Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Grüne Bezirksbürgermeisterin in Berlin: Planlos durch Kreuzberg
> Ein Spaziergang mit Monika Herrmann, die vor einem Jahr zur
> Bezirksbürgermeisterin von Friedrichshain-Kreuzberg gewählt wurde.
Bild: Monika Herrmann bei einer Podiumsdiskussion im April.
BERLIN taz | Dass es ausgerechnet die Dealer sind, die an einem
Freitagmorgen ein Lächeln für ihre Bezirksbürgermeisterin übrig haben,
scheint Monika Herrmann zu belustigen. Die Männer, die am Ausgang des
Görlitzer Parks Spalier stehen, grüßen freundlich: „Guten Morgen, Herrmann.
Alles klar?“ Monika Herrmann nickt, lächelt – und geht zügig weiter. Eine
kurze Begegnung nur – und doch illustriert sie, wie sich die seit einem
Jahr amtierende Grüne Monika Herrmann sieht. In ihrer Funktion als
Bürgermeisterin, in ihrem Kiez. Oder besser, in dem Teil des Bezirks, der
die öffentliche Wahrnehmung prägt.
Seit Monika Herrmann das grüne Bürgermeisteramt von ihrem Vorgänger Franz
Schulz übernommen hat, kommt der südöstliche Teil von Kreuzberg aus den
Schlagzeilen gar nicht mehr heraus: Drogendealer im Görlitzer Park,
Flüchtlingsaktivisten und Marginalisierte, die öffentliche Orte besetzen.
Der Kiez steht unter Druck wie kein anderer in Berlin: höchste
Bevölkerungsdichte Berlins, erhöhte Arbeitslosenquote, massive
Gentrifizierungsgefahr.
Einige der Debatten um SO36 hat Monika Herrmann bewusst selbst initiiert.
Etwa die Idee, im Görlitzer Park einen Coffeeshop zu eröffnen. Auch in die
Tourismusdebatte hat sie sich zuletzt eingemischt, Benimmregeln für
Berlinbesucher und Gummiüberzieher für Rollkoffer gefordert. Viel Häme hat
es dafür gegeben, doch Herrmann bleibt dabei: Sie findet es richtig,
Touristen für die Stadt zu sensibilisieren. Argumente führen, davon ist sie
überzeugt, eher zum Ziel als Verbote: „Verbieten, das ist so gar nicht
meins“, sagt sie beim Spaziergang durch SO36. Den Kiez also, den sie, wie
es in der lokalen Presse bereits zu lesen war, zu einem Experimentierfeld
für grüne Sonderwege machen will.
Experimente – warum nicht? Sie habe eben, sagt die Bürgermeisterin,
bestimmte politische Werte. Eine grüne Haltung, die sie sich, Realpolitik
hin, Sachzwänge her, auch gar nicht abgewöhnen wolle. „Eine andere Politik
ist möglich“, so könnte man ihr Credo in Abwandlung des Attac-Mottos
zusammenfassen. Welche Ergebnisse an deren Ende stehen sollen? Einen Plan
habe sie nicht, sagt sie. Und meint das keineswegs entschuldigend – es ist
Teil ihres Konzepts.
## Posieren für's ZDF
Ein Spaziergang mit der Regierenden Bürgermeisterin zwischen
Oberbaumbrücke, Wrangelkiez, Görlitzer Park bis hin zur Markthalle Neun,
gibt Einblick in ihr Politikverständnis – und in ihr persönliches
Verhältnis zu dem Teil ihres Bezirks, der bundesweit als Synonym für
„Kreuzberger Verhältnisse“ steht.
