# taz.de -- Ukrainischer Soziologe über die Krise: „Linke sind eine Minderhe… | |
> Der Soziologe Volodimyr Ischtschenko hält linke Gruppen für | |
> marginalisiert. Die Zukunft der Ukraine wird wohl ohne sie entschieden | |
> werden. | |
Bild: Blumen für die Opfer des Maidan. | |
taz: Herr Ischtschenko, warum spielen Linke auf dem Maidan keine Rolle? | |
Volodimyr Ischtschenko: Linke sind in der Ukraine eine Minderheit, wir | |
haben nicht mehr als tausend Aktivisten im Land. Die ukrainische Linke ist | |
sehr vielfältig: Ihr fühlen sich Anarchisten, Linksliberale, Marxisten, | |
Gewerkschafter, die Studenten von der „Direkten Aktion“ und intellektuelle | |
Antikapitalisten zugehörig. Gleichzeitig sind sie sehr zerstritten, so dass | |
es vergangenes Jahr am 1. Mai drei linke Demonstrationen gab. | |
Haben die Linken die Maidan-Bewegung unterstützt? | |
Nicht alle. Einige linke Gruppen wollten sich einbringen, wurden aber von | |
Rechtsradikalen bedroht und angegriffen. Gewerkschaftsaktivisten, die | |
Flugblätter verteilt hatten, in denen der Euro-Maidan unterstützt wurde, | |
wurden von der Bühne als Kommunisten beschimpft und anschließend | |
geschlagen. Mit einer roten Fahne auf den Maidan zu gehen ist leider nicht | |
möglich. | |
Trauen Sie der neuen Regierung? | |
Nein. Und da bin ich auch nicht der Einzige. Die ukrainische Regierung ist | |
insgesamt neoliberal. Vier Minister und der Vizepremier sowie der | |
Generalstaatsanwalt sind von der rechtsradikalen und xenophoben | |
„Swoboda“-Partei. An die Interessen der Arbeiterklasse denkt dort niemand. | |
Zwei Oligarchen wurden jetzt zu Gouverneuren ernannt. Von diesen Leuten | |
erwarte ich keine transparenten Strukturen. Sie werden den internationalen | |
Konzernen die Türen der Ukraine ganz weit öffnen. Und auch in Zukunft wird | |
so ein großer Teil des ukrainischen Kapitals auf irgendwelchen | |
Offshore-Unternehmen geparkt, wofür dann natürlich auch keine Steuern | |
bezahlt werden. | |
Und wie positionieren sich die ukrainischen Kommunisten? | |
Die Kommunistische Partei der Ukraine hat sich völlig diskreditiert. Dies | |
hat mehrere Gründe. Zum einen hatte sie die repressiven Gesetze vom 16. | |
Januar unterstützt, die unter Verletzung der Geschäftsordnung des | |
Parlaments und der Verfassung verabschiedet wurden und die Rede- und | |
Versammlungsfreiheit beträchtlich einschränkten. Deswegen werden sie heute | |
zu Recht nur als linkes Anhängsel des Janukowitsch-Regimes wahrgenommen. | |
Ohne ihre Unterstützung … | |
… im Parlament hätte Janukowitsch nicht die Mehrheit gehabt. Die Belange | |
der ukrainischen Arbeiterklasse interessieren sie wenig. Stattdessen | |
konzentrieren sie sich übermäßig auf die Sprachenfrage, beschäftigen sich | |
mit historischen Fragen und mischen sich in innerkirchliche Konflikte ein. | |
So haben sie sich eindeutig auf die Seite des Moskauer Patriarchats der | |
Orthodoxen Kirche gegen das Kiewer Patriarchat gestellt. Und sie haben auch | |
rassistische Artikel über schwarzafrikanische Amerikaner in ihrer | |
offiziellen Zeitung veröffentlicht. | |
Wie ist ein Krieg jetzt noch zu verhindern? | |
Die Aggression Russlands gegen die Ukraine muss gestoppt werden. Einen | |
Einsatz von westlichem Militär in der Ukraine lehne ich jedoch ab. Würden | |
sich westliche Truppen in den Konflikt einmischen, würde die Stimmung im | |
Süden und Osten der Ukraine kippen. Und dann würden diese Truppen als | |
Okkupanten angesehen und nicht mehr die russischen Truppen. | |
Wie geht es weiter ? | |
Die wirtschaftliche Lage wird sich weiter verschlechtern. Die neue | |
Regierung will alle strengen Forderungen des Internationalen Währungsfonds | |
umsetzen. Dazu gehört die Erhöhung der Preise von Gas und Strom – für die | |
einfache Bevölkerung. Gleichzeitig sollen Vergünstigungen, z. B. für | |
Rentner, abgeschafft werden. Diese Maßnahmen werden vor allem die im | |
staatlichen Sektor Beschäftigten und die Armen, weniger jedoch die | |
