# taz.de -- Debatte Rohstoffe und Krimkrise: Pipeline des Friedens | |
> Die wirtschaftlichen Abhängigkeiten zwischen EU und Russland verhindern | |
> einen Krieg. Der wäre für beide Seiten schlicht zu teuer. | |
Bild: Garant für den Frieden? – Eine Gaspipeline im russischen Sudzah. | |
Europas Abhängigkeit von russischen Rohstoffen ist keine Geißel. Sie kann | |
sogar der entscheidende Faktor sein, der einen Krieg im Konflikt um die | |
Krim verhindert. Die alte liberale These, dass Handel Frieden befördert, | |
könnte sich in diesem Fall bewahrheiten. Öl war oft Grund für einen Krieg, | |
jetzt könnte es einen abwenden. | |
Die oberste strategische Prämisse aller Gedankenspiele der EU in diesem | |
Zusammenhang: Wir brauchen Energie. Völlig unabhängig von einer Bewertung | |
gilt, dass Öl und Gas der Lebenssaft unseres Wohlstands sind. Ein Drittel | |
davon bezieht die EU aus Russland, Deutschland sogar noch mehr. Generell | |
ist der EU völlig egal, woher der Lebenssaft kommt. Ob in den Ländern | |
Oppositionelle gefoltert, Frauen und Homosexuelle unterdrückt werden, | |
Meinungsfreiheit ignoriert wird oder sich Oligarchen und Diktatoren | |
bereichern, spielt nicht die geringste Rolle, wenn es um | |
Versorgungssicherheit geht. Erst das Fressen … | |
Deswegen war auch der Eiserne Vorhang löchrig. Schon in den 80er Jahren | |
bezogen etwa Deutschland und Italien große Mengen Öl und Gas aus der UdSSR | |
– zum Missfallen der US-Regierung. Als die Sowjetunion zusammenbrach, gab | |
es mindestens 3.000 Joint Ventures mit Konzernen westlicher Klassenfeinde. | |
Schon die Geschichte zeigt also, dass niemand Sanktionen verhängen will, | |
die die Öl- und Gaslieferungen aus Russland ernsthaft gefährden. | |
Militärisch gibt es die Logik der atomaren Abschreckung, im Falle eines | |
Wirtschaftskrieges die des ökonomische GAUs – auf beiden Seiten. Damit der | |
nicht eintritt, vergisst Europa die Moral und ignoriert, dass es von einem | |
Despoten abhängig ist. Wenn vor einem Krieg der Stopp von | |
Rohstofflieferungen zwischen EU und Russland steht, dann ist allein der | |
erste Schuss für alle schon so teuer, dass ihn auch Putin unbedingt | |
verhindern wird. | |
## Wirtschaft ist Psychologie | |
Möglicherweise könnte Europa sogar einen kurzfristigen Öl- und | |
Gaslieferboykott durch Russland abfedern – der Winter ist bald vorbei, die | |
Speicher sind voll. Allerdings sind solche Rechnungen egal. Wirtschaft ist | |
Psychologie und Zukunftserwartung. Vor kaum fünf Jahren drohte der | |
Weltwirtschaft die „Kernschmelze“, wie gern gesagt wird. Es folgte die | |
nicht endende Eurokrise. Länder wie Spanien, Italien, Portugal, Irland und | |
selbst Frankreich haben keinerlei finanzielle Reserven mehr, um eine | |
weitere Krise zu meistern. In Deutschland fehlt der politische Wille, noch | |
mehr zu zahlen. Sollte Russland auch nur temporär den Gashahn zudrehen, die | |
Panik in der Wirtschaft würde die EU in die nächste Krise stürzen. Es ist | |
davon auszugehen, dass Putin sich dessen bewusst ist. | |
Er wiederum sollte sich keine Illusionen machen: Russland würde genauso | |
schnell zusammenbrechen. Die Hälfte des Staatshaushalts hängt vom | |
Rohstoffexport ab. Russisches Öl und Gas gehen zu 80 Prozent nach Europa. | |
China könnte nie so große Mengen abnehmen, es fehlt schlicht an Pipelines, | |
Häfen, Schiffen. Zudem ist Russland auf Technologie und Kapital aus dem | |
Westen angewiesen, um weitere Rohstoffe zu erschließen. Ein ernsthafter | |
Wirtschaftskrieg würde also Russland und die EU im Mark treffen. Beide | |
wären in ihrer Existenz bedroht. | |
Wie fest der Glaube an die Richtigkeit dieser These ist, zeigen die | |
