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# taz.de -- Mögliche Folgen des Krim-Referendums: Seeweg nach Russland
> Die Halbinsel ist stark mit dem ukrainischen Hinterland verbunden. Nach
> Russland gibt es nur Fähren. Eine Isolation der Krim durch Kiew wäre
> fatal.
Bild: Das gibt es zurzeit nur bei den Paralympics in Sotschi: Die US-Flagge neb…
BERLIN taz | Wladimir Konstantinow ist ein zuversichtlicher Mann. „Mehr als
80 Prozent der Einwohner der Krim sind für den Beitritt zu Russland“,
behauptet der moskautreue Vorsitzende des Krim-Parlaments am Montag in
Simferopol. Zudem geht er von einer hohen Wahlbeteiligung am Referendum um
den Anschluss der Krim an Russland am Sonntag aus. Das habe eine Umfrage
ergeben, verkündete Konstantinow russischen Agenturen zufolge.
Nach einem Beitritt zu Russland sollen auf der Halbinsel ein halbes Jahr
lang die ukrainische Griwna und der russische Rubel zunächst
gleichberechtigt gelten. „Aber die Gehälter werden in Rubel angegeben sein
und die Preise ebenfalls“, sagte der Parlamentspräsident am Montag.
Überhaupt sprüht der 57-jährige Konstantinow geradezu vor Tatendrang. Ein
„Fünfjahresplan“ soll das wirtschaftliche und soziale Wachstum der Krim
künftig sichern. „Wenn wir entschlossen diesem Plan folgen, werden wir in
fünf Jahren eine ganz andere Krim haben“, erklärt Konstantinow bereits am
5. März. Die Mittel dafür sollen aus Russland kommen. Moskau habe bereits
bis zu sechs Milliarden Dollar für die Krim in Aussicht gestellt, teilt der
stellvertretende Ministerpräsident Rustam Temirgalijew mit. Das Geld wird
die Krim auch dringend brauchen.
Denn ein Referendum, das den Anschluss an Russland absegnet, dürfte
erhebliche Probleme nach sich ziehen. Bisher ist die Halbinsel vielfältig
mit dem ukrainischen Hinterland verbunden. Dass am Wochenende das
Finanzministerium in Kiew die Überweisungen eingestellt hat, wird bei dem
Engagement Moskaus nicht sonderlich ins Gewicht fallen.
Wenn Kiew nach dem Referendum jedoch ernsthaft beginnen sollte, die Krim zu
isolieren, sitzt die Halbinsel sehr bald auf dem Trockenen – und das im
wahrsten Sinn. Die Krim ist ein regenarmes Gebiet. Zwar gibt es über 250
Bäche und Flussläufe, die meisten versiegen jedoch im Laufe des Sommers und
fallen als Wasserversorger aus. Oberhalb von Simferopol wird der Salgir
angestaut, der bedeutendste Fluss auf der Krim. Doch im Sommer leert sich
das Reservoir bedenklich.
## Hälfte des Wassers verloren
Der größte Teil des Wassers kommt seit 1971 über den „Nord-Krim-Kanal“. …
Kanalsystem nimmt Wasser vom Dnjepr bei Kachowka auf, fädelt sich durch die
Landenge von Perekop und verzweigt sich über die gesamte Krim. Das Wasser
gelangt teils durch Gefälle, teils durch Pumpen bis nach Kertsch und
versorgt die Landwirtschaft und viele Orte. Allein der Hauptkanal ist über
400 Kilometer lang. Die Hälfte des Wassers verdunstet oder versickert in
den maroden Betonläufen – dennoch ist der Kanal die Hauptschlagader.