Ein kühler Freitagmorgen um halb zehn. Monika Herrmann hat gerade für das
ZDF am May-Ayim-Ufer posiert: Hinter ihr die Oberbaumbrücke, auf der
anderen Uferseite die East Side Gallery mit ihren bunten Mauerresten. Vor
dieser Kulisse hat sie wieder einmal über den ausufernden Tourismus in
ihrem Bezirk gesprochen, über vollgepinkelte Hauseingänge, dröhnende
Rollkoffer, betrunkene Hostelgäste. Zustände, denen sie den Kampf angesagt
hat: Erst kürzlich hat ihr Bezirksamt die Neueröffnung einer Weinstube in
der Grimmstraße untersagt – weil schon mehr als genug Gastronomie im Gebiet
sei. Jetzt will sie erstmal eine rauchen, zusammen mit ihrem Pressesprecher
Sascha Langenbach. „Aber nicht fotografieren, ja?“
Schnellen Schrittes durchquert die Rathauschefin – schwarzer Anorak, Jeans,
Turnschuhe – den Wrangelkiez. Die Straßenzüge rund um das Schlesische Tor
haben sich in den letzten Jahren zur Ausgeh- und Amüsiermeile gewandelt, es
gibt Ärger mit Ferienwohnungen und steigenden Mieten. Und dann ist da noch
die zu diesem Zeitpunkt noch zugängliche Cuvrybrache, das illegale Camp auf
einer Investorenbrache am Wasser, von den Medien bereits „Berlins Favela“
genannt. Rund 150 Menschen leben dort ohne Wasser, Strom, Toiletten.
## Neun Tage Nervenkrieg
Hineingehen will Monika Herrmann nicht. Aber sie findet: „Da muss bald mal
was passieren.“ Der Eigentümer müsse Müll beseitigen und Ratten bekämpfen.
Aber das reiche nicht. Die Stadt brauche ein Konzept für die Zeit nach der
Räumung. „Aber glauben Sie, dass der Senat einen Plan hat für die
Unterbringung von Leuten? Nicht die Spur!“ Sie schnaubt. Die Stadt müsse
einen Umgang mit innerstädtischer Armut finden. Stattdessen tue
CDU-Innensenator Henkel so, als seien die Menschen, die auf der Brache und
am Görlitzer Park campierten, ein Kreuzberger Problem.
Vor dem Haus ihres Baustadtrats Hans Panhoff sieht sich Herrmann wiederholt
um – sie wolle sehen, ob der Polizeischutz noch da sei, sagt sie leise.
Nachdem Panhoff im Juli die von Flüchtlingen besetzte
Gerhart-Hauptmann-Schule räumen ließ – eine Aktion, von der Herrmann sich
öffentlich distanzierte –, hatten er und Herrmann Morddrohungen erhalten.
Die „neun Tage Nervenkrieg“ nach der Räumung sei die bisher härteste Zeit
in ihrem Leben gewesen, gesteht Herrmann. Seit ein Journalist ihre
Privatadresse getwittert habe, habe sie nicht zu Hause schlafen können und
sei im Auto durch die Stadt gefahren worden. „Jetzt bin ich das erste Mal
wieder zu Fuß in diesem Kiez unterwegs“, sagt sie. „Ein komisches Gefühl�…
Die Räumung ist fast drei Monate her. Viele Anwohner des
Reichenbergerkiezes, der tagelang von der Polizei abgeriegelt worden war,
nehmen es Herrmann noch heute übel, dass sie so wenig vor Ort war. Als
Wegducken empfanden das viele, auch die Medien. Jetzt erklärt sie: Man habe
sie aus Sicherheitsgründen in den Innendienst verbannt. Sie sei trotzdem
eingebunden gewesen in alle Entscheidungen. „Jeden Abend diskutierten wir
bei mir bis spät in die Nacht.“
## Was ist geblieben?
Die Situation in der Schule an der Ohlauer Straße ist nach wie vor
ungeklärt: Rund 40 Besetzer sind noch im Gebäude, das rund um die Uhr von
einem Sicherheitsdienst bewacht wird. Der ohnehin klamme Bezirk geht an
diesen Kosten fast zugrunde, Finanzstadträtin Jana Borkamp musste unlängst
die Haushaltssperre ausrufen. Auch für das „internationale
Flüchtlingszentrum“ mit Wohngemeinschaften und Beratungsstellen, das
Herrmann den Leuten versprochen hatte, ist kein Geld da. Das Landesamt für
Gesundheit und Soziales (Lageso) soll jetzt als Träger mit einsteigen. WGs
und Plätze für Illegalisierte wird es mit dem Lageso aber wohl nicht geben.
