| # taz.de -- Ökonom über Krim-Sanktionen: „Weh tut es immer“ | |
| > Sanktionen schmerzen jeden, aber Russland träfen sie mehr als die EU. Als | |
| > letztes Mittel seien sie sinnvoll, sagt der Volkswirt Wolfram Schrettl. | |
| Bild: Gaspipeline in Wladiwostok. | |
| taz: Herr Schrettl, die Kritik an der EU wird lauter: Sie habe Putin | |
| provoziert, ohne die Folgen zu bedenken. Teilen Sie diese Kritik? | |
| Wolfram Schrettl: Wenn der ganze Schlamassel nur entstanden wäre, weil | |
| Putin von der EU vorschnell zu einer Konfrontation gezwungen wurde, dann | |
| müsste Putin massiv daran interessiert sein, eine gütliche Lösung | |
| herbeizuführen. Doch seine Reaktionen sind bislang allesamt aggressiv. | |
| Könnten Sanktionen gegen Russland Putin zum Rückzug bewegen? | |
| Ich bin grundsätzlich gegen Sanktionen, sie sind immer nur eine Notlösung, | |
| da ihre Wirkungen unberechenbar sind. Doch wenn es gar kein Einlenken von | |
| russischer Seite gibt, dann muss man die Schraube anziehen. Es | |
| inakzeptabel, dass jemand ein Land besetzt, nur weil ihm die politische | |
| Neuausrichtung nicht gefällt. | |
| Was würden Sanktionen bedeuten? | |
| Verluste auf beiden Seiten. Bei uns könnten etwa die Kosten für Energie | |
| steigen, und in Russland müssten wahrscheinlich die gehobene Mittelschicht | |
| und die Reichen ihre Shoppingtouren nach London, Paris oder Berlin | |
| einstellen. | |
| Was bringt das politisch? | |
| Das ist eben nicht klar. Man muss immer nach den Schwachstellen eines | |
| Landes suchen. Russland sagt liebend gern von sich: Alle sind von unserem | |
| Gas und Öl abhängig. Richtig. Verschwiegen wird aber: Russland ist noch | |
| viel abhängiger von den Einnahmen aus dem Gas- und Ölverkauf. Das war die | |
| Lehre aus der Krise 2008. Alle hatten Angst, dem Westen würde wegen | |
| explodierender Energiepreise das Wasser bis zum Hals steigen. Tatsächlich | |
| ging die russische Volkswirtschaft deutlich mehr in die Knie als jede | |
| westliche. | |
| Warum? | |
| Das hängt mit den Schulden zusammen. Zwar ist der russische Staat kaum | |
| verschuldet, wohl aber die staatsähnlichen Unternehmen. Gazprom an | |
| allererster Stelle. Die mussten Kredite aufnehmen, dass es nur so rauscht. | |
| Bei neuen Sanktionen wäre die Bedienung dieser Kredite gefährdet? | |
| Es müssten neue Kredite dafür aufgenommen werden – die nur zu horrenden | |
| Zinsen zu haben wären. Was das bedeutet, davon kann Griechenland ein Lied | |
| singen. Der interne Druck auf Putin würde enorm wachsen. | |
| Aber: Fällt die EU als Abnehmer für Öl und Gas aus, könnte dann nicht China | |
| in die Bresche springen? | |
| Das wäre denkbar. Doch die Pipelines in der nötigen Größenordnung nach | |
| China zu bauen, verlangte große Investitionen. Das geht nicht so einfach. | |
| Entwertet das die Sorgen der deutschen Industrielobby? | |
| Die muss natürlich jammern etwa, dass russische Einkäufe in Deutschland | |
| 300.000 Arbeitsplätze sichern würden. Nur wenn wir das Öl etwa aus dem Iran | |
| bezögen, wenngleich zu höheren Preisen, dann würde der Iran bei uns | |
| einkaufen gehen, vielleicht mit doppelt so viel Geld. | |
| Sanktionen sind doch ein Hebel? | |
| Am ehesten, wenn die USA übergangsweise als Ölliferant einsprängen. | |
| Ist das realistisch? | |
| 2008 hoben sie für ein, zwei Monate ihr Exportverbot für inländisch | |