Die Krim ist auch anderen Bereichen alles andere als autark. Die Stadt
Energodar mit Europas größtem AKW und einem weiteren Wärmekraftwerk
versorgt große Teile des Südens der Ukraine. Zwar besitzt die Halbinsel
eine Reihe von Solar- und Windkraftanlagen und einige kleinere
Heizkraftwerke, aber dennoch kommen 90 Prozent des Stroms aus dem
ukrainischen Hinterland. Bei der Gasversorgung ist die Krim weniger
abhängig. Das Staatsunternehmen Cernomorneftegaz fördert Gas und Öl vor der
Westküste und im Asowschen Meer. Damit kann es zumindest einen Teil des
Gasbedarfs abdecken.
Landverbindungen bestehen über drei Straßen und zwei Eisenbahntrassen zum
Hinterland. Der überwiegende Teil des Personen- und Güterverkehrs wird
darüber abgewickelt. Sollte die Ukraine diese Verbindungen kappen, wären
die knapp 2 Millionen Einwohner der Krim faktisch auf einer Insel. Nach
Russland besteht nur eine Fährverbindung. Sechsmal täglich setzen bisher
Fähren über die Meerenge von Kertsch, mit denen in den vergangenen Jahren
etwa 600.000 Personen, 50.000 Fahrzeuge und 10.000 Tonnen Güter
transportiert werden. Als Hauptversorgerin wäre die wenig leistungsfähige
Linie überlastet. Sie müsste zügig ausgebaut werden.
## Brücke geplant
Doch das wird trotz allem nicht reichen. Seit den neunziger Jahren ist
daher auch eine Brücke im Gespräch. Wladimir Putin träumte schon davon, die
Brücke zu den Olympischen Spielen in Sotschi einzuweihen. Aber trotz
Willensbekundungen aus Moskau und Kiew hatte sich bis vor Kurzem kaum etwas
getan. Auch weil man sich über den genauen Grenzverlauf nie einigen konnte.
Doch am 3. März ordnete Russlands Ministerpräsident Dmitri Medwedjew an,
das Projekt voranzutreiben. Im November 2014 sollen die Pläne für das
Bauwerk vorliegen. Die Brücke könnte in frühestens vier bis fünf Jahren
fertig sein. Die Kosten für die mindestens 4,5 Kilometer lange Verbindung
für Autos und Eisenbahn dürften immens sein. Von 24 Milliarden Rubel ist
die Rede, knapp 500 Millionen Euro, Tendenz steigend.
Solche Aussichten dürften Wladimir Konstantinow erfreuen – und das nicht
nur als Parlamentspräsident. Denn Konstantinow ist vielfältig mit Ukrrosbud
verbandelt, dem größten Bauunternehmen der Krim. Bis zu seinem Amtsantritt
als Parlamentspräsident 2010 war er der Chef des Unternehmens. Seitdem gilt
er als einer der reichsten Männer der Krim. Verschiedene Quellen schätzen
den Wert seines Vermögens auf über 100 Millionen Dollar.
## Existenzgrundlage vieler Familien
Versorgungsschwierigkeiten würden die Wirtschaft der Krim ganz erheblich
beeinträchtigen. Haupterwerbszeige sind Land- und Nahrungsgüterwirtschaft,
im geringem Maße der industrielle Sektor wie etwa Rohstoffe,
Schiffsreparatur und optische Industrie, die Seehäfen von Jewpatorija,
Feodossija und Kertsch, vor allem ist es aber der Tourismus. Er bildet die
Existenzgrundlage sehr vieler Familien, die privat kleine Pensionen und
Restaurants betreiben.
Unterdessen weitet das russische Militär seine Kontrolle über die Halbinsel
immer stärker aus. In Sewastopol entwaffneten nach Angaben des ukrainischen
Militärs rund 200 russische Soldaten die ukrainischen Truppen. Russische
Soldaten hätten geschossen, verletzt worden sei niemand. Gleichzeitig
mehren sich Berichte über Einschüchterungsversuche gegen Krimtataren. In
der Stadt Bachtschissaraj, zwischen Simferopol und Sewastopol gelegen,
sollen krimtatarische Häuser mit roten Kreuzen markiert worden sein.
(mit dpa/rtr/afp/ap)
10 Mar 2014
## AUTOREN
Thomas Gerlach
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