Die Flüchtlinge sind unzufrieden, ein Unterstützer sagt am Telefon: „Jetzt
machen sie aus der Schule ein Lager, das werden wir nicht hinnehmen.“ Fühlt
er sich von Herrmann betrogen? „Ach, sie will uns eigentlich helfen, aber
die Realität ist immer anders. Und Herrmann war schon länger nicht mehr in
der Schule.“
Was ist eigentlich geblieben vom grünen Versprechen, eine andere, humanere
Flüchtlingspolitik zu versuchen? Und wie geht es jetzt weiter? Monika
Herrmann wirkt ein wenig kleinlaut, als sie gesteht: „Wir Grünen haben das
zu wenig von hinten her gedacht. Weder beim Oranienplatz, noch bei der
Schule.“ Sie wirkt ehrlich ratlos – für eine Politikerin eigentlich ein
No-Go. Aber Herrmann weigert sich, die Pose der souveränen Bürgermeisterin
einzunehmen. Sie sagt keine Dinge, die sie nicht auch so meint. Und sie ist
nicht der Typ, der Hände schüttelt, auf die Leute zugeht, um einen
engagierten Eindruck zu machen. Zu den Sicherheitsmännern mit gelben
Leuchtwesten, die das Gittertor zur Schule bewachen, bleibt sie auf
Abstand, nickt nur knapp. Es ist ihr Pressesprecher, der mit den Männern
plaudert, sich nach der Lage erkundigt. „Alles ruhig“, sagt ein Wachmann.
Währenddessen bleiben ein paar Anwohner am Zaun stehen, lesen Aushänge,
linsen missbilligend zu den Wachleuten. Herrmann würdigen sie keines
Blickes. Auch sie unternimmt gar nicht den Versuch, hier irgendetwas zu
kommentieren, zu erklären.
Hat sich das Verhältnis der Bürgermeisterin zu den Anwohnern abgekühlt?
„Ach, das sind die Kreuzberger, die tun halt immer so cool“, tut Herrmann
die Reaktionen ab.
Langenbachs Handy klingelt. Die Pfarrerin der gerade eben von Flüchtlingen
besetzten Kirche am Mariannenplatz bittet um Unterstützung. Kleiner
Abstecher zum Mariannenplatz, oder? Herrmann winkt ab. Sie wolle sich da
nur blicken lassen, wenn sie den Leuten auch etwas anzubieten habe. Aber
dazu müsse sie erst telefonieren. „Später.“ Sie wirkt jetzt genervt, will
lieber auch mal über was Positives sprechen: „Wussten Sie, dass
Friedrichshain-Kreuzberg der Bezirk mit der höchsten Dichte an
Jugendhilfeeinrichtungen ist“?
## Jugendhilfe ist ihr Metier
Jugendhilfe, darin kennt Herrmann sich aus. Von 2010 bis 2012 war sie
Jugend- und Schulstadträtin des Bezirks. Kitas, Spielplätze,
Familienförderung, das ist Herrmanns Metier. Hier hat sie Erfolge
eingefahren. Schulschwänzerprojekte initiiert, Projekte mit cleverem
Umschichten von Haushaltsmitteln gerettet. Noch heute loben sie Jugend-und
Bildungseinrichtungen im Kiez. Franziska Giese, Sozialpädagogin im
Jugendhaus Chip in der Reichenberger Straße schätzt sie als engagierte
Fachfrau, die im Jugendhilfeausschuss kompetent auftrete. Und als
unermüdliche Diplomatin, die langwierige Verhandlungsprozesse aushält –
auch wenn sie lange dauerten. Dass Herrmann stets offen zugibt, wenn sie
kein Geld oder keine Lösung anzubieten hat, findet sie „bewundernswert
mutig“. Nur den Vorschlag mit dem Coffeeshop versteht sie nicht. Der sei
undurchdacht. Und für die Jugendlichen im Kiez „nicht das günstigste
Signal“.
