# taz.de -- Spitzelei in Hamburgs linker Szene: Staatsschutz als Geheimdienst g… | |
> Die Bürgerschaft soll sich mit dem Einsatz der verdeckten Ermittlerin | |
> Iris P. befassen, die Linke erwägt sogar, einen Untersuchungsausschuss zu | |
> beantragen. | |
Bild: In diesem Fall klar zu erkennen: Polizisten vor der Roten Flora in der Na… | |
HAMBURG taz | Der sechsjährige Einsatz der verdeckten Ermittlerin Iris P. | |
durch das Hamburger Landeskriminalamt (LKA) beschäftigt die Hamburger | |
Bürgerschaft. Unter einer Legende und der Tarnidentität „Iris Schneider“ | |
soll sie im autonomen Zentrum Rote Flora und beim linken Radio „Freies | |
Sender Kombinat“ (FSK) aktiv gewesen sein. Der Einsatz der „Iris Schneider�… | |
soll von 2000 bis 2006 unter fünf Innensenatoren in drei Regierungen | |
stattgefunden haben – von Rot-Grün über Schwarz-Schill bis Schwarz pur. Die | |
Grüne-Abgeordnete Antje Möller hat den Komplex per Antrag auf | |
„Selbstbefassung“ auf die Tagesordnung des Innenausschusses gesetzt. | |
Die Linke erwägt sogar, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss zu | |
beantragen. „Es ist offenkundig zu schwerwiegenden Grundrechtseingriffen | |
und Rechtsverstößen gekommen“, sagt die Abgeordnete Christiane Schneider. | |
„Das muss völlig aufgeklärt werden.“ Auch Möller hält die | |
„geheimdienstlichen Methoden“ für nicht gedeckt von den rechtlichen | |
Grundlagen für den Einsatz verdeckter Ermittler. Dieser bedürfe der | |
Zustimmung der Staatsanwaltschaft, bei längerer Dauer sogar eines | |
richterlichen Beschlusses. „Zu dem konkreten Fall kann ich nichts sagen“, | |
sagt die Sprecherin der Staatsanwaltschaft Nana Frombach. „Grundsätzlich | |
vorgesehen ist unsere Zustimmung – inwieweit das geschehen ist, weiß ich | |
nicht“, weicht Frombach aus. | |
Pikant ist, dass der Spitzeleinsatz im Jahr 2000 unter Rot-Grün begonnen | |
hat, zwei Jahre nachdem der verdeckte Ermittler „Stefan“ enttarnt worden | |
war. Das hatte beinahe zum Koalitionsbruch geführt. Den „Stefan“-Einsatz | |
hatte der damalige Polizeipräsident und frühere Verfassungsschutzchef Ernst | |
Uhrlau (SPD) im Alleingang angeordnet. „Stefan“ war auf die linke | |
Flüchtlings-Unterstützerszene angesetzt und war 1995 in der | |
„Glasmoorgruppe“ aufgetaucht, die sich um die Abschiebehaft in dem Ort am | |
nördlichen Hamburger Stadtrand kümmerte. Später hatte er in Gruppen wie dem | |
Café Exil, dem Bündnis Lübecker Brandanschlag und der Plakat-Druckgruppe | |
der Roten Flora Fuß gefasst. Aktivisten hatten „Stefan“ 1998 auf einer | |
Privatfete in Elmshorn angetroffen, wo er den anderen Gästen nur als | |
Polizist bekannt war. Er tauchte daraufhin ab. | |
Der damalige Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD) hatte die verdeckten | |
Ermittlungen zur Gefahrenabwehr seinerzeit verteidigt. „Stefan“ sei kein | |
„verdeckter Ermittler“ gewesen, sondern nur ein „verdeckter Aufklärer“, | |
hatte er erklärt. Selbst ein Gutachten des Berliner Professors Gunnart | |
Falke Schubert im Auftrag der Innenbehörde kam jedoch zu dem Schluss, dass | |
der „Stefan“-Einsatz rechtswidrig war. Er hätte sich nicht Zugang zu | |
Wohnungen verschaffen dürfen. | |
## „Das ist keine Hamburgensie“ | |
Über den Einsatz von „Iris Schneider“ ab dem Jahr 2000 war Wrocklage | |
offenkundig nicht informiert worden. „Ich kann mich nicht an einen solchen | |
Fall erinnern“, sagt Wrocklage der taz. „Ich wusste, dass verdeckte | |
Ermittler eingesetzt wurden“, sagt Wrocklage, „das ist keine Hamburgensie.�… | |
Der Einsatz sei „legitim, wenn auch sehr problematisch“, sagt das aktive | |
Mitglied der Humanistischen Union. Was Iris P. gemacht habe, müsse „rein | |
individuell und menschlich gesehen“ werden. Es werde niemand beauftragt, | |
mit jemanden ins Bett zu steigen. | |
Die Ermittlerin soll zudem etwas getan haben, was Polizisten nach dem | |
Legalitätsprinzip nicht dürfen, nämlich Rechtsverstöße zu begehen – schon | |
indem sie für den Druck der Broschüre „Bewegungsmelder“ ohne Impressum | |
verantwortlich war. Zudem soll sie personenbezogen Daten gesammelt haben, | |
indem sie enge Freundschaften schloss, sich feuchtfröhlich auf privaten | |
Feten präsentierte und zwei Liebesbeziehungen einging, so die Vorwürfe. | |
Die Betroffenen wollen daher nun vorm Verwaltungsgericht klagen, um den | |
Umfang der Verstöße gegen das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu | |
erkunden. Der Einsatz sei „grob rechtswidrig“. Er habe zu keinem Zeitpunkt | |
„eine gesetzliche Grundlage gehabt und stellt einen schweren | |
Verfassungsbruch und einen unglaublichen Eingriff in die Grundrechte der so | |
bespitzelten Personen dar“, sagt der Strafrechtler Thomas Bliwier. | |
Die Deutsche Journalisten Union (DJU) ist zudem über den „polizeilichen | |
Eingriff in die Rundfunkfreiheit“ beim FSK empört. „Iris Schneider“ geh�… | |
seit 2003 der Redaktion des „Nachmittagsmagazin für subversive | |
Unternehmungen“ an. „Sie hatte umfangreichen Einblick in den | |
Redaktionsalltag und moderierte Sendungen“, berichtet FSK-Reporter Werner | |
Pomrehn. „Jeder polizeiliche Eingriff in die verfassungsrechtlich zu | |
schützende Medienfreiheit ist ein Skandal“, kritisiert | |
Ver.di-Fachbereichsleiter Martin Dieckmann. „Hier scheint es noch schlimmer | |
gewesen zu sein: Die Rundfunkfreiheit wurde zur Tarnung für verdeckte | |
Ermittlungen missbraucht.“ Der Senat müsse erklären, so Dieckmann, „wie er | |
den Schutz eines staatsvertraglich zugelassenen Senders gewährleisten“ | |
wolle. | |
10 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Kai von Appen | |
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