# taz.de -- Ukraine im Herzen – Russland aber auch: Überall Faschisten | |
> Deutsche Pässe, ukrainische Omas und Russisch als Muttersprache: Die Krim | |
> und der Konflikt kommen auf Karten und Tabellen an den Küchentisch. | |
Bild: Es ist kein Spiel mehr. | |
Der Krieg ist los. Mitten in meinem Haus. Über dem Küchentisch hängt eine | |
bunte Vergleichstabelle, von Kindeshand sorgsam aus „Russkij Berlin“ | |
ausgeschnitten. „Militärstärke Russlands und der Ukraine“, steht drauf. | |
Links - winzige Symbole, Panzer, Schiffe, Raketen. Rechts – die Zahlen. Es | |
sieht nicht gut aus für die Ukraine. Wie auch? Bei laut Tabelle 211 | |
Flugzeugen gegen 1 462 russische, 10 950 Marinesoldaten gegen 130 000 oder | |
gar nur 1 U-Boot gegen 64 russische U-Boote. | |
Die Jungs jonglieren mit den Zahlen, als handele es sich um einen | |
Känguru-Wettbewerb. Krieg kannten sie bis jetzt nur als Spiel. Diese Zahlen | |
hier sind aber real. Todernst. Mein Russland versus meine Ukraine. In | |
meiner deutschen Küche. Ein Alptraum! Die Jungs haben deutsche Pässe, | |
ukrainische Omas und Russisch als Muttersprache. Und ein Urverlangen | |
danach, sich die Welt zurechtzulegen. | |
Bereits zu Kitazeiten erklärten sie mir, sie wüssten jetzt, wer Faschisten | |
waren. Das wären Deutsche gewesen, die nicht an Gott geglaubt haben, also | |
die Gottlosen, die Schlechten. Mit dieser Erkenntnis konnten sie nun | |
getrost ihre Kitafreunde lieben und gleichzeitig auf endlosen Kriegszügen | |
mit kalter Hand Faschisten erlegen. Die Fronten standen klar. Feind war man | |
abwechselnd und in gegenseitigem Einvernehmen. Vor dem Schlafengehen hat | |
man sich gründlich abgeduscht. Damit kam die Welt wieder in Ordnung. | |
Nun sind sie plötzlich überall, die Faschisten. Laut Moskau – in Lwiw und | |
Odessa. Laut Kiew – im Kreml. Laut Mama – im Kopf von Papas bestem Freund, | |
der bei Luhansk wohnt und Maidananhänger verächtlich „Maidawns“ nennt. La… | |
Papa – im selbsternannten Parlament der Krim und ... in Mamas Kopf. Zwist | |
und Säbelgerassel in meiner Familie. Die Nerven liegen blank, nicht nur bei | |
uns. | |
## Mitten durch die Küche | |
Neulich sah sich der Chefredakteur vom besagten „Russkij Berlin“ gezwungen, | |
angesichts der strittigen Publikationen in seiner Zeitung zur aktuellen | |
Berichterstattung in der Ukraine persönlich zur Feder zu greifen, um | |
zwischen den Fronten zu schlichten. Wer schlichtet aber zwischen den | |
Fronten meiner ukrainisch-russischen Seele? Wer ersetzt gekündigte | |
Freundschaften, diesseits und jenseits der Oder? Die Frontlinie eines noch | |
nicht mal angebrochenen Krieges verläuft mitten durch meine Küche. | |
Vielleicht auch durch die der Bundeskanzlerin. Sie sitzt womöglich ein paar | |
Kilometer entfernt an ihrem Küchentisch, genauso wie ich um den Schlaf | |
gebracht. Sie spricht auch Russisch. Wie übrigens weitere geschätzte 5 | |
Millionen Bundesbürger. Laufen sie nun auch alle Gefahr von Putin gerettet | |
zu werden? | |
„Mama, ich dachte, Janukowitsch wäre der allerschlimmste, aber jetzt | |
kapiere ich, Putin ist viel schlimmer, weil er nicht nur sein Volk, sondern | |
auch die anderen berauben will!“ Jawohl, mein Kind. Du bringst es auf den | |
Punkt. Herr Putin, hören Sie? Sie haben auch mich hier in Deutschland um | |
den Seelenfrieden gebracht. Sie sind gerade dabei, meine Familie zu | |
annektieren. Das lasse ich nicht zu. Ultimativ fordere ich Sie auf, ... Ach | |
was! Ich bin die Krim. Save My Soul! | |
16 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Irina Serdyuk | |
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