Am Eingang zum Görlitzer Park prallt Monika Herrmann fast mit einem
Polizeibeamten zusammen, der sich Notizen macht. Neben ihm fährt im
Schritttempo eine Polizeiwanne. Statt den Beamten anzusprechen, nickt
Herrmann nur knapp – und geht vorbei, wie eine Passantin. Hat die
Bürgermeisterin kein Interesse, ein paar Dinge zu dem Einsatz zu fragen?
Nein, sagt Herrmann etwas trotzig. Polizeieinsätze seien keine Bezirkssache
– das sei Henkels Beritt.
Die Bürgermeisterin bleibt jetzt im Gebüsch stehen. Sie spricht über
Verschönerungsmaßnahmen im Park, die der Bezirk durchgeführt hat: Neue
Wege, bessere Beleuchtung, das neue Kronkorken-Mosaik, das die Ruine des
Pamukkale-Brunnens ziert. Wo sind eigentlich an diesem Vormittag die
Dealer? Nur ein paar von ihnen drücken sich zwischen den Büschen herum.
Herrmann zuckt wieder mit den Schultern. „Da war wohl vor uns eine Razzia“,
sagt sie.
An Tagen, an denen es keine Razzia gibt, stehen die Dealer bis zur
U-Bahnstation Görlitzer Bahnhof Spalier. Vorne am Hähnchenimbiss die
Libanesen, weiter hinten die Afrikaner. Und mittendrin im Geschäft der
Kinderbauernhof. Das selbstverwaltete Projekt existiert dort seit 1980.
Seit einiger Zeit befinde man sich in einer „Belagerungssituation“, sagt
die Leiterin Claudia Hiesl: Sechs bis acht Einbrüche in den letzten zwei
Jahren, der Eingang zur Glogauer Straße dauerbelagert von Dealern, die bei
Razzien versuchten, auf dem Gelände ihre Ware zu verstecken. Den
langjährigen Kontakt zu Monika Herrmann bezeichnet Hiesl als „gut“.
Trotzdem: „Wir sind hier mit Problemen konfrontiert, für die wir keine
Lösung sehen“. Der Präventionsbeauftragte der Polizei habe ihr kürzlich
„viel Glück“ gewünscht – Hiesl lacht bitter. Dass ein quasi rechtsfreier
Raum von allen Autoritäten toleriert werde, sei für die Kinder „pädagogisch
eine Katastrophe“. Das Projekt lässt sich jetzt von ehemaligen Kindern
beschützen: Kräftige Jungs mit arabischem Hintergrund, die ehrenamtlich
patrouillieren und Dealer vom Gelände verjagen.
## Aus dem Ruder gelaufen
Am Görlitzer Park wird Monika Herrmann gemessen – auch wenn sie sich selbst
lieber mehr Aufmerksamkeit für die neue Gebärdendolmetscherin im
Bezirksparlament wünschen würde. Oder für den neuen Spielplatz der
Kindernothilfe in Friedrichshain. Für das was gut läuft, wo sie selbst
etwas gestalten kann. Trotzdem sind es immer wieder die Drogen, die
Armutszuwanderung, die Touristen, die über Berlin hinaus Schlagzeilen
machen. Und im Görlitzer Park, dieser immer überfüllten Graskuhle zwischen
dem Wrangelkiez und der Wiener Straße, bündeln sich all diese Probleme.
Manche Dinge – die Dealer, die am Park in ihren Autos campierenden
Roma-Familien – habe man lange einfach laufen lassen, gibt Monika Herrmann
zu. In der vergangenen Woche forderte das Jugendamt nun die Roma-Familien
auf, eine Unterkunft für ihre Kinder zu suchen. Sollte dies nicht gelingen,
so hieß es in dem Schreiben, wolle man die Kinder in Obhut nehmen.
