# taz.de -- Warum der Preis für Rohöl sinkt: Herdentrieb der Finanzmärkte | |
> Hieß es nicht, die Ölvorräte gingen zur Neige? Nun steigt die Förderung | |
> und die Preise fallen – eine tückische Entwicklung für die | |
> Weltwirtschaft. | |
Bild: Mechanische Ölpumpen, Modell „Nickender Esel“. | |
BERLIN taz | Werner Zittel führt seit Langem einen mühsamen Kampf. Er | |
gehört der [1][Energy Watch Group] an, einem kleinen Netzwerk von Experten, | |
die den offiziellen Statistiken über die Ölvorräte des Planeten misstrauen. | |
Sie sehen Peak Oil kommen – also den Moment, an dem die Kurve der globalen | |
Ölförderung ihr Maximum erreicht hat und nur noch einen Weg kennt: nach | |
unten. | |
Derzeit jedoch kennt sie nur einen Weg: nach oben. Im Jahr 2008 errechnete | |
die Energy Watch Group, die Welt würde nie wieder mehr Öl fördern als im | |
Jahr 2006. Sie lag falsch. Peak Oil, eine Art Judgement Day des Zeitalters | |
der fossilen Energien, scheint nicht zu kommen. | |
Seit einigen Wochen sinkt und sinkt der Ölpreis, statt zu steigen, wie es | |
bei einer Verknappung der Fall sein müsste. Der Preis der Sorte West Texas | |
Intermediate sank auf den tiefsten Stand seit September 2010, auf 77 Doller | |
pro Barrel. Brent notiert um 82 Dollar. An beiden orientiert sich der | |
Markt. Steht die Welt vor einer neuen Phase des billigen Öls? | |
Für den niedrigen Ölpreis kursieren verschiedene Erklärungen – sie sagen | |
auch etwas über Peak Oil aus. „Ich sehe manche Dinge heute vorsichtiger“, | |
sagt Zittel selbstkritisch. „Die Fokussierung von Peak Oil auf ein | |
bestimmtes Datum lenkt davon ab, dass es sich um einen langjährigen Prozess | |
handelt, in dem es immer schwerer wird, an das Öl zu kommen.“ | |
Die damit verbundenen Zwänge und Rückkopplungen auf Wirtschaft und | |
Gesellschaft steigerten die Risiken für wirtschaftliche Verwerfungen, sagt | |
Zittel – „und diese Phase hat längst begonnen“. | |
Mit klassischen Erklärungen ist der gegenwärtigen Entwicklung jedenfalls | |
nicht beizukommen, etwa mit der von Angebot und Nachfrage. Die Nachfrage | |
nach Öl steigt weiter Jahr für Jahr, plus 0,7 Prozent werden es nach Zahlen | |
der Internationalen Energie Agentur 2014. | |
Die Förderung lag im September rund 3 Prozent über dem Wert vom Vorjahr. | |
Damit lässt sich ein Kurseinbruch um 20 bis 30 Prozent nicht erklären. Eher | |
sind es die Erwartungen, die damit verknüpft sind. Der Ökonom Heiner | |
Flassbeck erklärt den Kursrutsch mit dem Herdentrieb der Finanzmärkte: | |
Sinken die Preise, setzen immer mehr Spekulanten genau darauf. | |
## Preisspirale nach unten | |
Dazu kommt der Effekt, dass auch Raffinerien bei sinkenden Preisen zunächst | |
weniger Öl kaufen. Sie verarbeiten erst ihre Vorräte zu Diesel, Benzin oder | |
Kerosin und ordern dann neues Rohöl – das könnte mittlerweile billiger | |
geworden sein. Auch dies führt zu einem sich selbst verstärkenden | |
Preisverfall. | |
Die großen Unsicherheiten sind geopolitischer Natur: Wie wirken sich die | |
Sanktionen Europas auf die russische Förderung aus? Wann zieht die | |
Produktion in Libyen wieder an, wo wird die Förderung von Kämpfen | |
unterbrochen? Und vor allem: Wie reagiert die Organisation | |
erdölexportierender Länder auf ihrer nächsten Sitzung am 27. November? Wird | |
die Opec die Förderung senken, um die Preise zu stützen? | |
All diese Ereignisse haben mit der Frage, wie viel Öl noch gefördert werden | |
