| # taz.de -- Nach dem Krim-Referendum: Des einen Walzer ist des anderen Tod | |
| > Die Befürworter des Anschlusses an Russland feiern ausgelassen. Zugleich | |
| > werden Journalisten und Gegner des Referendums immer offener bedroht. | |
| Bild: Sie feiern den Anschluss – während andere um ihr Leben fürchten. | |
| SIMFEROPOL taz | Nach dem umstrittene Referendum am Sonntag feierten die | |
| Befürworter eines Anschlusses an Russland in Simferopol bis in die | |
| Morgenstunden. 96,6 Prozent sollen nach Angaben der prorussischen | |
| Regionalregierung für den Anschluss an Russland gestimmt haben bei einer | |
| Wahlbeteiligung von 81 Prozent. | |
| Lautstark schallte die russische Hymne in der Nacht durch die Straßen. Bis | |
| zum Morgengrauen war das Grölen von Betrunkenen zu hören. In den | |
| Grünanlagen und auf den Gehwegen liegen haufenweise leere Wodka- und | |
| Bierflaschen verstreut, Müll und Fetzen von russischen Flaggen. | |
| Am Montagmorgen fegt ein eiskalter Wind durch die Stadt. Eine Frau, 59 | |
| Jahre alt, erzählt verzückt davon, wie sie den ganzen Abend auf dem | |
| zentralen Platz verbracht hat. „Ich habe den Abend mit einem unbekannten | |
| Mann zum Walzer von Sewastopol getanzt, es war so schön und leicht. Wir | |
| haben nicht miteinander geredet, er war mir auch so sehr nah“ schwärmt sie. | |
| „Dieses Glück der Vereinigung, solch eine Energie!“ | |
| Ilja, der zu Sowjetzeiten in Afghanistan gedient hatte, ist hingegen ganz | |
| anders gestimmt. „Ich akzeptiere das Referendum nicht. Ich bin und bleibe | |
| Bürger der Ukraine.“ Die Krim sei nur ein kurzzeitig besetztes Territorium. | |
| „Ich werde alles tun, was in meiner Macht steht, um diese Okkupation zu | |
| verhindern“, kündigt er entschlossen an. | |
| Auf allen Straßen, die zum Krim-Parlament führen, stehen russische Soldaten | |
| und die „Selbstverteidigungskräfte“ des Ministerpräsidenten Axjonow. Sie | |
| durchsuchen alle Autos, die ins Stadtzentrum fahren. | |
| ## Parlament beschließt Gesetze im Minutentakt | |
| Drinnen im Parlament beschließen die 85 Abgeordneten Gesetze im | |
| Minutentakt. Sie votierten einstimmig für einen Anschluss an Russland. | |
| Außerdem stimmen sie für die Enteignung des ukrainischen Staatsbesitzes auf | |
| der Krim. Der russische Rubel wird zudem offizielle Währung. Die | |
| ukrainische Griwna bleibt bis Anfang 2016 als Zahlungsmittel erhalten. Ab | |
| Ende des Monats ticken die Uhren nach Moskauer Zeit. | |
| Dass die Ereignisse aber auch Unsicherheit und Ängste auslösen, zeigen die | |
| Schlangen vor den Geldautomaten. Vor allem die Kunden ukrainischer Banken | |
| heben schon seit Tagen ihr Erspartes ab. Viele Bewohner der Krim fürchten | |
| auch, dass die Ukraine der Halbinsel Strom, Gas und Wasser abdrehen könnte. | |
| Proteste gegen den Anschluss an Russland sind nicht zu sehen. Am Sonntag | |
| gab es noch kleine friedliche Proteste gegen den Anschluss. Am Montag ist | |
| davon nichts mehr zu sehen. Dafür macht eine erschütternde Nachricht die | |
| Runde. | |
| Ein Krimtatare nahm am 4. März mit einer ukrainischen und krimtatarischen | |
| Flagge an einer Protestveranstaltung teil. Danach war er spurlos | |
| verschwunden. Am Sonntag fand man seinen Leichnam auf einem Feld. Er war | |
| nackt, mit deutlichen Spuren von Folter, das Gesicht mit Klebeband | |
| verklebt. | |
| ## Morddrohungen gegen Journalisten | |
| Eskender Nebijew, Kameramann eines krimtatarischen Fernsehsenders, | |
| berichtet von einem Überfall am Sonntagabend. „Unser Auto wurde von | |
| mehreren Jeeps mit bewaffneten Männern verfolgt. Sie zwangen uns | |
| auszusteigen, nahmen uns unsere Papiere weg. Unser Fahrer wurde mit einer | |
| Gewehrlauf am Kopf bedroht“, erzählt er. | |
| Die Journalistin Irina Sedowa aus Kertsch ist aufgebracht. Sie erzählt, | |
| dass sie bereits unverhohlene Drohungen bekommen habe. „Morddrohungen gegen | |
| mich von russische Neonazis gab es schon früher“, sagt sie. „Weil ich | |
| schreibe, wie Menschen Gesetze brechen. Es sind Artikel über das Schweigen | |
| der lokalen Regierung. | |
| Dann erzählt sie, dass sie schon zwei Verfahren am Hals hatte, weil sie | |
| öffentlich die ukrainische Fahne schwenkte. „Wenn ich hier weiterarbeite, | |
| gibt es zwei Varianten: Entweder man bringt mich um oder ich komme ins | |
| Gefängnis. Deswegen fahr ich weg und schmeiße alles hin, was ich mir so | |
| lange hier aufgebaut habe.“ | |
| Kertsch hatte beim Referendum die höchste Wahlbeteiligung auf der Krim. | |
| Auch andere Journalisten bekommt bereits Drohungen. „Wir warten darauf, | |
| dass man uns irgendwann abholt“, sagt eine andere Kollegin düster. „Die | |
| Frage ist nur, wann?“ | |
| Übersetzung: Ljuba Naminova | |
| 17 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Tatjana Kurmanova | |
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