„Wir dachten, wir sind tolerant, das kriegen wir hin.“ Doch dann sei die
Situation aus dem Ruder gelaufen. Bei den Dealern zeichnet sich bisher
keine Veränderung der Lage ab. Dass Henkels Polizei auch wenig ausrichten
konnte, scheint Herrmann in ihrem Credo zu bestärken: „Law and Order ist
nicht die Lösung.“ Was aber dann? Herrmann erzählt vom Coffeeshop-Hearing
mit Experten vorige Woche. Nett und informativ sei das gewesen, sie lobt
die konstruktive Haltung vieler Anwohner, auch wenn sie das Projekt
kritisch sähen, wie eine Mutter, die sich Sorgen um ihren drogenabhängigen
Sohn machte. Sie wolle, betont sie, keinen Kiff-Tourismus am Görli. Eine
Meldekarte könnte die Cannabisabgabe nur für über 18-Jährige mit Wohnsitz
in Berlin garantieren. „Es wäre natürlich entlastend, wenn es auch in
anderen Bundesländern klappen könnte mit legalen Abgabestellen“, sagt sie.
Noch in diesem Jahr will sie den Genehmigungsantrag für die Coffeeshops
beim Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) einreichen.
## Mal was wagen
Wahrscheinlich ist eine amtliche Genehmigung nicht. Auch hat Herrmann, die
von sich sagt, sie habe noch nie gekifft, für diesen Vorstoß harte Kritik
geerntet, sogar aus ihrer Partei. Antje Kapek, grüne Fraktionsvorsitzende
im Abgeordnetenhaus und Kreuzbergerin, sagte öffentlich, sie halte von dem
Projekt nichts. Dass die legale Abgabe von Cannabis den Drogenhandel im
Görlitzer Park beseitigen könnte, ist selbst für wohlwollende Beobachter
zweifelhaft: Schließlich werden dort auch jede Menge harte Drogen und
Hehlerware gehandelt. Ein lukrativer Markt, an dem auch ohne Cannabis viele
verdienen.
Auch Herrmann weiß das. Man müsse halt auch mal etwas wagen, sagt sie: „Ich
bin überzeugt, dass man in viele Richtungen denken muss, um Ergebnisse zu
erreichen. Auch wenn es dauert.“ Diese radikale Grundüberzeugung, die
Sturheit, die sie hinter scheinbarer Lockerheit versteckt, habe sie mit
anderen Kreuzberger Grünen wie Dirk Behrendt oder Hans-Christian Ströbele
gemeinsam. Manche nennen das grünen Fundamentalismus – wie ihre politischen
Widersacher Frank Henkel und Klaus Wowereit, die ihr öffentlich fahrlässige
Planlosigkeit vorwarfen. „Ich nenne es Haltung“, sagt Herrmann knapp.
Die Kreuzberger Grünen gelten als besonders links, besonders grün. In
diesem Kosmos ist Herrmann, die offen lesbisch lebt und sich politisch in
Frauenprojekten sozialisiert hat, fest verwurzelt. Ihre Stammwählerschaft
weiß zu schätzen, was sie leistet. Man schätzt ihre unverblümte Art, selbst
ihr Eingeständnis, für viele Probleme keine Lösung zu haben. Wenn man rund
ums Kottbusser Tor unterwegs ist, wo Herrmann von manchen „Monika“ genannt
wird, hört man, sie sei „eine Gute“, die leider nur begrenzt ihre
Vorstellungen durchsetzen könne – weil in der Regierung Betonköpfe säßen.
„Sie ist absolut in Ordnung“, findet Ahmet Tuncer vom Mieterbündnis Kotti &
Co., der vor dem Infostand steht. Zum Zweijährigen des Vereins sei sie da
gewesen, habe praktische Tipps gegeben. Doch sei die Mietenexplosion nicht
ihre Schuld. „Der Senat hat den Mieterschutz jahrzehntelang
vernachlässigt“, sagt Tuncer.