kann, wenig zu tun. Der Energieexperte Steffen Bukold vom Hamburger | |
Beratungsunternehmen [2][EnergyComment] lenkt die Diskussion auf die | |
Risiken eines immer unberechenbareren Ölmarktes: „Ich halte nicht viel | |
davon, mit immer abwegigeren statistischen Ansätzen einen Peak Oil zu | |
konstruieren, wo keiner ist. Wir sollten uns besser mit | |
Verknappungsrisiken, den Klimafolgen und mit den hohen Kosten der | |
Ölabhängigkeit beschäftigen als mit einem geologisch-technischen Peak, für | |
den wir kein methodisches Rüstzeug haben“, sagt er auf [3][peak-oil.com]. | |
## Abhängigkeit vom Öl | |
Wie groß diese Abhängigkeiten sind, zeigt die aktuelle Entwicklung: Mexiko | |
etwa kassierte bereits seinen Haushaltsentwurf für 2015 – ein Drittel der | |
Einnahmen hängen am Ölpreis. Russlands Staatshaushalt hängt zu 44 Prozent | |
an Einnahmen aus dem Öl- und Gasexport. Sinkt der Ölpreis dauerhaft unter | |
104 Dollar, wird der Staatshaushalt defizitär. Das Russian Institute for | |
Strategic Studies wittert gar eine Verschwörung aus dem Westen, um das Land | |
in den Ruin zu treiben. | |
Andere vermuten einen Preiskampf zwischen Saudi-Arabien und den USA. Die | |
Vereinigten Staaten sind zum größten Erdölproduzenten der Welt aufgestiegen | |
und sind für einen großen Teil der höheren Fördermenge verantwortlich – | |
dank Fracking. Doch die Investitionen waren für die US-Industrie riskant. | |
Seit 2009 können die 42 größten globalen Öl- und Gas-Konzerne laut der | |
staatlichen Energy Information Agency der USA die Kosten für ihre | |
Ölförderung und die Erschließung neuer Vorkommen nicht mehr aus ihren | |
Einnahmen decken – 2013 lag das Minus bei über 200 Milliarden Dollar. Sie | |
sind auf hohe Ölpreise angewiesen, um das Vertrauen von Investoren nicht zu | |
verlieren. Ab welchem Ölpreis die Konzerne in die Bredouille kommen, ist | |
umstritten. | |
## Riad könnte die Konkurrenz wegdrängen | |
Die Spanne liegt meist zwischen 60 und 85 Dollar. Die Förderung in | |
Saudi-Arabien ist wesentlich billiger – Riad könnte also US-Konkurrenten | |
vom Markt drängen. „Aus ökonomischer Sicht ist es für Saudi-Arabien viel | |
besser, den Preisrückgang zuzulassen“, glaubt Gary Ross von Pira Energy, | |
der den Ölmarkt seit den 70er Jahren beobachtet. | |
Doch auch diese These ist umstritten: Die US-Bank Goldman Sachs glaubt, | |
Riad könne den Ölmarkt kaum mehr beeinflussen, weil die USA mit ihrem neuen | |
Fracking-Öl den Ton angeben. Ab 85 Dollar pro Barrel Öl sei der | |
Staatshaushalt von Saudi-Arabien defizitär, glaubt die Bank. | |
Und hier schließt sich der Kreis: Der aktuell niedrige Ölpreis zeigt, dass | |
im Prinzip niemand damit leben kann – weder westliche Konzerne noch die | |
Staaten, die ihren Haushalt damit bestreiten. | |
„Warum setzen alle auf immer teurer zu erschließende Ölvorkommen und | |
steigende Preise?“, fragt Zittel. „Weil die konventionellen, billigen | |
Lagerstätten zur Neige gehen.“ | |
Peak Oil ist demnach nicht abhängig vom letzten Tropfen Öl, der aus dem | |
Boden kommt – sondern vom Preis, den die Weltwirtschaft noch zahlen kann, | |
ehe sie sich Alternativen sucht. | |
11 Nov 2014 | |
## LINKS | |
[1] http://energywatchgroup.org/ | |
[2] http://www.energycomment.de/ | |
[3] http://peak-oil.com | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
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