| # taz.de -- Jürgen Trittin über den Krim-Konflikt: „Kurzfristig helfen Sank… | |
| > Sanktionen gegen Russland? Nein, sagt Grünen-Politiker Jürgen Trittin. | |
| > Sie träfen die Falschen, nämlich die aufstrebende Mittelschicht. | |
| Bild: „Sanktionen hätten für alle Seiten schwere Folgen“: Grünen-Politik… | |
| taz: Herr Trittin, die EU-Regierungschefs schrecken vor harten | |
| Wirtschaftssanktionen gegen Russland zurück. Warum? | |
| Jürgen Trittin: Dieses Ergebnis war vorhersehbar. Die Regierungschefs der | |
| Europäischen Union hoffen darauf, weiter mit Russland verhandeln zu können. | |
| Und sie wissen, dass harte, wirtschaftliche Sanktionen für alle Seiten – | |
| für Europa, Russland aber auch die USA – schwere Folgen hätten. Die | |
| ökonomischen Verflechtungen und gegenseitigen Abhängigkeiten sind enorm. | |
| Wie sehen diese aus? | |
| Nehmen Sie nur die deutsche Wirtschaft: Unsere Unternehmen exportieren in | |
| großem Stil Fahrzeuge, Maschinen und Chemieprodukte nach Russland, sie | |
| investieren viel Geld in russische Firmen. Russland ist der drittwichtigste | |
| Handelspartner der EU. Umgekehrt bezieht Deutschland ein Drittel seines | |
| Bedarfs an Erdgas und Erdöl aus Russland. | |
| Aber sind ökonomische Drohungen nicht der einzige Hebel, um Putin | |
| einzuhegen? Ein Krieg gegen die weltgrößte Atommacht wäre Irrsinn. | |
| Irrsinn, in der Tat. Europa behält sich Sanktionen vor, weil sie ein | |
| Druckmittel sein können. Aber in diesem Fall gilt: Die EU kann zwar mit | |
| Sanktionen drohen, aber alle beten, dass man sie nie verhängen muss. Das | |
| weiß natürlich auch Putin. Im Moment geht es akut darum zu verhindern, dass | |
| aus einem völkerrechtswidrigen Akt ein Bürgerkrieg vor der Haustür Europas | |
| wird. Bei diesem kurzfristigen Ziel helfen Wirtschaftssanktionen nicht. | |
| Weil Sie erst mit Verspätung greifen würden? | |
| Richtig. Alle Sanktionsszenarien – ob im Iran oder anderswo – zeigen: | |
| Wirtschaftssanktionen sind ein mittel- bis langfristig wirkendes | |
| Instrument. Sie greifen sehr langsam. Und wenn man sie einstellt, dauert es | |
| sehr lange, bis die Folgen verschwinden. | |
| Waren die lauten Drohungen aus den USA gegenüber Russland hilfreich? | |
| Theodore Roosevelt hat zu seiner Außenpolitik mal gesagt: „Sprich leise und | |
| höflich, aber trage stets einen dicken Knüppel bei dir – dann wirst du weit | |
| kommen.“ Ein wahrer Satz. Erst recht wahr ist: Wenn man nur einen kleinen | |
| Knüppel zur Hand hat, sollte man nicht laut herumschreien. | |
| Wie ist Russlands Wirtschaft aufgebaut? | |
| Die russische Wirtschaft ist sehr wenig diversifiziert. 40 Prozent des | |
| russischen Bruttoinlandsproduktes kommen aus dem fossilen Energiesektor. Er | |
| befindet sich komplett in der Hand von Oligarchen, die eng mit der | |
| Staatsführung verbandelt sind. Zugespitzt: Russland ist eine | |
| Gazprom-Ökonomie. | |
| Das heißt: Wirklich wirksam wären Sanktionen nur in diesem Bereich? | |
| Ja. Russland beliefert die ganze EU mit Energie. Nicht nur Deutschland | |
| bezieht relevante Teile seines Energieverbrauchs aus Russland, sondern auch | |
| Frankreich, Italien und viele andere Länder. | |