In ihrer Abneigung gegen die Politik der rot-schwarzen Koalition sind sich
Wähler und Bürgermeisterin einig. Herrmanns schlechtes Verhältnis zu Klaus
Wowereit ist legendär. Nie hat sie einen Hehl daraus gemacht, dass sie den
scheidenden Bürgermeister für inkompetent hält, seine Koalitionspartner von
der CDU für indiskutabel, seine Partei für arrogant.
## Mit einem Augenzwinkern
„Die SPD braucht einen Paradigmenwechsel, besonders im Umgang mit den
Bezirken“, sagt die Grüne, als sie sich in der Markthalle Neun mit einem
Milchkaffee niederlässt. Stadt von oben zu herrschen, müsse die SPD lernen,
die Stadt von unten zu denken, doziert sie. Und wirkt einen Moment lang wie
eine typische Politikerin. Im nächsten Moment lacht sie lautstark los,
lässt ihrer Schadenfreude über den SPD-Mitgliederzuwachs nach Wowereits
Rücktrittsankündigung freien Lauf. Und plaudert über die
Nachfolgekandidaten. Jan Stöß sei ein „total netter Kerl“ – sie kennt d…
ehemaligen Kreuzberger Finanzstadtrat noch aus ihrer gemeinsamen Zeit im
Bezirksamt. An Saleh bewundert sie, wie er sich in der Partei durchgebissen
hat. Und Müller? Der könne Verwaltung. „Ich bin froh, dass ich nicht mit
abstimmen muss“, schmunzelt sie. Endlich mal etwas, wofür sie nicht
verantwortlich ist. Nicht mal indirekt.
Im Ambiente der Markthalle Neun mit ihren regionalen Gourmetständen wirkt
Herrmann gelöst. Es ist eine bürgerlich-grüne Umgebung, der sie mit einem
Augenzwinkern begegnet. Mit Langenbach frotzelt sie genussvoll über
handgestreichelte Schweine und laktosefreien Café Latte. Den Leuten, die
aus der heruntergekommenen Halle einen Slowfood-Tempel gemacht haben,
bringt sie Sympathie entgegen. Sie ist Schirmherrin des anstehenden
„Festival für gutes Essen und gute Landwirtschaft“, spontan schaut sie im
Büro des Marktleiters vorbei, vermittelt den Kontakt zur Kreuzberger
Weinkönigin. Die Marktleute sind glücklich, Herrmann wirkt beschwingt.
Auf dem Weg nach draußen erzählt sie von Kreuzberg 61, dem westlichen Teil
Kreuzbergs, in dem sie mit ihrer Lebensgefährtin wohnt. Dort könne man ohne
Reservierung nicht mehr essen gehen – immer mehr „ganz normale“ Leute aus
dem Kiez zögen weg, der Mieten wegen. Sie selbst wohnt in einer
Eigentumswohnung. „Ich bin durchaus privilegiert“, sagt sie.
Bürgerliches Elternhaus in Neukölln, beide Eltern CDU-Politiker. Vielleicht
hat Monika Herrmann von ihnen das Diskutieren gelernt, vielleicht den
bürgerlichen Sinn für Anstand in der Auseinandersetzung. Der habe sie, wie
sie beim Weg zu ihrem Fahrrad erzählt, davon abgehalten, sich als Studentin
in Antifa-Gruppen zu engagieren. Empört erzählt sie von einer Veranstaltung
zur Flüchtlingspolitik in diesem Jahr, wo sie von radikalen Unterstützern
niedergebrüllt wurde und von Polizisten aus dem Raum eskortiert werden
musste. „Bei aller Radikalität. Aber wenn Leute bestimmen wollen, wo ich
sein darf, und was ich sagen darf, werde ich bockig.“
28 Sep 2014
## AUTOREN
Nina Apin
## TAGS
Kreuzberg
Gerhart-Hauptmann-Schule
Monika Herrmann
Grüne
Gentrifizierung
Berlin
Ohlauer Straße
Kreuzberg
Kreuzberg
Flüchtlinge
Cannabis
Berlin
Roma
Coffeeshop
Flüchtlinge
Hans Panhoff
Flüchtlinge
## ARTIKEL ZUM THEMA
Berliner „Weltrestaurant“ muss schließen: Herr Lehmann sitzt hier nicht me…
Das Kreuzberger „Weltrestaurant“ war Romanvorlage für Sven Regeners Roman
„Herr Lehmann“ und Treffpunkt der Boheme. Jetzt muss der Pächter gehen.