Finanzmärkte. Dort rechnet niemand ernsthaft mit einem (Wirtschafts-)Krieg. | |
Sonst wäre der DAX am Boden, der Dow Jones im Sturzflug, der Ölpreis würde | |
in die Höhe schießen, der Eurokurs einbrechen. Nein, die Autosuggestion | |
funktioniert: Der kann es nicht ernst meinen. Das macht ökonomisch keinen | |
Sinn. Die Abhängigkeit ist zu groß. Handel schafft Frieden. So zumindest | |
das Gedankenspiel. Auch die Analyse in diesem Text ist bisher eine | |
spieltheoretische, die auf der Annahme beruht, dass rationale Akteure nur | |
dann Konflikte anheizen, wenn die Gewinn-Verlust-Rechnung stimmt. | |
## Putin ist kein Irrer | |
Vielleicht liegt hier der große Denkfehler, den viele in den europäischen | |
Hauptstädten machen. Denn Putin hat in seinem Wertesystem neben | |
wirtschaftlichen Vorteilen noch anderes zu gewinnen: Prestige und einen | |
äußerer Feind, um das Land im Inneren hinter sich zu scharen, dazu eine | |
Vergrößerung der Einflusssphäre, neues Territorien, mehr Macht, mehr | |
imperiale Größe. Putin ist kein Irrer, er handelt rational. Er will einen | |
möglichst hohen Gewinn. Was aber passiert, wenn doch nicht nur rationale | |
Erwägungen herrschen, sondern Emotionen, Eitelkeiten und Automatismen, die | |
aus immer schärferen Reaktionen aufeinanderfolgen, steht auf einem anderen | |
Blatt. | |
Der Westen will auch gewinnen, nur dass es „den Westen“ nicht gibt. Wenn | |
die Ukraine zur EU strebt, gewinnt die Staatengemeinschaft, da damit ihre | |
ökonomische Spielwiese größer wird. Auf der herrscht eine Mischung aus | |
Kooperation und Kampf – nicht mit Gewehren, sondern mit den Waffen der | |
Ökonomie, in einem leidlich fairen Umfeld von Rechtsstaatlichkeit samt ein | |
paar Ökorichtlinien. | |
Das Spiel der EU funktioniert aber nur, wenn die Basis für ihr Spielgeld, | |
die Rohstoffe nämlich, von außen zufließen. Genauso wie Russland nur | |
funktioniert, wenn die Milliarden aus dem Verkauf von Öl und Gas sprudeln. | |
Aus diesem Dilemma der Abhängigkeiten führt kurzfristig kein Weg. Auch wenn | |
die EU spätestens seit dem Georgienkrieg 2009 versucht, ihr | |
Energieversorgung breiter zu streuen. | |
Wer nun aber auf die Krim schaut und wegen des Konflikts nach einer | |
schnelleren Energiewende ruft, spielt ein gefährliches Spiel. | |
## An der Schwelle zum Krieg | |
Richtig ist: Es gibt gute Gründe, Öl und Gas effizienter einzusetzen, | |
Häuser besser zu isolieren, Strom aus erneuerbaren Quellen zu beziehen, um | |
weniger fossile Rohstoffe importieren zu müssen. Eine Welt, in der keine | |
Bomben wegen Ölquellen fallen, ist definitiv eine bessere. Allerdings | |
befindet sich Europa an der Schwelle zu einem Krieg. Ein Land droht zu | |
zerbrechen. Es ist schlicht geschmacklos und albern, daraus Argumente in | |
einer innenpolitischen Debatte über ein deutsches EEG-Reförmchen zu | |
stricken. Zumal die Abhängigkeit von russischem Erdgas mittelfristig wegen | |
der Energiewende eher steigen könnte, weil Gaskraftwerke Kohle ersetzen | |
sollen, auch russische Kohle, die nach Deutschland importiert wird. | |
Wie dem auch sei: Die Energiewende hat genug Probleme, sie muss uns nicht | |
auch noch vor den Russen retten. Sonst könnte der Schuss nach hinten | |
losgehen: Angenommen, Sicherheitspolitik und Unabhängigkeit von Russland | |
werden oberste Prämisse einer europäischen Energiepolitik, dann wären | |
erneuerbare Energien nur ein Mittel unter vielen. Andere wären: Erdgas | |
durch Fracking, Braunkohle aus Ostdeutschland, Öl aus kanadischen | |
Teersanden, neue Pipelines für Öl und Gas aus Afrika. | |
Bis Europa nur noch Strom aus erneuerbare Energien erzeugt, ohne Benzin | |
