# taz.de -- Überwachung von Linken im Bundestag: Abschied von der Staatsfeindin | |
> Nach jahrelanger Überwachung muss der Geheimdienst seine Akten über | |
> Linken-Abgeordnete vernichten. Bayern fällt das Schreddern schwer. | |
Bild: Als einzige Linken-Abgeordnete wird Nicole Gohlke noch vom bayerischen Ve… | |
Berlin taz | Der bayerische Verfassungsschutz hat es sich nicht leicht | |
gemacht. Neun Monate brütete er über seiner Antwort an die | |
Bundestagsabgeordnete Nicole Gohlke, dann erst ging Ende April der Brief in | |
die Post. In feinstem Amtsdeutsch teilte Bayerns Verfassungsschutzchef | |
Burkhard Körner der Bildungsexpertin der Linksfraktion mit: „Zu Ihrer | |
Person sind im Rahmen der Beobachtung linksextremistischer | |
Personenzusammenschlüsse personenbezogene Daten gespeichert.“ | |
Dann listete er Aktivitäten auf, die Gohlke für den bayerischen | |
Geheimdienst zur wohl letzten Verfassungsfeindin im Bundestag machten. | |
So jedenfalls deutete man in der Linksfraktion das kryptische Schreiben aus | |
München: Obwohl Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) nach einem | |
Urteil des Bundesverfassungsgerichts die Beobachtung aller Abgeordneten der | |
Linksfraktion im Frühjahr 2014 hatte stoppen lassen, machte der bayerische | |
Verfassungsschutz erst einmal damit weiter. Zumindest in einem einzigen | |
Fall – nämlich ihrem. | |
Doch was genau könnte an dieser 39-jährigen Münchnerin, studierte | |
Kommunikationswissenschaftlerin, Mutter eines kleinen Kindes, gefährlicher | |
sein als an allen anderen Parlamentariern im Bundestag? | |
## Nicht alle Akten gelöscht | |
Auf Nachfrage lehnt der bayerische Verfassungsschutz jede Auskunft zu ihrem | |
Fall ab. Der Behördensprecher beruft sich auf das Datenschutzrecht: Sein | |
Amt dürfe solche Presseanfragen zu „gegebenenfalls vorhandenen | |
personenbezogenen Speicherungen“ grundsätzlich nicht beantworten. | |
Stattdessen lässt er wissen, der Verfassungsschutz verzichte bei | |
Abgeordneten auf „nachrichtendienstliche Mittel der Observation“ – also | |
etwa eine heimliche Beschattung durch Spitzel. Man habe nach dem Karlsruher | |
Urteil die Beobachtungspraxis „überprüft und entsprechend angepasst“. Die | |
meisten Akten über Abgeordnete seien gelöscht worden. | |
Aber eben nicht alle. Von vier Abgeordneten aus Bayern hatten laut | |
Linksfraktion drei einen Negativbescheid bekommen – nur nicht Nicole | |
Gohlke. In dem Brief an sie versicherte der bayerische | |
Verfassungsschutzchef: Sein Amt ermittle noch „im Rahmen einer | |
Einzelfallprüfung“, ob „die Voraussetzungen für eine Löschung aller zu | |
Ihrer Person gespeicherten Daten vorliegen“. Darüber werde man Gohlke | |
„zeitnah“ informieren. Das war im April. Seither: Schweigen. | |
Nicole Gohlke fiel bisher vor allem Fachpublikum auf. Schlagzeilen machte | |
nur ein Strafverfahren gegen die Münchnerin – sie hatte bei einer | |
Demonstration gegen den Islamischen Staat im Herbst 2014 eine Flagge der | |
verbotenen Kurdenpartei PKK hochgehalten und die Aufhebung des PKK-Verbots | |
gefordert. Diese Provokation erwähnt der Verfassungsschutzpräsident in dem | |
Brief an sie allerdings gar nicht. | |
## Alarmierende Wahlkampfbroschüre | |
Dafür entdeckten die bayerischen Fachleute für Linksextremismus in ihrem | |
Flyer zur Bundestagswahl 2013 ein offenbar brisantes Foto: Gohlke trage | |
darauf ein T-Shirt mit einem Aufdruck der „Antifaschistischen Aktion“ sowie | |
„einer roten und schwarzen Fahne“. Mehr noch: „Auf dem Bild sitzen Sie in | |
den Reihen des Bundestags“, hielt ihr der Behördenchef vor. Das | |
Antifa-Emblem werde in der „linksextremistischen autonomen Szene“ verwendet | |
und oft bei gewalttätigen Demonstrationen getragen. | |
Die Wahlkampfbroschüre schien den Verfassungsschützern auch in anderer | |
Hinsicht alarmierend. Gleich am Anfang weise Gohlke darauf hin, einen | |
Einblick in ihre parlamentarische Arbeit und ihre Aktivitäten in „Kampagnen | |
und Initiativen“ geben zu wollen: „Auch die Notwendigkeit des | |
Außerparlamentarismus wird verdeutlicht“, vermerkte das Amt. | |
Gohlkes Engagement in außerparlamentarischen Gruppen scheint den Bayern | |
