| # taz.de -- Schlagloch Russland-Berichterstattung: Im Zweifel für Zwischentöne | |
| > Die Darstellungen der Krim-Krise zeigen, dass glatte Geschichten von Gut | |
| > und Böse fehlgehen. Putins Politik als illegitim darzustellen, ist | |
| > falsch. | |
| Bild: Schuldiger gefunden, historische Referenz ausgemacht: Putin-Schild auf ei… | |
| Als Wladimir Putin ankündigte, er behalte sich eine „humanitäre Mission“ | |
| auf der Krim vor, annektierte er einen Begriff, der nur unserer Welt | |
| zusteht. Da sind die Ohren empfindlich, sie reagieren auf ein gestohlenes | |
| Konzept wie auf einen schrillen Misston. Unser Gehör ist geeicht, es trennt | |
| das Statthafte vom Unstatthaften, da gibt es kein Vertun. | |
| Ich habe mich oft gefragt, wie dieses Gehör zustande kommt, diese | |
| instinktive Selbstverortung, die es den meisten Menschen erlaubt, zu | |
| komplizierten internationalen Krisen im Handumdrehen eine Meinung zu haben. | |
| In diesen Tagen lässt sich lernen, wie ein Echoraum entsteht, aus dem es | |
| zurückschallt, wie hineingerufen wird, in einer Mono-Ton-Qualität, die man | |
| für längst vergangen hielt, in unseren zersplitterten Öffentlichkeiten des | |
| 21. Jahrhunderts. | |
| Der politische Journalismus ist auf den Barrikaden und nagelt große Worte | |
| an eilig herbeigeschleppte Bretter. Freie Welt, nur hier! Kein München II, | |
| no appeasement! Putin-Hitler oder Putin-Goliath, ein Spiegel-Titel wie aus | |
| dem Propagandamuseum. | |
| Es gibt Stimmen abseits des Mono-Tons, Zwischenrufe; sie kommen eher von | |
| der Seite, von Schriftstellern, Wissenschaftlern, Wirtschaftsexperten. Der | |
| politische Journalismus hingegen neigt stets dazu, sich hinwegtragen zu | |
| lassen, dorthin, wo er eigentlich nicht mehr gebraucht wird, weil da schon | |
| alle sind, die auf nichtjournalistische Weise Öffentlichkeit prägen und | |
| Gehöre eichen. | |
| ## Presse als Täter und Opfer | |
| Jeder Krieg, jeder Konflikt braucht eine Erzählung, die Gut und Böse | |
| definiert, die einordnet, vereinfacht und Interessen bedient. Erst dann | |
| setzt sich jene große Maschinerie in Gang, die wie von magischer Hand | |
| gesteuert nur noch eine Richtung zu kennen scheint. Der Journalismus ist | |
| dabei Täter ebenso wie Opfer. | |
| Denn eigentlich ist es heute schwer geworden mit den glatten Erzählungen: | |
| Weil die westliche Politik moralische Maßstäbe und völkerrechtliche | |
| Grundsätze mit einer geradezu opulenten Widersprüchlichkeit handhabt. | |
| Kosovo, Kroatien, Libyen, Ägypten, Südsudan, Mali, Syrien, Zentralafrika: | |
| Ob neue Staaten erlaubt sind, ob ein Referendum Gültigkeit hat, ob ein | |
| Putsch legitim ist, eine Intervention gerechtfertigt, eine Bombardierung | |
| geboten, all dies ist schlicht eine Frage von Interessen. Und jeder Blogger | |
| in der sogenannten Dritten Welt schreibt das ohne Pirouetten. | |
| Es könnte also vielleicht auch bei uns eine gute Zeit sein für unabhängigen | |
| Journalismus. Die Rasanz der Ereignisse (oder die Geschwindigkeit, mit der | |
| wir sie zur Kenntnis nehmen), die Abfolge von Aufständen, | |
| Präsidentenstürzen, ethnisch oder religiös entgleisten Konflikten wäre dann | |
| eine Einladung zu etwas mehr Bescheidenheit. | |
| ## Aktivismus des Mainstreams | |
| Schließlich haben auch andere ihre Erzählungen. Was hier als humanitäre | |
| Mission gefeiert wird, kommt in anders geeichten Gehören als schriller | |
