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# taz.de -- Sturz des Ölpreises: „Viel tiefer kann er nicht fallen“
> Wir müssen weg vom Öl, sagt der Energiewissenschaftler Lutz Mez. Ein
> Gespräch über den heftigen Absturz und den Herdentrieb der Spekulanten.
Bild: Die Ölpreise sinken. Hier die Gannet Alpha Plattform in der Nordsee.
taz: Herr Mez, wir erleben einen dramatischen Verfall des Ölpreises, der
sich innerhalb von Monaten mehr als halbiert hat. Was sind die Gründe
dafür?
Lutz Mez: Das ist ein ganzes Bündel an Ursachen. An erster Stelle nenne ich
die Investoren, die über viele Jahre riesige Summen in Rohstoff- und
Energiemärkte investiert haben und seit einigen Monaten aussteigen aus dem
Öl, dem nach wie vor wichtigsten Energieträger weltweit. Das Ausmaß der
Spekulation ist gewaltig. Man muss sich das klarmachen: Früher entsprach
der spekulative Handel mit Öl der dreifachen Menge des tatsächlichen
Ölverbrauchs. Heute wird zwölfmal so viel Öl gehandelt wie tatsächlich
verbraucht wird.
Also wären die „Kasinospiele an der Börse“, von denen der Ökonom Heiner
Flassbeck kürzlich in der taz sprach, ein wesentlicher Grund, der den Sturz
des Ölpreises vorantreibt? Die Kritiker der Spekulationsthese
widersprechen: Ein langfristiger Einfluss der Spekulation auf das
Preisniveau lasse sich empirisch nicht belegen.
Es sind mehrere Gründe, die zusammenwirken. Die Spekulation mit Öl hat
stark zugenommen und beeinflusst natürlich den Preis. Wie gesagt: Jedes
Fass wird zwölfmal gehandelt, bevor es verbraucht oder als Reserve
eingelagert wird. Die Vorratshaltung von Öl – das ist ebenfalls ein Grund
des Preisverfalls – hat sich enorm ausgeweitet. Die USA verfügen inzwischen
über Ölreserven für zwei Jahre. Die Reserven sind ein Puffer für
krisenbedingte Engpässe oder Umweltkatastrophen wie Hurrikan „Kathrina“.
Das dämpft aber den Preis, wenn die Lager übervoll sind.
Warum begann die Talfahrt des Ölpreises gerade im Juni 2014?
Es gab keinen direkten Auslöser. Die Spekulanten begannen in andere Märkte
zu investieren und beim Öl auf fallende Kurse zu setzen. Solch eine
Trendwende kann sich allmählich aufbauen. Die im Sommer sich abzeichnende
Entspannung gegenüber dem Iran hat dabei vielleicht mitgespielt. Außerdem
verkaufen auch die Kurden und der „Islamische Staat“ seit Ende Mai 2014 ihr
Öl. Man darf es nicht überbewerten, aber es sind kleine Mosaiksteine.
Woher kommt dann diese ungeheure Dynamik: eine Halbierung des Preises in
wenigen Monaten?
Weil der Preis, ebenfalls durch Spekulation, künstlich hochgehalten worden
war. Die Abwärtsbewegung hat sich dann wiederum verstärkt durch den
Herdentrieb der Spekulanten. Vergessen wir nicht, dass der Ölmarkt weder
der Rationalität noch klassischen Marktgesetzen gehorcht. Hier herrscht das
modifizierte Wertgesetz: Warenpreise können auch durch Produktionspreise
bestimmt werden, weil keiner der vielen Anbieter allein den Weltmarkt
versorgen kann.
Wie weit bestimmen noch Angebot und Nachfrage den Preis? Durch Fracking in
den USA haben wir permanent ein leichtes Überangebot. Die USA produzieren
heute täglich fast zwei Millionen Fass mehr als vor einem Jahr.
Die USA sind laut BP-Statistical Review mit 10 Millionen Fass pro Tag jetzt
die Nummer drei der Ölförderung. Die enorme Ausweitung der Förderung von
unkonventionellem Öl in den USA und in Kanada, also Fracking, Tiefseeöl, Öl
aus Ölsandvorkommen, ist sicher ein weiterer Grund für den Preissturz. Der
Ölimportbedarf der USA hat sich dadurch mehr als halbiert.
Also auch ein Nachfrageknick. Zudem ist Japan in der Rezession, viele
EU-Länder haben wirtschaftliche Probleme, die Wachstumsrate Chinas geht
zurück. Ein Land wie Italien hat in den letzten zehn Jahren seinen
Ölverbrauch um 35 Prozent reduziert…
Der Energieverbrauch der OECD-Länder insgesamt stagniert seit 2008 oder ist
teilweise sogar rückläufig. Das ist in der Tat auch ebenfalls Ursache des
Preisverfalls. Und die beiden größten Ölförderländer, Russland und
Saudi-Arabien, denken gar nicht daran, die Produktion zu drosseln.
Warum nicht?
Warum sollten sie? Beim aktuellen Niveau des Ölpreises von erstmals knapp
unter 50 Dollar machen zumindest Saudis, Russen und der Iran immer noch
Profite, während die teurer produzierenden Konkurrenten ständig Geld
verbrennen. Teures „Hightech-Öl“ wird teilweise vom Markt verdrängt.
Immer häufiger ist von einem „Ölkrieg gegen die USA“ die Rede. Die Saudis
würden auf Stabilisierungsmaßnahmen bewusst verzichten, heißt es, um
Schieferöl aus Fracking zu verdrängen.
Die Saudis nehmen es als angenehme Nebenwirkung sicher gern in Kauf, dass
die US-Ölförderung und andere Konkurrenten jetzt in Schwierigkeiten kommen.