| gefördertes Öl auf und sprangen ein. Für den Notfall gibt es | |
| Beistandsabkommen. Sie müssten aktiviert werden. | |
| Die Folgen für Deutschland oder die EU waren dann handhabbar? | |
| Weh tut es immer. Aber auf einer Schmerzskala von eins bis zehn: könnten | |
| wir den Schmerz mit solchen Maßnahmen von acht auf vier drücken. | |
| Ist Putins Angst, dass ihm die EU und die Nato allzusehr auf die Pelle | |
| rücken, berechtigt? | |
| Wirtschaftlich ist sie Unsinn. Denn in der geografischen Nähe zu einem | |
| blühenden Land ein Kümmerling zu bleiben, ist eine richtige Kunst. | |
| Wohlstand färbt ab. Russland profitierte von der Nähe zur EU. | |
| War es richtig, Georgien und Ukraine nicht in die EU aufzunehmen? | |
| Ja. Die Ukraine muss an die EU mithilfe Assoziationsverträgen herangeführt | |
| werden. Für einen Beitritt aber fehlen alle Voraussetzung. Das Land ist mit | |
| Griechenland vergleichbar – nur ist es viel größer. Auch die Ukraine hat | |
| über ihre Verhältnisse gelebt. Jetzt will sie gerettet werden, aber eine | |
| Vollmitgliedschaft würde die EU aus der Balance werfen. | |
| Das große Problem ist die Korruption. Vor allem dagegen haben die | |
| Demokraten auf dem Maidan protestiert. Was lässt sich dagegen unternehmen? | |
| Das ist eine ewige Aufgabe. Auch in Deutschland gibt es Korruption, wenn | |
| auch nicht beim kleinen Polizeibeamten, es muss schon um Millionenbeträge | |
| gehen. Je reicher ein Land ist, desto mehr Geld muss fließen, damit sich | |
| das Risiko bei Korruption lohnt. | |
| Wir sollten also nicht mit dem Finger auf andere zeigen. Trotzdem: Wie | |
| lässt sich Korruption eindämmen? | |
| Durch Konkurrenz etwa. Gibt es nur eine Passstelle, dann kann ich für jedes | |
| Visum viel Schmiergeld verlangen. Gibt es viele, drückt das den Preis. | |
| Rotation von Offiziellen ist ein weiteres Mittel. Niemand darf lebenslang | |
| dafür zuständig sein, Pässe auszustellen. | |
| Kann die EU auf solche Abläufe Einfluss nehmen? | |
| Ja. Sie ist zwar keine Ansammlung von Genies, hat jedoch aus vielen Fehlern | |
| gelernt. Der eigentliche Ansprechpartner dafür ist aber vor allem die | |
| Weltbank. Sie hat erfolgreiche Programme aufgelegt. Aber auch sie kann | |
| Korruption nur zurückdrängen, nie ganz abstellen. | |
| Merkel soll nun zur Chefdiplomatin in der Krise mit Russland werden. Was | |
| halten Sie davon? | |
| Es ist einen Versuch wert. Wer sollte besser sein als sie? Obama, Hollande | |
| oder Cameron sind es sicher nicht. | |
| Sie sehen die Krise nicht so dramatisch. Reagieren wir überzogen? | |
| Eine gewisse Angst ist berechtigt. Mit 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit | |
| geht die Krise ohne weitere Konfrontation friedlich vorbei. Bleiben 20 | |
| Prozent Wahrscheinlichkeit, dass Putin eine militärische Konfrontation in | |
| der Ostukraine in Kauf nimmt. | |
| Selbst dann führten die vielen Vergleiche mit einem Kalten Krieg II aber in | |
| die Irre. | |
| Nicht unbedingt. Erinnern Sie sich: Putin lässt eine Interkontinentalrakete | |
| testen, und die USA stationieren als nächstes zwölf weitere Kampfflugzeuge. | |
| Was soll das? | |
| Und Clinton kommt mit einem Hitler-Putin-Vergleich ums Eck. | |
| Derlei Gestichel rechtfertigt meine 20-Prozent-Sorge. | |
| 13 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ines Kappert | |
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