# taz.de -- Krimtataren in Deutschland: Ferne Heimat Krim | |
> Rushena Abduramanova ist stolz auf ihre Herkunft, Hakan Ufakcan kennt die | |
> Krim nur aus Erzählungen. Wie erleben Krimtataren in Deutschland die | |
> Krise? | |
Bild: Von Usbekistan auf die Krim nach Deutschland: Rushena Abduramanova vor de… | |
BERLIN taz | Rushena Abduramanova hat klare Vorstellungen von ihrer | |
Zukunft. „Ich will mit einer guten Ausbildung auf die Krim zurückkehren und | |
den Leuten beweisen, dass ich etwas wert bin“, sagt die 24-Jährige mit dem | |
schmalen Gesicht und den mandelförmigen Augen. Seit fünf Jahren lebt sie in | |
Deutschland, studiert an der Uni Potsdam Politik- und | |
Verwaltungswissenschaften. | |
Mit dem Examen in der Tasche will sie sich für die Rechte der rund 300.000 | |
Krimtataren einsetzen, die auf der Halbinsel leben. Sie will es all jenen | |
zeigen, die die Krimtataren in der Vergangenheit diskriminiert haben. Vor | |
allem Angehörige der russischen Minderheit seien das gewesen. | |
Ihre Familie sei von Fremden auf der Straße angepöbelt worden, und zwar | |
schon lange vor Beginn der Krimkrise. „Ich bin stolz darauf, dass ich eine | |
Krimtatarin bin“, sagt sie trotzig. Mit ihrem Nationalstolz stößt sie bei | |
vielen ihrer deutschen Bekannten auf Befremden. Die Deutschen haben ein | |
anderes Verhältnis zu ihrer eigenen Nation. Es hat etwas gedauert, bis | |
Rushena Abduramanova das verstanden hat. | |
Sie gehört zu einer islamischen Minderheit, die seit dem 6. Jahrhundert auf | |
der Krim lebt. Nach der Oktoberrevolution, 1921, wurde den Krimtataren eine | |
autonome Sowjetrepublik zugestanden. Damit war das Recht verbunden, die | |
krimtatarische Kultur und die traditionelle arabische Schriftsprache zu | |
pflegen. Bald erkannten die Bolschewiki den Krimtataren diese Rechte jedoch | |
wieder ab. In der Sowjetunion wütete der Stalin’sche Repressionsapparat. | |
Als die Wehrmacht 1941 die Krim besetzte, brachte ihr die Bevölkerung daher | |
mehr Sympathie entgegen als in anderen Orten der Sowjetunion. Einige | |
Krimtataren schlugen sich, ebenso übrigens wie Ukrainer, Russen und | |
Angehörige anderer Ethnien, auf die Seite der Deutschen. Die Mehrheit der | |
Krimtataren kämpfte jedoch in der Roten Armee oder schloss sich den | |
Partisanen an. | |
## Stalins Rache | |
Zur Strafe dafür, dass einige von ihnen mit der Wehrmacht kollaboriert | |
hatten, ließ Stalin 1944 alle Krimtataren, deren man habhaft werden konnte, | |
in den Ural, nach Mittelasien und Sibirien deportieren. Etwa die Hälfte | |
starb. Erst unter Reformpolitiker Gorbatschow durften sie Ende der 80er | |
Jahre auf die Krim zurückkehren. | |
Unter der jetzigen Krimkrise leiden die Krimtataren. Viele haben Angst vor | |
erneuter Gewalt. Die Russen könnten ihnen nun vorwerfen, dass sie aufseiten | |
der Ukrainer stehen, meint Rushena Abduramanova. Sie skypt täglich mit | |
ihrer Familie. Die Mutter weint häufig. „Meine Großmütter fürchten, dass | |
sie noch einmal deportiert werden“, sagt Rushena Abduramanova. Die eine war | |
sieben, die andere acht Jahre alt, als ihre Familien 1944 in Viehwaggons | |
gesteckt wurden, die dann Richtung Osten rollten. | |
Auf der tagelangen Reise erhielten sie kaum Wasser und Essen. Die Eltern | |
beider Mädchen kamen um. Irgendwo in Usbekistan stoppten die Züge, und die | |
Menschen aßen, was sie gerade fanden: Gras, Wurzeln, Sonnenblumenkerne. | |