Was machen nun die Firmen und Förderländer, die nicht mehr profitabel
produzieren? Eine Ölplattform im Ozean kann ich ja nicht kurz mal
stilllegen, weil der Ölpreis crasht.
In Großbritannien werden tatsächlich Ölplattformen vorübergehen außer
Betrieb genommen. Kleinproduzenten in Australien und den USA müssen Konkurs
anmelden.
Dann würde sich das Angebot wieder verknappen und die Party des billigen
Öls wäre schnell vorbei?
Das wird auch so sein.
Wie weit kann der Preis noch runtergehen?
Jetzt, Anfang Januar, liegen wir erstmals unter 50 Dollar. Viel tiefer wird
es nach meiner Einschätzung nicht mehr gehen.
Allein Russland hat 2014 mehr als 100 Milliarden Dollar durch den niedrigen
Ölpreis und den stürzenden Rubel verloren.
Saudi-Arabien, Russland und selbst der Iran verfügen aber über hohe
Währungsreserven und große Fonds aus Ölgeldern. Russland zum Beispiel über
450 Milliarden Dollar. Sie können den schwachen Preis noch einige Zeit
ertragen. Und natürlich wissen alle, dass die Notierungen wieder steigen
werden. Andere Länder wie Libyen, Venezuela oder Nigeria sind härter
betroffen. Es ist die Tragödie des Reichtums: Wer über große
Naturressourcen verfügt und in zu hohem Maße davon abhängig ist, kommt in
schwierigen Zeiten in die Bredouille.
Der niedrige Ölpreis müsste eigentlich die Nachfrage stimulieren und den
Verbrauch erhöhen. Wie elastisch reagieren die Gesellschaften auf den
Preissturz?
Nur weil Benzin billiger ist, fahre ich ja nicht mehr Auto. Und ich
verheize auch nicht mehr Öl, nur weil der Heizölpreis fällt. Auf der
Nachfrageseite passiert also gar nicht so viel. Der Ölverbrauch ist in
vielen Ländern stark temperaturabhängig. Ein richtig kalter Winter würde
ihn natürlich puschen. Im Verkehr gibt es aber einen klaren Trend: Die
Motoren werden sparsamer, das Fahrverhalten hat sich verändert, es werden
mehr Dieselfahrzeuge gekauft. Dadurch haben wir in Deutschland seit bald
zehn Jahren einen Rückgang des Ölverbrauchs im Transportsektor.
Der niedrige Ölpreis sorgt jetzt dafür, dass aufwändige Ölprojekte
verschoben werden. Was passiert, wenn die Frackingblase in den USA platzt
und die Förderung Ende dieses Jahrzehnts zurückgeht? Wird dann das
weltweite Ölangebot ziemlich schnell und katastrophal schrumpfen?
Der Frackingboom in den USA hat seinen Höhepunkt auf der Investitionsseite
bereits seit drei Jahren überschritten. Die Wachstumskurve hat sich
deutlich gekrümmt. Das ist die Krux dieser unkonventionellen Lagerstätten:
Sie sind schwer zu erschließen, sie sind relativ klein und die wirklich
guten Claims sind schon ausgebeutet. Es ist also absehbar, dass die
Förderung in den USA nach einigen Jahren zurückgehen wird. Trotzdem glaube
ich nicht an Katastrophenszenarien. Man darf nämlich die Energiewende nicht
vergessen. Leider schauen wir dabei immer nur auf den Stromsektor. Aber 80
Prozent unseres Endenergieverbrauchs liegen außerhalb des Stromsektors und
werden vor allem von fossilen Energieträgern gedeckt, also von Öl, Gas,
Kohle. Die müssen wir ersetzen durch Erneuerbare Energien und durch
Effizienz, also durch geringeren Verbrauch. Damit ist klar: Wir müssen weg
vom Öl. Die Erneuerbaren müssen endlich verstärkt auch im Wärmemarkt
eingesetzt werden. Das ist die wirklich große Aufgabe, die vor uns steht.
Deutschland ist dabei alles andere als ein Musterknabe. Schweden,
Österreich oder Finnland sind viel weiter. Die damals konservative
schwedische Regierung hat schon 2009 beschlossen, den Ölverbrauch bis 2020
von über 30 Prozent des Primärenergiebedarfs auf Null zu senken, also
komplett auszusteigen aus dem Öl – ein ambitionierter Plan.
Und wie weit ist das Land gekommen?
Schweden ist auf einem gutem Weg. 2012 machte der Ölanteil nur noch ein
Viertel der Primärenergie aus.
Nicht nur in Schweden wird Öl im Wärmemarkt zunehmend durch Gas ersetzt.
Wie weit hat der niedrige Gaspreis den Ölpreis runtergezogen?
Das ist ein weiterer Faktor! Der Gaspreis hat sich 2014 mehr als halbiert
und ist viel zu niedrig, erst recht im Verhältnis zum Öl. Im Iran will man
verstärkt Gas in die Ölfelder pressen, um so mehr Öl rauszuholen. Auch
Norwegen hat auf diese Strategie gesetzt. Natürlich braucht man dazu auch
die geologischen Voraussetzungen.
Zum Schluss der Blick in die Glaskugel: Wo steht der Ölpreis Mitte 2015?
Wenn ich das wüsste, wäre ich ein gefeierter Börsen-Guru.
Was sagt Ihr Bauch?
Der Bauch sagt: mindestens 80 Dollar. Das ist die Grenze für hochtechnisch
produziertes Öl.
9 Jan 2015
## AUTOREN
Manfred Kriener
## TAGS
Wirtschaft
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