# taz.de -- Strafverfolgung bei Spitzeln: „Zum Beispiel der Hitler-Gruß“ | |
> V-Leute sollen künftig für bestimmte Delikte nicht bestraft werden. | |
> SPD-Innenexperte Burkhard Lischka über den Umfang der Pläne, Transparenz | |
> und Rechtsstaatlichkeit. | |
Bild: Alles dürfte ein V-Mann bald nicht mehr mitmachen. | |
taz: Herr Lischka, künftig sollen V-Leute des Verfassungsschutzes einen | |
Freibrief für Straftaten bekommen. Das sehen Pläne des Innenministeriums | |
vor. Macht die SPD das mit? | |
Burkhard Lischka: Es geht nicht um einen Freibrief für V-Leute. Das wäre | |
mit der SPD selbstverständlich nicht zu machen. Eng beschränkte Ausnahmen | |
von der Strafverfolgung bei sogenannten „szenetypischen“ Straftaten sind | |
aber sinnvoll. Sonst ist der Einsatz von V-Leuten häufig gar nicht denkbar. | |
Welche Straftaten sollten für V-Leute künftig straffrei sein? | |
Zum einen sollte die Mitgliedschaft in einem verbotenen Beobachtungsobjekt | |
gerechtfertigt sein. Allerdings sollte die Gründung oder Steuerung einer | |
solchen Vereinigung auch für V-Leute ausdrücklich verboten sein. Zum | |
anderen sollte szenetypisches Verhalten gerechtfertigt sein, solange keine | |
Grundrechte Dritter verletzt werden. | |
Was heißt das konkret? | |
Damit ist zum Beispiel die Verwendung von NS-Kennzeichen gemeint oder das | |
Zeigen des Hitler-Grußes. | |
Gibt es für V-Leute künftig eine Liste der straffreien Delikte? | |
Nein, und das halte ich auch nicht für sinnvoll, sonst könnten die | |
sogenannten Keuschheitsproben der Szene immer genau einen Schritt weiter | |
gehen, um V-Leute zu enttarnen. Was als „Szenestraftat“ konkret | |
gerechtfertigt ist, muss letztlich die Rechtsprechung in jedem Einzelfall | |
entscheiden. | |
Was ist, wenn bei einer rechten Demo die Scheiben eines SPD-Büros | |
eingeworfen werden? | |
Da hier in Rechte anderer eingegriffen wird, wäre das auch für einen V-Mann | |
rechtswidrig. Wenn er sich allerdings in der Dynamik der Situation einem | |
Gruppendruck nicht entziehen konnte, soll die Staatsanwaltschaft künftig | |
trotz Rechtswidrigkeit von Strafverfolgung absehen können – aber nur, wenn | |
der V-Mann zur Aufklärung besonders gefährlicher Bestrebungen eingesetzt | |
wird. Es muss immer eine rechtsstaatliche Abwägung stattfinden zwischen dem | |
Strafverfolgungsinteresse und dem Interesse an einer Aufklärung | |
extremistischer Bestrebungen. | |
Erfährt dann der Geschädigte, warum das Verfahren eingestellt wurde? | |
Spätestens wenn der Geschädigte mit Rechtsmitteln gegen die Einstellung | |
vorgeht, wird er erfahren, dass hier ein V-Mann der Täter war. Der Name des | |
V-Mannes sollte allerdings anonym bleiben. | |
Und wenn aus einer Gruppendynamik heraus ein Ausländer zusammengeschlagen | |
oder sogar totgeprügelt wird? | |
Dann allerdings muss auch ein beteiligter V-Mann bestraft werden. Denn ein | |
Absehen von Strafverfolgung sollte nur bei Vergehen möglich sein, also | |
nicht bei Verbrechen wie etwa einem Mord. Und auch bei Vergehen sollte dies | |
nur möglich sein, soweit die Tat noch mit einer Bewährungsstrafe zu ahnden | |
wäre. | |
Nehmen wir an, Beate Zschäpe entpuppt sich doch noch als V-Frau des | |
Verfassungsschutzes – könnte sie dann für ihre NSU-Beteiligung mit | |
Straffreiheit rechnen? | |
Auf keinen Fall! Sie ist ja nicht nur wegen Mitgliedschaft in einer | |
terroristischen Vereinigung angeklagt, sondern auch als Mittäterin von zehn | |
Morden. Hier gibt es auch künftig kein Pardon für V-Leute. | |
Alle Welt diskutiert über Einschränkungen des V-Mann-Wesens – und die | |
Koalition will den Spitzeln künftig bei bestimmten Delikten Straffreiheit | |
garantieren. Wie passt das zusammen? | |
Es war eine Forderung der SPD, erstmals die Auswahl und Arbeit der V-Leute | |
des Bundesamts gesetzlich zu regeln. Das ist ein großer Fortschritt an | |
Transparenz und Rechtsstaatlichkeit und eine wesentliche Einschränkung des | |
V-Mann-Wesens. Dazu gehört dann aber auch, enge Ausnahmen von der | |
Strafverfolgung gesetzlich klarzustellen. Wir folgen hier ja überwiegend | |
nur der bisherigen Rechtsprechung. | |
Wirklich? Das Oberlandesgericht Düsseldorf hat 2011 entschieden, dass | |
Mitglieder einer terroristischen Vereinigung auch dann zu bestrafen sind, | |
wenn sie als V-Leute aus dieser Vereinigung berichten. Das wollen Sie doch | |
ändern. | |
Stimmt. Dieses überraschende Urteil hat gezeigt, dass wir klare und eng | |
definierte gesetzliche Regeln brauchen. Diese Regeln schaffen wir nun. Aber | |
es geht nicht nur um Straflosigkeit, das ist ja nur die eine Seite unserer | |
Pläne. | |
Was ist die andere Seite? | |
Es soll auch klare Einschränkungen geben, insbesondere bei der Auswahl der | |
V-Leute. Wer bereits zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, darf nicht | |
mehr als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig werden. Das wäre sonst für | |
einen Rechtsstaat unwürdig! Und wenn ein V-Mann erhebliche Straftaten | |
begeht, dann ist der Einsatz unverzüglich zu beenden. Das war schon immer | |
eine SPD-Forderung. | |
Der V-Mann wird dann sofort abgeschaltet? Ohne Ausnahme? | |
Dafür trete ich ein. Mir sind klare Regeln ohne Ausnahmen lieber. Dann | |
müssen wir eben mal auf einen kriminellen V-Mann verzichten – auch wenn der | |
bisher gute Informationen geliefert hat. | |
Werden die neuen Regeln für alle V-Leute des Verfassungsschutzes gelten? | |
Nur für die V-Leute des Bundesamts, ihre V-Mann-Führer und für verdeckt | |
arbeitende Mitarbeiter des Bundesamts. Für die V-Leute der Landesämter | |
gelten Landesgesetze. Hier gibt es aber teilweise bereits ähnliche | |
Regelungen, etwa in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. | |
Was ist mit V-Leuten der Polizei? | |
Auch hier halte ich eine gesetzliche Regelung für sinnvoll. | |
Und bei den V-Leuten des Bundesnachrichtendienstes? | |
Da wird es sicher auch noch Diskussionen geben. Immerhin hatte das OLG | |
Düsseldorf ja einen V-Mann des BND verurteilt, der aus einer türkischen | |
Terrororganisation berichtet hatte. | |
27 Nov 2014 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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