Später wurden die Mädchen in Waisenhäuser gesteckt. Da die Krimtataren | |
nichts auf die Reise hatten mitnehmen dürfen, besaßen sie keine Papiere. | |
Irgendjemand gab ihnen einfach neue Namen. | |
## Nicht gut vernetzt | |
Auch Hakan Ufakcan ist Krimtatar. Rushena Abduramanova kennt er nicht. Er | |
kam 1960 in der türkischen Stadt Eskisehir zur Welt, wo bis heute viele | |
Krimtataren leben. 1969 wanderten seine Eltern in die Bundesrepublik aus. | |
In jungen Jahren arbeitete Hakan Ufakcan als Schlosser. Heute ist er | |
Kellner im Berliner Restaurant Mercan, das seinem Schwiegervater gehört. | |
„Meine Großmutter wurde auf der Krim geboren und sprach Russisch“, erzählt | |
er. | |
Die Familie handelte mit Lammfellen. Weil sie nicht unter den Kommunisten | |
leben wollte, floh die Großmutter kurz nach der Oktoberrevolution zu | |
Verwandten in die Türkei. Ein Schiff brachte die junge Frau nach Istanbul. | |
Eine jüngere Schwester der Großmutter blieb zurück auf der Krim. Deshalb | |
bestehen bis heute lockere familiäre Kontakte. Auch der zweite Mann der | |
Großmutter, Hakan Ufakcans geliebter Stiefgroßvater, war Krimtatar. Und | |
Hakan Ufakcan hegt Gefühle für eine Halbinsel, die er nie betreten hat. | |
„Schon als es in Kiew losging, dachte ich gleich an die Krim“, sagt er. | |
„Wenn ich jetzt die Berichte über die Krim sehe, habe ich Angst vor einem | |
Krieg.“ | |
2005 fand in Berlin eine krimtatarische Kulturwoche mit Musik und Filmen | |
statt – weitgehend unbeachtet. Inzwischen hat die deutsche Öffentlichkeit | |
die hiesigen Krimtataren entdeckt. Auffällig ist, dass diese untereinander | |
kaum vernetzt sind. Vielleicht liegt das daran, dass die Krimtataren nicht | |
nur in ihrer eigenen Kultur, sondern auch in vielen anderen verwurzelt sind | |
– in der türkischen, der ukrainischen, der russischen und nun auch der | |
deutschen. Sie haben viele Bezugspunkte. Jedenfalls trifft sich weder Hakan | |
Ufakcan noch Rushena Abduramanova regelmäßig mit anderen Krimtataren. Als | |
sie kürzlich bei der Vorführung des ersten krimtatarischen Spielfilms doch | |
ein paar Landsleuten begegnete, schlug Rushena Abduramanova ihnen vor, sich | |
zu verabreden. Als der Tag gekommen war, waren sie doch bloß zu dritt. | |
## Zu Fuß in die Türkei | |
Hakan Ufakcan spricht vage davon, dass er in Berlin ein Sommerfest | |
organisieren will, wie es die Krimtataren in der Türkei feiern, mit | |
Wettkämpfen und gutem Essen. Sie könnten Cigbörek machen, Teigtaschen mit | |
Lammhack, das Leibgericht der Krimtataren. Doch Hakan Ufakcan befürchtet, | |
dass er dann in eine politische Ecke gestellt werden könnte: „Ich | |
interessiere mich eher für Kultur als für Politik.“ | |
Der Mann, der später der zweite Ehemann seiner Großmutter werden sollte, | |
wuchs auf der Krim auf. Er heiratete, wurde Vater. Als die Wehrmacht | |
einmarschierte, wurde er in die Wlassow-Armee eingezogen, die unter | |
deutschem Oberkommando stand. In dieser nach ihrem ersten Kommandeur | |
benannten Truppe kämpften Gegner der Sowjetunion. Hakan Ufakcans Großvater | |
landete gegen Ende des Krieges in der österreichischen Stadt Klagenfurt. | |
Dort kam er in sowjetische Kriegsgefangenschaft, es drohte die Deportation | |
in Stalins Lager. Dem Großvater gelang die Flucht. „Er lief von Klagenfurt | |
zu Fuß bis in die Türkei“, sagt Hakan Ufakcan. | |
In Eskisehir traf er die Großmutter, die sehr jung ihren ersten Mann | |