| Ist denkbar, dass Deutschland russische Energieimporte beschneidet, um | |
| Druck auszuüben? | |
| Da müssen wir die Energiewende sehr beschleunigen, und auch dann ist das | |
| sehr langfristig. Faktisch halte ich es für ausgeschlossen. Wir haben etwa | |
| keine Flüssiggasterminals. Selbst wenn Deutschland sich kurzfristig | |
| anderswo riesige Mengen an Erdgas und Öl besorgen könnte: Die | |
| Energielieferungen mit Russland sind langfristig angelegt, es gibt | |
| Verträge. Es wäre für deutsche Firmen juristisch meist gar nicht möglich, | |
| Zahlungen an Gazprom zu stoppen. Sie müssten entschädigt werden. | |
| Was ist mit Sanktionen in anderen Branchen? Auch in Russland existieren | |
| neben der Energie andere Wirtschaftszweige. | |
| Die russische Führung hat die eigene Wirtschaft in den vergangenen Jahren | |
| nicht ausreichend diversifiziert, weil das einen Machtverlust für die | |
| oligarchisch organisierte Elite bedeutet hätte. Mit | |
| Technologieexportverboten in anderen Wirtschaftszweigen würde man genau die | |
| treffen, die man als Bündnispartner für eine Demokratisierung Russlands | |
| dringend braucht. Eine aufstrebende Mittelschicht, mittelständische | |
| Unternehmer. Sie haben andere Interessen, als die Putin nahestehenden | |
| Oligarchen. | |
| Eine oft zu hörende Überlegung ist, Auslandskonten von Oligarchen in der EU | |
| zu sperren. Würde das Russland ernsthaft schmerzen? | |
| Wir leben in einem Rechtsstaat, Kontensperrungen müssten vor Gericht | |
| Bestand haben. Dort wäre zum Beispiel nötig, nachzuweisen, dass ein | |
| bestimmtes Individuum für die Vorgänge in der Ukraine Verantwortung trägt. | |
| Das ist schwierig. Hinzu kommt: Man kann nicht Familienmitglieder von | |
| Oligarchen automatisch in Sippenhaft nehmen. Kontosperrungen lassen sich | |
| leicht fordern, sie sind aber in der Realität schwer durchzusetzen. | |
| Einen Krieg will niemand, Sanktionen sind wirkungslos. Ist Europa also in | |
| Wirklichkeit machtlos? | |
| Die These von der Machtlosigkeit Europas teile ich nicht. Wir müssen uns | |
| von der Idee verabschieden, dass nur der Macht hat, der militärisch | |
| zuschlagen kann. Das, was Politologen „Soft Power“ nennen, ist nicht zu | |
| unterschätzen. Es ist Power, die langfristig wirkt. Ich bin sicher: | |
| Russland spürt die Folgen seiner Politik bereits jetzt schon selbst. | |
| Investoren überlegen sich aktuell sehr genau, ob sie in einem solchen Land | |
| noch Geschäfte tätigen wollen. | |
| Was muss die EU dann tun? | |
| Die Regierungschefs der EU-Staaten müssen Putin immer wieder beharrlich | |
| vortragen, was eine Eskalation langfristig für sein Land bedeutet. Ein | |
| Rückfall in den Kalten Krieg wäre für Russland noch fataler als für Europa. | |
| Auf Dauer ist Russland mindestens genauso auf gute Beziehungen zu uns | |
| angewiesen wie umgekehrt. | |
| Und was passiert mit der Krim? | |
| Wir kriegen zunächst einen Zustand, den man als "frozen conflict" | |
| bezeichnen kann. Das heißt, dass die Frage des Status der Krim weiter | |
| unklar bleibt. Leider ist dies aber noch die optimistische Annahme. | |
| 7 Mar 2014 | |
| ## AUTOREN | |
| Ulrich Schulte | |
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