# taz.de -- Referendum auf der Krim: In Russland sterben | |
> Die Krimregierung gibt sich siegesgewiss. Mit Piroggen und Wodka werden | |
> die Leute zur Stimmabgabe gelockt. In der Ostukraine bleibt die Lage | |
> angespannt. | |
Bild: Die Wahlbeteiligung war hoch. Doch wo mehrheitlich Krimtataren leben, fan… | |
SIMFEROPOL taz | In Simferopol regnet es am Sonntagmorgen. Kosaken, die | |
dicht aneinander gedrängt den Ministerrat der Autonomen Republik Krim | |
bewachen, scherzen: „Die Ukraine weint.“ Durch die Straßen rollen | |
Militär-Lkw ohne Nummern. Doch die russischen Kämpfer ohne Hoheitszeichen | |
patrouillieren nicht vor den Wahllokalen. Dort stehen jeweils knapp zehn | |
Männer von der „Selbstverteidigung“ des Ministerpräsidenten Sergej | |
Aksionows. Nur vor wenigen Wahllokalen steht ein einziger Milizionär zur | |
Bewachung. | |
Aksionow selbst gibt sich am Morgen siegesgewiss. „Das ist ein historischer | |
Moment“, sagt der Krim-Regierungschef bei der Stimmabgabe. „Heute Abend | |
werden wir feiern, das ist eine neue Ära“, ruft er. Die Wahlbeteiligung ist | |
im Durchschnitt sehr hoch. Schon um 15 Uhr soll sie bei 64 Prozent gelegen | |
haben. | |
Doch in den Gebieten, in denen mehrheitlich Krimtataren leben, finde das | |
Referendum nicht statt. Im Gebiet Bachtschissaraj etwa wurden noch nicht | |
einmal Wahllokale eingerichtet. | |
„Statt des Referendums planen wir einen Flashmob mit traditionellen | |
krimtatarischen Speisen“, erzählt die 29-jährige Krimtatarin Lilija | |
Abbibullajewa. „Am Abend versammeln wir uns mit der gesamten Familie und | |
Freunden. Alle die gegen das Protektorat Russlands sind, sind herzlich | |
eingeladen. Vielleicht ist das der letzte friedliche Tag.“ | |
## „Russland ist unsere Zukunft“ | |
Der krimtatarische Journalist Rustem Chalilow sieht keinen Sinn darin, zu | |
wählen. Er prophezeit: „Es werden 83 bis 87 Prozent für einen Beitritt zu | |
Russland stimmen.“ Diese Zahlen seien sehr bequem für eine Annexion. „Ist | |
die Zahl geringer, könnte das zur Vermutung führen, dass jeder dritte bis | |
vierte Einwohner nicht zu Russland möchte. Veröffentlichte man aber eine | |
höhere Zustimmung, würde die Wahl an Glaubwürdigkeit verlieren, sie gliche | |
dann einer Farce.“ | |
Zur Wahl gehen traditionellerweise hauptsächlich Rentner. „Meine Schwester | |
ist in der Sowjetunion geboren, sie ist jetzt 75 Jahre alt. Ihr ganzes | |
Leben hat sie davon geträumt, in Russland zu sterben. Jetzt geht ihr Traum | |
in Erfüllung“, erzählt eine Frau bei der Stimmabgabe. „Russland ist unsere | |
Zukunft. Wir sind dort geboren. Russland ist unser Freund. Dort wird es uns | |
gut gehen.“ Fast alle die zum Wahllokal kommen, äußern sich so oder | |
ähnlich. | |
„Die dummen Schafe werden aus diesem Traum noch erwachen! Dafür zahlen | |
müssen wir dann alle“, sagt hingegen Arkadij. Der 59-jährige ist einer der | |
wenigen, die anders denken. „Es ist der Wille einiger weniger. Manche | |
nennen es die Rückkehr zum Stalinismus, andere die Rettung vor dem Land, in | |
dem sie 23 Jahre gewohnt haben.“ Er winkt ab. „Ich persönlich habe den | |
Eindruck, dass wir in einer Sackgasse stecken.“ | |
„Von dir persönlich hängt nichts mehr ab. Das sagen selbst Anhänger der | |
Annexion“, erzählt der 33-jährige Alexander. „Ich glaube das auch. Desweg… | |
will ich nicht mehr in einem Land leben, in dem die Stimme des Einzelnen | |
nicht zählt.“ Alexander, hier geboren und aufgewachsen, verlässt noch heute | |
die Krim Richtung Kiew. | |
## Angespannte Lage in der Ostukraine | |
In den meisten Wahllokalen sind die Tische gedeckt. Es gibt kostenloses | |
oder sehr günstiges Essen: Piroggen und Wodka. Abends plant die Regierung | |
in Simferopol ein Fest mit drittklassigen, längst vergessenen Popsternchen. | |
Während die Krim-Oberen zum Feiern laden, wachsen in der Ostukraine die | |
Spannungen. In Donezk sind am Sonntag prorussische Demonstranten in das | |
Hauptquartier der Sicherheitskräfte sowie das Büro des Staatsanwalts | |
eingedrungen. Dabei seien sie praktisch auf keinen Widerstand gestoßen. | |
Die Demonstranten forderten die Freilassung des selbsternannten | |
„Volksgouverneurs“ der Region, Pawel Gubarew. Dieser war Anfang März | |
festgenommen worden, nachdem er zusammen mit prorussischen Aktivisten den | |
Sitz der Regionalregierung gestürmt und sich selbst zum Gouverneur erklärt | |
hatte. | |
16 Mar 2014 | |
## AUTOREN | |
Tatjana Kurmanova | |
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