verloren hatte. Sie heirateten, bekamen noch ein Kind. Ab und zu besuchten | |
sie ihre Verwandten in Westberlin. In den siebziger Jahren fuhr die Familie | |
mal auf der Transitstrecke durch die DDR. Dort sah der Großvater | |
sowjetische Soldaten, die in der DDR stationiert waren. „Er fluchte, und | |
ich merkte, dass er Angst hatte“, erinnert sich Hakan Ufakcan. Dass er | |
seine erste Frau und die Kinder in der Sowjetunion ihrem Schicksal | |
überlassen musste, das habe dem Großvater wohl letztlich das Herz | |
gebrochen. | |
## Von Usbekistan auf die Krim | |
Rushena Abduramanova kam in Usbekistan zur Welt. Lange sprachen ihre Eltern | |
davon, auf die Krim überzusiedeln. Viele krimtatarische Familien hatten das | |
schon getan. Doch die Eltern wollten warten. Ihnen war bekannt, dass in den | |
ehemaligen Häusern der Krimtataren inzwischen Russen und Ukrainer wohnten. | |
Schließlich konnten sich die Abduramanovs dort eine Wohnung kaufen. Rushena | |
Abduramanova reiste vor. Die Schülerin lebte zunächst bei der Großmutter | |
auf dem Dorf. Strom gab es stundenweise, fließendes Wasser gar nicht. So | |
ergeht es vielen Krimtataren, die keine rechtlichen Ansprüche auf ihre | |
alten Häuser haben. | |
Endlich trafen die Eltern und der jüngere Bruder ein. Auf die Freude folgte | |
die Erkenntnis, „dass den Krimtataren auf der Krim viele Türen verschlossen | |
sind“, wie Rushena Abduramanova es ausdrückt. Sie war mit der Vorstellung | |
aufgewachsen, dass die Krim ihre Heimat sei. Nun war sie tief | |
enttäuscht.Während ihrer Schulzeit sollten einmal die besten Schüler zur | |
Belohnung eine Woche nach Kiew reisen. Rushenas Zensuren waren sehr gut. | |
Doch eine Ukrainerin mit schlechteren Noten bekam ihren Platz. „Die | |
Direktorin fragte: ’Hast du dir mal deinen Namen angeschaut?‘ “ | |
Nach der Schule studierte Rushena Abduramanova in Simferopol Ukrainische | |
Philologie, um sich mit der ukrainischen Kultur besser vertraut zu machen. | |
Doch schon bald machte sie sich auf den Weg nach Deutschland, einem Land, | |
von dem sie sich vor allem eine gute Ausbildung erhofft. Letztlich hat sie | |
auf der Krim, dem Mittelpunkt ihrer Sehnsüchte, nur einen Bruchteil ihres | |
bisherigen Lebens verbracht. In Deutschland beschäftigt sie sich nun viel | |
mit dem Islam. In die Moschee geht Rushena Abduramanova nur selten, und sie | |
trägt kein Kopftuch. Doch sie betet fünfmal täglich, meist für sich allein: | |
„Die Religion war für mein Volk immer sehr wichtig. Nur durch die | |
Sowjetunion wurden wir von ihr entfremdet.“ Sie wünscht sich, dass sich | |
auch ihre Eltern wieder stärker dem Islam zuwenden. | |
Ihr Vater, ein Sportwissenschaftler, ist in den vergangenen Wochen in | |
Simferopol regelmäßig zu den Demonstrationen gegangen – vor und nach dem | |
Abgang von Janukowitsch. Rushena Abduramanova zählt seine Forderungen auf, | |
die auch ihre sind: „Die Krim soll weiter zur Ukraine gehören. Die | |
Krimtataren sollten als indigenes Volk anerkannt werden.“ Das würde auch | |
bedeuten, dass die Entscheidungen ihrer Vertreter auf der Krim | |
berücksichtigt werden müssten. Rushena Abduramanova fährt fort: „Den Leiden | |
meines Volkes sollte mehr Aufmerksamkeit gewidmet werden.“ Vor allem aber | |
wünscht sie sich eine friedliche Lösung des Konflikts. | |
13 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Josefine Janert | |
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