Auto fährt und ohne Gas Häuser heizt, dauert es noch Jahrzehnte. Bis dahin | |
ist die Krimkrise längst Geschichte. Hoffentlich eine, die, da sie | |
glimpflich ausging, nur noch eine Fußnote ist. | |
15 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
## TAGS | |
Krim | |
Europäische Union | |
Russland | |
Rohstoffhandel | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ölpreis | |
Ölpreis | |
China | |
Fracking | |
Gas | |
Saatgut | |
Globalisierung | |
Russland | |
UN | |
Russland | |
Krim | |
Kaukasus | |
Bundeskanzlerin | |
Sanktionen | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Kommentar Ölpreis: Eine Krise des Kapitalismus | |
Der niedrige Benzinpreis freut die deutschen Autofahrer, gefährdet aber | |
ganze Länder. Sinkt er weiterhin, könnte er die nächste Finanzkrise | |
auslösen. | |
Warum der Preis für Rohöl sinkt: Herdentrieb der Finanzmärkte | |
Hieß es nicht, die Ölvorräte gingen zur Neige? Nun steigt die Förderung und | |
die Preise fallen – eine tückische Entwicklung für die Weltwirtschaft. | |
Kommentar Pipeline nach China: Putins mächtige Metapher | |
Russland verhandelt seit Jahren mit Peking über eine neue Ölleitung. Asien | |
ist schließlich ein gewaltiger Markt. | |
Debatte Umweltpolitik: Fracking statt Putin | |
Heimisches Schiefergas als Erlöserphantasie: Teile der Union wollen mit | |
Fracking die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen reduzieren. | |
Handelsexperte über Gas für Ukraine: „Jetzt zahlen wir eben mehr“ | |
Russland setzt Kiew weiter unter Druck: Gazprom streicht Rabatte, Gas ist | |
für das Nachbarland seit April 40 Prozent teurer. Der Handelsexperte Yuri | |
Pavlov bleibt cool. | |
Landwirtschaft in der Ukraine: Magere Ernte | |
Die Agrarwirtschaft ist dank fruchtbarer Böden die dynamischste | |
Exportbranche des Landes. Doch ihr fehlen Kredite und die Kosten sind hoch. | |
Die Schere öffnet sich weiter: Globalisierung nützt den Reichen | |
Die Verflechtung der Weltwirtschaft bringt Schwellenländern weniger als | |
angenommen. Das sagt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung. | |
Ukraine verkündet Einigung mit Russland: „Waffenruhe“ auf der Krim | |
Russland will die Blockade ukrainischer Militärstützpunkte auf der Krim | |
beenden. Die „Waffenruhe“ gelte vorerst bis Freitag. Das Referendum | |
verläuft ohne Zwischenfälle. | |
Russland droht internationale Isolation: G-8-Gipfel in Sotschi gefährdet | |
London statt Sotschi? Die weltgrößten Industrienationen tagen womöglich | |
ohne Putin. Und im UN-Sicherheitsrat stimmt nicht einmal mehr China mit | |
Russland. | |
Außenministertreffen Lawrow/Kerry: Wirklich konstruktiv – mit Differenzen | |
Russland und die USA haben sich beim Krim-Krisen-Treffen in London kaum | |
angenähert. Derweil will die UN Menschenrechtsverletzungen in der Ukraine | |
untersuchen. | |
Merkels Regierungserklärung zur Krim: Keinesfalls Krieg | |
Angela Merkels Erklärung findet auch die Zustimmung der Grünen. Die | |
Linkspartei lässt sich nicht in die Regierungsallianz einreihen. | |
Stephan Wackwitz' Buch über Georgien: Glücklich im Kaukasus | |
Stephan Wackwitz breitet kulturhistorische Fährten aus und entdeckt in | |
Georgien glaubhaft „Die vergessene Mitte der Welt“. | |
Kommentar Merkels Regierungserklärung: Sanktionen erst an dritter Stelle | |
Die zentrale Botschaft der Kanzlerin zur Krim-Krise lautet: Militärische | |
Schritte wird es nicht geben. Alles andere ist aber denkbar. | |
Ökonom über Krim-Sanktionen: „Weh tut es immer“ | |
Sanktionen schmerzen jeden, aber Russland träfen sie mehr als die EU. Als | |
letztes Mittel seien sie sinnvoll, sagt der Volkswirt Wolfram Schrettl. |