dauert die Besetzung einer Schule in Kreuzberg. Die | |
| letzten Flüchtlinge wollen nicht weichen. Der Bezirk will jetzt jedoch | |
| räumen lassen. | |
| Flüchtlingsschule in Berlin-Kreuzberg: Der Showdown | |
| Bis zum Wochenende sollen alle Flüchtlinge die besetzte Schule verlassen, | |
| sonst will der Bezirk polizeilich räumen lassen. Widerstand ist geplant. | |
| Monika Herrmann über Flüchtlingsschule: „Der Bezirk ist am Ende“ | |
| Monika Herrmann vollzieht die Kehrtwende: Verlassen die Besetzer die | |
| Hauptmann-Schule nicht, werde sie die Polizei um Räumung bitten, so die | |
| Bezirksbürgermeisterin. | |
| Flüchtlinge in Kreuzberger Schule: Polizeischutz für Bezirksverordnete | |
| Eine Kundgebung vor der besetzten Schule in der Ohlauer Straße verläuft | |
| weitgehend friedlich. Die Flüchtlinge sollen die Schule bis Freitag | |
| verlassen haben. | |
| Münsters Polizeipräsident für Cannabis: Legalisierung erst im Ruhestand | |
| Die deutsche Sektion der Gesetzeshüter gegen Prohibition hat ihre Gründung | |
| verschoben. Ihr künftiger Vorsitzender musste seine Teilnahme absagen. | |
| Roma in Berlin: Ganz kleine Brötchen | |
| Der Senat hat zwei Notwohnungen für obdachlose Familien eröffnet – | |
| inklusive Rückkehrberatung. Die Gewobag sucht Mieter fürs | |
| „Roma-Modellhaus“. | |
| Autonome bewerfen Neubauten in Berlin: SPD fürchtet um Besserverdienende | |
| Gentrifizierungsgegner attackieren immer wieder mal Berliner Neubauten. Die | |
| Vorfälle werden weniger. Ein SPDler will trotzdem hart durchgreifen. | |
| Streit mit dem Jugendamt: Bezirk droht Roma | |
| Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg will Roma-Familien ihre Kinder | |
| wegnehmen, wenn sie weiter im Freien nächtigen. Die Integrationsbeauftragte | |
| des Senats kritisiert das Vorgehen. | |
| Coffeeshop in Berlin-Kreuzberg: Kiff lässt Köpfe rauchen | |
| Eine Experten-Anhörung im Rathaus Kreuzberg zeigt: Der Bezirk muss | |
| öffentliches Interesse am geplanten Modellprojekt belegen. Das wird nicht | |
| einfach. | |
| Berliner Flüchtlingsproteste: Am Ende ihrer Kräfte | |
| Jetzt haben auch die letzten Flüchtlinge in der Gürtelstraße aufgegeben – | |
| zermürbt von falschen Versprechungen. An ihrer Situation ändert das nichts. | |
| Gescheiterter Abwahlantrag: Panhoff bleibt Stadtrat | |
| Linke und Piraten können sich mit der Kritik an der Räumung der | |
| Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg nicht durchsetzen. | |
| Kosten für Einsatz an Flüchtlings-Schule: Polizei besetzt Kreuzberg umsonst | |
| Nach dem vom Bezirksamt bestellten Großeinsatz hat Innensenator Henkel | |
| geprüft, ob der Bezirk auch dafür zahlen muss. Das Ergebnis ist eindeutig. |