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# taz.de -- Pro + Contra zur Krise in der Ukraine: Sanktionen gegen Russland?
> Die EU müsse klarmachen, welchen Preis Putin zu zahlen habe, sagt die
> Grüne Rebecca Harms. Stefan Liebich von der Linkspartei plädiert hingegen
> für Verhandlungen.
Bild: Pro-russische Kräfte in Simferopol.
JA, SANKTIONEN! Die Invasion auf die Krim war systematisch vorbereitet. Der
russische Präsident hat sich bewusst für den Bruch des Völkerrechts und der
UN-Charta entschieden. Wie weit er für neue territoriale Ansprüche gehen
wird, ist ungewiss. Über Europa, zumindest über Zentral- und Osteuropa legt
sich eine Angst vor Krieg. Es geht um die Souveränität der Ukraine, aber
auch um globale Werte, für die die EU steht.
Was muss, was kann die EU jetzt tun? In vielen Kommentaren schwingt derzeit
eine fatalistische Haltung mit: Wladimir Putin könne tun, was er will, der
Westen sei ohnmächtig. Die EU-Wirklichkeit entspricht das nicht: Die EU hat
wirtschaftliche und politische Handlungsmöglichkeiten.
Dabei geht es nicht um militärische Antworten. Keiner außer Putin will eine
kriegerische Eskalation im größten östlichen Nachbarland der EU riskieren.
Natürlich muss das erste Ziel sein, alle Parteien an den Verhandlungstisch
zu bekommen. Bisher scheitert alle Diplomatie an Moskau. Das liegt wohl
auch daran, dass diese Diplomatie bisher mit keinen glaubwürdigen
Sanktionen verknüpft worden ist. Jetzt muss entschieden werden, wann und
unter welchen Umständen sie in Kraft treten.
Eine Garantie, dass Putin so an den Verhandlungstisch zurückkehrt, gibt es
nicht. Aber die EU muss deutlich machen, wie hoch der Preis für sein
Vorgehen ist und dass dieser Weg in die internationale Isolation führt.
Waffenexporte und die Rüstungszusammenarbeit mit Russland müssen sofort
beendet werden. Es ist Irsinn, dass Frankreich noch in diesem Jahr ein
Kriegsschiff an Russland liefern will. Auch deutsche Unternehmen haben
Russland in den vergangenen Jahren versorgt – etwa mit einem hochmodernen
Ausbildungszentrum für Infanterie und Panzerverbände. Damit muss sofort
Schluss sein.
Russland ist von der EU mindestens so abhängig wie umgekehrt. Gerade zur
Modernisierung brauchen russische Unternehmen das Know-how aus der EU. Wie
riskant die Aggressionspolitik Putins für die heimische Wirtschaft ist,
haben die ersten Tage der Krim-Krise deutlich gezeigt, als der Rubel
abstützte, die Gazprom-Aktie in den Keller ging und die ganze russische
Börse wackelte. Gezielte Reisebeschränkungen und das Einfrieren von Konten
der russischen Machtelite wären erste Schritte, mit denen die EU Putin
zeigen könnte, dass Konfrontation nicht toleriert wird.
Wirtschaftssanktionen, die den russischen Präsidenten beeindrucken können,
verlangen auch von uns Veränderung. Die Krise zeigt, wie gefährlich eine
einseitige Abhängigkeit bei Energie- und Rohstoffexporten ist. Die EU muss
bereit sein, umzudenken und zumindest Projekte wie die geplante
Southstream-Pipeline auf Eis zu legen.
Immer wieder höre ich das Echo auf die russische Propaganda, dass es in
Kiew einen „faschistischen Putsch“ gegeben hätte. Es stimmt: Auf dem Maidan
sind auch Rechte. Nicht alles, was zurzeit in Kiew passiert, ist
automatisch gut. Und es ist längst nicht sicher, dass die
Oppositionsparteien es schaffen, den demokratischen Weg weiterzugehen.
Deshalb braucht die Ukraine jetzt nicht nur unser Geld, sondern echte
Unterstützung. Wir müssen helfen, schnell gegen Korruption vorzugehen, und
dafür sorgen, dass von den zugesagten Hilfsgeldern die gesamte Ukraine
profitiert. Außerdem muss das Assoziierungsabkommen so schnell wie möglich
unterzeichnet werden.