besonders suspekt gewesen zu sein. So notierten sie, die Abgeordnete habe | |
sich bei einer „Marx-is-Muss-Konferenz“ in Berlin ebenfalls für das | |
Entstehen „neuer, sozialer, außerparlamentarischer Bewegungen“ stark | |
gemacht. | |
Obendrein sei Gohlke nicht nur Mitglied der linken Rechtshilfeorganisation | |
„Rote Hilfe“, sondern „maßgebliche Funktionärin“ des trotzkistischen | |
Netzwerks marx21. Die Organisation tritt laut Eigenwerbung an, „die Macht | |
der Konzerne zu brechen“ und will „eine politische Alternative zum | |
Kapitalismus“ aufbauen. | |
## 19 Linke-Parlamentarier im Visier | |
Deshalb stuft auch das Bundesamt für Verfassungsschutz marx21 als | |
linksextrem ein – und sammelt nach wie vor fleißig Informationen über das | |
Netzwerk. Neuerdings aber eben nicht mehr über die darin aktiven | |
Bundestagsabgeordneten, versichert der Inlandsgeheimdienst. | |
Bis 2014 hatte die Kölner Zentrale immerhin noch 19 Linke-Parlamentarier im | |
Visier – also knapp ein Drittel der Oppositionsfraktion. Aus Gründen der | |
„Beobachtungspriorisierung“ und wegen des „besonderen Status“ der | |
Abgeordneten machte Innenminister de Maizière 2014 damit Schluss. Auslöser | |
war ein Urteil der Bundesverfassungsgerichts. Darin erklärten die Richter | |
die Beobachtung des thüringischen Linkspartei-Politikers und heutigen | |
Ministerpräsidenten Bodo Ramelow für verfassungswidrig. | |
In der festungsartig abgeriegelten Zentrale des Bundesamts für | |
Verfassungsschutz in Köln lagerten damals meterweise Geheimakten über | |
Bundestagsabgeordnete der Linken: Insgesamt waren es „ungefähr 9.600 | |
Aktenstücke“, wie das Innenministerium der Fraktion im Mai 2014 mitteilte. | |
Wenig später kassierte der Geheimdienst allerdings eine weitere Niederlage. | |
Im September urteilte das Verwaltungsgericht Köln: Die Akte von | |
Fraktionschef Gregor Gysi muss in den Schredder. | |
Inzwischen dürfte die Behörde ahnen, dass sich ihre gesammelten Bestände | |
über Linken-Abgeordnete nicht retten lassen. Doch dem Geheimdienst fällt | |
der Abschied von den mühsam zusammengetragenen Dokumenten offenbar schwer. | |
## Bayerische Meinungsfreiheit | |
„Die Akten sind für die Vernichtung ausgesondert worden und stehen der | |
Fachabteilung nicht mehr zur Verfügung“, versichert eine Sprecherin des | |
Bundesamts für Verfassungsschutz. Sie sollten in nächster Zeit gelöscht | |
werden. Was genau das Amt seit Monaten hindert, sich von den Schätzen zu | |
trennen, bleibt unklar. | |
Auch in den meisten Landesämtern setzte längst ein Umdenken ein. Der | |
Sprecher des hessischen Verfassungsschutzes etwa versichert, man lege „aus | |
Respekt vor dem Mandat“ grundsätzlich keine Akten mehr über Abgeordnete der | |
Linksfraktion an. Dabei engagiert sich die hessische | |
Linkspartei-Abgeordnete Christine Buchholz wie Gohlke bei marx21 und in der | |
gewerkschaftsnahen Sozialistischen Linken, einer vom Geheimdienst ebenfalls | |
als linksextrem eingestuften Parteiströmung. | |
Dass bayerische Beamte ihre Zeit damit verbringen, Zeitungsausschnitte über | |
sie zu archivieren, beeindruckt Nicole Gohlke zwar nicht sonderlich. | |
Erschreckend findet sie aber, dass ihr der Verfassungsschutz das Tragen | |
eines Antifa-T-Shirts oder ein Engagement in außerparlamentarischen | |
Initiativen vorhielt: „Das lässt tief blicken, was das bayerische | |
Verständnis von Meinungsfreiheit und Versammlungsrecht angeht.“ | |
Doch eine Klage gegen den bayerischen Verfassungsschutz erübrigt sich nun. | |
Gut eine Woche nach der taz-Anfrage beim bayerischen Verfassungsschutz | |
erhält Nicole Gohlke erneut Post von der Behörde. „Ihr Einverständnis | |
voraussetzend“ beabsichtige man „alle zu Ihrer Person gespeicherten Daten“ | |
zu löschen, schreibt das Amt überraschend. | |
Am Okay der Abgeordneten dürfte es nicht scheitern. Nicole Gohlke hat auch | |
in den Parlamentsferien besseres zu tun, als sich mit dem Geheimdienst | |
herumzustreiten. Sie gewöhnt gerade ihre Tochter in die Kita ein. | |
8 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Astrid Geisler | |
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