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# taz.de -- Bildanalyse und Bildkritik: Was wir sehen können
> Abstraktion und „magische Momente“: Helmut Lethen entwirft in seinem Buch
> „Der Schatten des Fotografen“ eine „Schule des Sehens“.
Bild: Sprachlose Beweisstücke: Bilder der zweiten Wehrmachtsausstellung.
Gibt es eine Wirklichkeit hinter den Bildern? Und wenn ja, gibt es einen
direkten Zugang zu ihr? Ganz neu ist die Frage nicht. Die Sehnsucht nach
dem „unvermittelten Blick“ auf die Welt, jenseits der Medien, ist so alt
wie die menschliche Kultur.
Doch wie der Literaturwissenschaftler Helmut Lethen sie stellt, das macht
sein Buch so lesenswert. „Der Schatten des Fotografen“ ist keine
systematische Untersuchung. Eher kommt der Band als intellektuelle
Autobiografie daher.
Lethen ist durch Bücher über „Gottfried Benn und seine Zeit“, vor allem
aber durch seine „Verhaltenslehren der Kälte“ über Intellektuelle in der
Zwischenkriegszeit bekannt geworden. Lethen, der das Internationale
Forschungszentrum Kulturwissenschaften in Wien leitet, resümiert prägende
Einflüsse seines Wissenschaftlerlebens: Theorien, Philosophen, Filme. Und
prüft, was sie für die Beantwortung seiner Leitfrage hergeben.
„Der Schatten des Fotografen“ liest sich wie ein aufschlussreicher Spiegel
geistiger Konjunkturen. Denn Lethen, einst Maoist, bekennt sich zu dem
„Hunger nach Empirie“, der in den 80er Jahren en vogue war. Roland Barthes�…
„punctum“, das Element, das den Betrachter „wie ein Pfeil“ trifft, oder
Siegfried Kracauers von Marxisten unter Idealismusverdacht gestellte
„Theorie des Films“ interessierten den Materialisten zu Beginn der 80er
Jahre plötzlich mehr als Walter Benjamins „Kunstwerk im Zeitalter seiner
technischen Reproduzierbarkeit“.
## Bilder geben nicht einfach die Wirklichkeit wieder
Doch bei der Suche nach den „Einbruchsstellen des Realen“ und Auswegen aus
der „Nährlösung“ der Medien, in der wir alle schwimmen, trifft er
schließlich doch wieder auf die „Hinterwelt von Zusammenhängen“. Ob es
Robert Capas von einem Debakel in der Dunkelkammer malträtiertes Bild der
Landung der Alliierten in der Normandie 1944 ist oder Dorothea Langes
Aufnahme einer kalifornischen Wanderarbeiterin von 1936: Bilder, so Lethens
implizites Fazit, geben nicht einfach die Wirklichkeit wieder. Sie sind
Produkte einer Apparatelogik, physikalischer Prozesse und der Intention des
Produzenten.
Die Abgebildeten abstrahieren sich zwar oft zu unsterblichen Ikonen – deren
scheinbar „magischer Moment“ sich aber bei näherer Betrachtung als
kalkulierte Inszenierung entpuppt. Unorthodox ist auch Lethens Vorgehen.
Kindheitsbilder, Alltagsepiphanien, visuelle Ikonen der Massenkultur bilden
den Ausgangspunkt seiner piktorialen Tour d’Horizon, den er konsequent zum
Objektiven verdichtet.
Die Glasabdeckung einer Grammofonanlage etwa führt ihn zu den Glaskästen
der zweiten Wehrmachtsausstellung von 2001, aus deren Umgang mit den
Bildern von den Verbrechen der Wehrmacht er die Erkenntnis destilliert,
dass diese Bilder nie für sich sprechen, sondern nur im Kontext von Wissen
als historische Beweismittel taugen. Lethens Buch ist ein paradoxer
Triumph. Denn hier entwirft ein Literaturwissenschaftler wie nebenbei jene
„Schule des Sehens“, die man seit Jahr und Tag von den Bildwissenschaftlern
erwartet.
Das „Unbehagen an der Repräsentation“ führt Lethen nicht in das ersehnte
Reich der reinen Anschauung, sondern zu einer präzisen, aber immer
lustvollen Bildanalyse und Bildkritik. Und auch wenn die politische
Ökonomie der Bilder in seinem Buch kaum eine Rolle spielt, diese
intellektuelle Vita eines geläuterten Linken markiert am Ende dann doch
wieder eine Art Sieg der materialistischen Methode – an dem man bemängeln
kann, dass die Bilder der digitalen Ära keine Rolle spielen.
Mit dem „Schatten des Fotografen“ gibt Lethen ein glänzendes Beispiel
souveränen Denkens jenseits selbst auferlegter Grenzen und Fixierungen:
scharfsinnig, entspannt, selbstreflexiv. Seine luzide Beweisführung
entschädigt für das absehbare Ergebnis: Vielleicht gibt es eine objektive
Wirklichkeit. Zugang zu ihr haben wir aber nur über Medien, Bilder. Und die
haben ihre eigene Wirklichkeit.
13 Mar 2014
## AUTOREN
Ingo Arend
## TAGS
Helmut Lethen
Bilder
Kunst
Kaukasus
Sanktionen
Venezuela
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