Ferienwohnungen für Flüchtlinge: Amt hält nichts von Beschlagnahmung
Grüne Bezirksbürgermeisterin wird für ihren Vorschlag abgewatscht:
Temporäre Beschlagnahmung von illegalen Ferienwohnungen laut LaGeSo
rechtlich nicht möglich.
Flüchtlinge in Kreuzberger Schule: Die Ruhe vor der Räumung
Schon zwei Jahre dauert die Besetzung einer Schule in Kreuzberg. Die
letzten Flüchtlinge wollen nicht weichen. Der Bezirk will jetzt jedoch
räumen lassen.
Flüchtlingsschule in Berlin-Kreuzberg: Der Showdown
Bis zum Wochenende sollen alle Flüchtlinge die besetzte Schule verlassen,
sonst will der Bezirk polizeilich räumen lassen. Widerstand ist geplant.
Monika Herrmann über Flüchtlingsschule: „Der Bezirk ist am Ende“
Monika Herrmann vollzieht die Kehrtwende: Verlassen die Besetzer die
Hauptmann-Schule nicht, werde sie die Polizei um Räumung bitten, so die
Bezirksbürgermeisterin.
Flüchtlinge in Kreuzberger Schule: Polizeischutz für Bezirksverordnete
Eine Kundgebung vor der besetzten Schule in der Ohlauer Straße verläuft
weitgehend friedlich. Die Flüchtlinge sollen die Schule bis Freitag
verlassen haben.
Münsters Polizeipräsident für Cannabis: Legalisierung erst im Ruhestand
Die deutsche Sektion der Gesetzeshüter gegen Prohibition hat ihre Gründung
verschoben. Ihr künftiger Vorsitzender musste seine Teilnahme absagen.
Roma in Berlin: Ganz kleine Brötchen
Der Senat hat zwei Notwohnungen für obdachlose Familien eröffnet –
inklusive Rückkehrberatung. Die Gewobag sucht Mieter fürs
„Roma-Modellhaus“.
Autonome bewerfen Neubauten in Berlin: SPD fürchtet um Besserverdienende
Gentrifizierungsgegner attackieren immer wieder mal Berliner Neubauten. Die
Vorfälle werden weniger. Ein SPDler will trotzdem hart durchgreifen.
Streit mit dem Jugendamt: Bezirk droht Roma
Der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg will Roma-Familien ihre Kinder
wegnehmen, wenn sie weiter im Freien nächtigen. Die Integrationsbeauftragte
des Senats kritisiert das Vorgehen.
Coffeeshop in Berlin-Kreuzberg: Kiff lässt Köpfe rauchen
Eine Experten-Anhörung im Rathaus Kreuzberg zeigt: Der Bezirk muss
öffentliches Interesse am geplanten Modellprojekt belegen. Das wird nicht
einfach.
Berliner Flüchtlingsproteste: Am Ende ihrer Kräfte
Jetzt haben auch die letzten Flüchtlinge in der Gürtelstraße aufgegeben –
zermürbt von falschen Versprechungen. An ihrer Situation ändert das nichts.
Gescheiterter Abwahlantrag: Panhoff bleibt Stadtrat
Linke und Piraten können sich mit der Kritik an der Räumung der
Gerhart-Hauptmann-Schule in Kreuzberg nicht durchsetzen.
Kosten für Einsatz an Flüchtlings-Schule: Polizei besetzt Kreuzberg umsonst
Nach dem vom Bezirksamt bestellten Großeinsatz hat Innensenator Henkel
geprüft, ob der Bezirk auch dafür zahlen muss. Das Ergebnis ist eindeutig.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.