| Misston an, zum Beispiel als Gier nach Afrikas Rohstoffen unter einem zu | |
| kurz geratenen Mäntelchen von Moral. Und nicht einmal der War on Terror | |
| gehört uns mehr allein. Geradezu epidemisch erklären jetzt Regierungen | |
| muslimischer Länder ihre jeweiligen Gegner zu Terroristen. | |
| Wir leben, was die Erzählungen betrifft, immer mehr in einer | |
| polyzentrischen Welt. Das könnte heilsam sein, weil es die einst globale | |
| Macht des westlichen Narrativs beschränkt. Es kann auch furchtbar sein: die | |
| ultimative Propaganda-Kakofonie. Auch davon spürt man etwas in diesen | |
| Tagen, mit allseitigen Angriffen auf Journalisten in der Ukraine, die wie | |
| Waffen behandelt werden – es gilt sie zu nutzen oder zu neutralisieren. | |
| Ich plädiere nicht für einen Werterelativismus. Sondern für das Zulassen | |
| von Zweifeln, für eine Kultur des Zweifels. Für das Abweichen vom Mono-Ton, | |
| für den zumindest versuchsweisen Widerspruch gegen die bei uns hegemonialen | |
| Erzählungen. Vor kurzer Zeit wurde auf verschiedenen Foren in den USA und | |
| in Europa über den Unterschied zwischen aktivistischem und professionellem | |
| Journalismus debattiert. Letzterer reklamiert für sich gern die | |
| Neutralität, während der Aktivist bestimmten Interessen und Zielen | |
| verpflichtet sei. | |
| Im Fall Ukraine erlebt man gerade den Aktivismus des Mainstreams. Wer sich | |
| einem Kollektiv zugehörig fühlt, schreibt zweifelsarm. Nicht zweifelsfrei, | |
| aber doch zweifelsarm. In dieser Hinsicht ist der Mainstream und seine | |
| herbeifabulierte Freie Welt nur das denkbar größte Kollektiv. Es gibt in | |
| diesem Kollektiv stillschweigende Vereinbarungen; sie sind den meisten | |
| nicht bewusst und gerade deswegen so wirkmächtig. | |
| Es handelt sich um das unausgesprochen Gemeinsame, um das gefühlte Wo-Sein | |
| in der Welt. In diesen Tagen werden alte Vereinbarungen wieder abgerufen: | |
| die antisowjetische, die antirussische Verortung des westlichen | |
| Lebensgefühls. Vielleicht täusche ich mich; das wäre mir lieber. | |
| ## Das Problem bei der „Mission“ | |
| Solche Vereinbarungen kondensieren ganze Epochen und komplexe Erfahrungen | |
| auf einzelne Worte und Bilder, die in massenhafter Komplizität als gültig | |
| und passend betrachtet werden. Es mag seltsam klingen, aber ich habe bei | |
| Putins Wort von der humanitären Mission aufgemerkt, weil ich gerade an | |
| einem Buch über ein afrikanisches Thema sitze. Für ein hiesiges Publikum | |
| über Afrika schreiben, das macht notgedrungen sensibel für jedwede | |
| Voraussetzung von Schreiben: Welche Worte teile ich überhaupt mit meinen | |
| Lesern? Welchen stillschweigenden Vereinbarungen trete ich bei und welchen | |
| auf keinen Fall? Werde ich noch verstanden, wenn niemand schwarz ist? | |
| Der Begriff „Mission“ ist aufgeladen mit kolonialer Geschichte. Und gerade | |
| deswegen so beliebt. Wegen des Unausgesprochenen, das da mitschwingt – und | |
| für das doch niemand haftbar zu machen ist. Es handelt sich schließlich um | |
| eine humanitäre Mission. | |
| Putin hingegen ist haftbar zu machen. Denn für ihn gilt die | |
| unausgesprochene Vereinbarung nicht. Wir wollen ihn nackt und hässlich | |
| haben. Denn er ist die andere Seite. | |
| 12 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Charlotte Wiedemann | |
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