Mittelklasse betreffen. Soziale Forderungen müssen an erster Stelle bei | |
Protesten im Osten und Westen des Landes stehen. Wir müssen dazu beitragen, | |
dass sich eine gesamtgesellschaftliche demokratische Bewegung gegen die | |
herrschende Klasse bildet. Einfach wird das nicht sein, Oligarchen, | |
ukrainische und russische Nationalisten werden versuchen, dies zu | |
verhindern. | |
20 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
## TAGS | |
Maidan | |
Kyjiw | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Die Linke | |
Ukraine | |
Krim | |
Ukraine | |
Ukraine | |
Krim | |
Krim | |
Ukraine | |
Russland | |
Russland | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Ukrainische Rechtsextreme protestieren: Rücktritt des Innenministers gefordert | |
Die Regierung überlegt ein Verbot des „Rechten Sektors“. Der wiederum will | |
Arsen Awakow aus dem Amt jagen. Die Maidan-Allianz zerbröckelt. | |
Folgen für Russland durch Krim-Krise: EU verschärft Sanktionen | |
Die EU verhängt Einreiseverbote und Kontensperrungen gegen Russen. | |
Ungeachtet dessen stimmt die letzte Instanz in Moskau für den Anschluss der | |
Krim an Russland. | |
Ukrainischer Musik-Star: Russendisko war gestern | |
Slawa Wakartschuk von der ukrainischen Band Okean Elzy beschwört die | |
Einheit seines Landes und versprüht Optimismus. Aber nicht in Russland. | |
Ukrainer verlassen die Krim: „Das ist richtiger Terror“ | |
Wer auf der Krim gegen den Beitritt zu Russland ist, wird eingeschüchtert. | |
Viele verlassen die Halbinsel. Fraglich, ob sie je zurückkehren. | |
Kosten des Krim-Konflikts für Russland: Der Rubel schmollt | |
Schwache Konjunktur, Kapitalflucht und die Angst vor weniger Investitionen: | |
Russlands ökonomische Lage wird durch den Krim-Konflikt verschärft. | |
Linkspartei, Grüne und die Krim: Die Politik wird dümmer | |
Die Krimkrise hinterlässt Kollateralschäden: Linkspartei und Grüne bewerfen | |
sich mit Sandkastenförmchen. Sollten sie nicht die Regierung kritisieren? | |
Kommentar „Faschismus“ im Krim-Konflikt: Machtpolitik im sowjetischen Stil | |
Russland nennt die ukrainischen Machthaber „Faschisten“ – und macht damit | |
Verhandlungen obsolet. Rassismus im eigenen Land wird verschwiegen. | |
Nach dem Krim-Referendum: Des einen Walzer ist des anderen Tod | |
Die Befürworter des Anschlusses an Russland feiern ausgelassen. Zugleich | |
werden Journalisten und Gegner des Referendums immer offener bedroht. | |
Folgen des Referendums: Putin erkennt Krim als Staat an | |
Nach dem Referendum ist die Krim für Russland nun ein unabhängiger Staat. | |
Die EU reagiert vorerst mit 21 Einreiseverboten und Kontensperrungen. | |
Ukraine mobilisiert das Militär: Die Armee geht in Stellung | |
Das Parlament in Kiew hat eine Teilmobilisierung der Armee beschlossen. | |
Währenddessen löst die Krim bereits die ukrainischen Militärstützpunkte in | |
ihrem Gebiet auf. | |
Kommentar Krim-Referendum: Statisten im Moskauer Schauspiel | |
Nach dem Jubel-Sonntag beginnt die Zeit der Ausnüchterung auf der Krim. Die | |
Bewohner der Halbinsel sind jetzt Geiseln von Putin. | |
Ukraine im Herzen – Russland aber auch: Überall Faschisten | |
Deutsche Pässe, ukrainische Omas und Russisch als Muttersprache: Die Krim | |
und der Konflikt kommen auf Karten und Tabellen an den Küchentisch. | |
Pro + Contra zur Krise in der Ukraine: Sanktionen gegen Russland? | |
Die EU müsse klarmachen, welchen Preis Putin zu zahlen habe, sagt die Grüne | |
Rebecca Harms. Stefan Liebich von der Linkspartei plädiert hingegen für | |
Verhandlungen. | |
Die Ukraine als Spielball der Mächte: Putins Sieg, Putins Niederlage | |
Die EU hätte die Ukraine schon früher anbinden müssen. Im Gegensatz zu | |
Janukowitsch war sie nicht interessiert. Doch auch Putin wird scheitern. | |
Krise in der Ukraine: Klassenkampf auf der Krim | |
Prorussische „Volksmilizen“ übernehmen die Kontrolle im ukrainischen | |
Simferopol. Die Krimtataren fürchten um ihre Existenz. |