Wir haben nichtmilitärische Möglichkeiten. Wenn wir heute nicht Putins
Angriff auf die Ukraine und unsere europäischen Werte mit einer klaren
Strategie entgegentreten, werden wir morgen viel größere wirtschaftliche,
politische und moralische Kosten zu tragen haben. REBECCA HARMS
***
NEIN, KEINE SANKTIONEN! Im nächsten Jahr wird es ein Jubiläum geben, das
eher nicht zum Feiern einlädt. Es ist dann 55 Jahre her, seit die USA
umfassende Sanktionen gegen ihren Nachbarn Kuba verhängt haben. Sie wurden
damals mit der Enteignung von amerikanischen Firmen und Bürgern durch die
Regierung Fidel Castros begründet und gelten bis heute fort.
Das Ergebnis ist außerordentlich fragwürdig. Denn während sich die
inkriminierten Besitzverhältnisse auf der Karibikinsel auch nach über einem
halben Jahrhundert nicht wesentlich veränderten, herrscht dort stattdessen
ein eklatanter Mangel auch an den elementarsten Dingen. Die Sanktionen
treffen, natürlich, vor allem die kleinen Leute. Und das ist nur ein Grund,
solchen Maßnahmen eher ablehnend gegenüber zustehen.
In der Regel werden Sanktionen von sich überlegen fühlenden Staaten oder
Staatengruppen als Strafmaßnahmen gegen andere Staaten oder Staatengruppen
verhängt. Es gibt im Völkerrecht aber keinen legitimierten
Sanktionskatalog, mit dem reale oder vermeintliche „Normverstöße“ von der
einen gegenüber der anderen Seite zu ahnden wären, es sind immer und vor
allem willkürliche Entscheidungen. Das ist auch im Ukraine-Konflikt nicht
anders. Ohne Zweifel hat Russland mit seinen Beschlüssen zur Krim gegen das
Völkerrecht verstoßen, fehlt uns für die Intervention jedes Verständnis.
Doch kaum war die Nachricht davon in der Welt ertönte nahezu reflexartig
der Ruf nach Sanktionen. Die schlichte Rechnung, die dabei gern aufgemacht
wird - Wirtschaftsraum EU mit 500 Millionen Einwohnern sanktioniert
Wirtschaftsraum Russland mit 144 Millionen Einwohnern –, wird aber so
sicher kaum aufgehen.
Nicht nur, weil bei einem Handelsvolumen allein zwischen Deutschland und
Russland in Höhe von 76 Milliarden Euro harte Wirtschaftssanktionen auch
wie ein Bumerang wirken würden und bis zu 300.000 Arbeitsplätze in der
Bundesrepublik zur Disposition gestellt werden könnten, sondern auch, weil
es schier unvorstellbar erscheint, dass Russland einer solchen Druckkulisse
nachgibt.
Jegliche Versuche, Russland stärker in die wirtschaftliche und politische
Isolation treiben zu wollen, machen die Reaktionen aus Moskau nur noch
unberechenbarer. Die Verhängung von Sanktionen ist daher eher ein Beitrag
zu Eskalation und präjudiziert einen gefährlichen Aktionismus. Das wird
offensichtlich auch im Regierungslager so diskutiert. Die
CSU-Landesgruppenchefin im Bundestag Gerda Hasselfeldt fragt diesbezüglich
nicht zu unrecht: „Macht es Sinn, oder ist es nur eine Trotzhaltung?“ Um
der Integrität der Ukraine und der Vermeidung eines Bürgerkriegs noch eine
Chance zu geben, ist vor allem das Tor zu Verhandlungen weit offen zu
halten.
Wir müssen alle Gesprächskanäle nutzen, in der OSZE und im Europarat, im
UNO-Sicherheitsrat und auch auf dem G-8-Gipfel. Reden, reden, reden steht
jetzt ganz oben auf der Agenda statt Sanktionen, Treffen absagen,
Botschafter abziehen. Wir sind nicht mehr im Kalten Krieg, und Russland ist
nicht die Sowjetunion. Russland ist viel zu groß und zu wichtig, als dass
wir es als Partner verloren geben dürfen.
Im Übrigen haben gerade wir hierzulande besondere sanktionsferne
Erfahrungen: Es war 1983, als ein westdeutsches Bankenkonsortium der DDR
einen Milliardenkredit gewährte, eingefädelt durch Franz Josef Strauß.
Bürge war die Bundesregierung. Und 1987 wurde Erich Honecker zum
Staatsbesuch mit vollem Protokoll empfangen. Nur wenig später feierten
Deutsche in Ost und West die Vereinigung ihrer beiden Staaten. Friedlich.
STEFAN LIEBICH
12 Mar 2014
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