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# taz.de -- Denkmal für Laye Condé: Woran man sich erinnern will
> Eine Initiative will ein Denkmal für Laye Condé, der durch
> Brechmittelvergabe der Polizei starb. Einige Kritiker wollen eines
> Dealers nicht gedenken.
Bild: Erinnern an ein Opfer der Polizei: Laye Condé starb in Gewahrsam
BREMEN taz | Keine zwei Tage hatte es gedauert, da war die Installation
schon eingerissen. Eine Holzlatte zerbrochen, die Schilder umgekippt. „Hier
fehlt ein Denkmal“ hatte darauf gestanden. Mit Absperrband hatte die
„Initiative in Gedenken an den Tod von Laye Condés“ zwischen zwei Bäumen …
den Bremer Wallanlagen einen kleinen Bereich abgetrennt.
Direkt gegenüber der Bremer Kunsthalle, auf halbem Weg vom alternativen
Ostertor-Viertel in die Innenstadt, zu den Gerichts- und
Regierungsgebäuden. Jedes Jahr erinnern die Aktivisten daran, dass am 7.
Januar 2005 der Sierra Leoner Laye Condé durch Staatsgewalt in Bremen zu
Tode kam: durch Zwangsvergabe von Brechmittel, verabreicht hat sie ihm ein
Arzt im Polizeigewahrsam.
Wie Condé hatten schon viele Menschen zuvor unter dieser Prozedur gelitten,
weil sie verdächtigt wurden, als Dealer die Drogen verschluckt zu haben, um
Beweise zu vernichten. Es traf Menschen mit schwarzer Hautfarbe; dass auch
Weiße das Brechmittel bekamen, ist nicht bekannt.
## Ein Mahnmal wird denkbar
In den letzten Jahren hatten die AktivistInnen immer an der
Sielwall-Kreuzung im Ostertorviertel ein provisorisches Denkmal mit Kerzen
und Blumen aufgestellt. Das hielt sich dort über Wochen. In diesem Jahr war
es anders. Vermutlich, weil ein permanentes Denkmal in der Stadt greifbarer
geworden ist – das scheinen nicht alle in der Stadt zu akzeptieren.
Ein künstlerischer Entwurf existiert, die sieben bis acht antirassistischen
AktivistInnen der Gedenk-Initiative, die schon 2005 die erste Demo
organisierten, haben Gespräche mit dem Stadtteilbeirat geführt und Kontakt
zum Bremer Landesbeirat für Kunst im öffentlichen Raum aufgenommen.
Je näher nun die Realisierung eines Gedenkortes rückt, desto größer ist in
Bremen die öffentliche Empörung. CDU und SPD-Politiker erklärten, ein
Denkmal für einen Drogendealer sei nicht angebracht. Noch aufgebrachter
sind einige Bürger: Das sei „fehlgeleitetes Gutmenschentum“ hieß es in den
Kommentarspalten zu einem Beitrag Radio Bremens.
Ob als nächstes „Stolpersteine für Pädophile“ kämen, wurde gefragt und
gefordert, dass man lieber an die vielen Menschen denken solle, die durch
Dealer oder „ihn“ ums Leben gekommen seien. „Der Dealer hat seine einzig
angemessene Strafe bekommen“, schrieb ein User. Es sei „Berufsrisiko, wenn
man die Polizeiarbeit nicht überlebt“.
Auch der Hinweis, dass in anderen Ländern Dealer hingerichtet würden, fehlt
nicht. Und immer wieder: der Vergleich zum Kinder-Vergewaltiger. Wie er
taugt nur die Figur des Drogendealer in der öffentlichen Meinung dazu,
Strafbedürfnisse auszuleben und ohne sich schämen zu müssen, die
Todesstrafe zu fordern.
Doch woran gilt es überhaupt zu erinnern? Was gibt es aufzuarbeiten? Selbst
diejenigen, die ein Denkmal ablehnen, halten die Brechmittel-Zwangsvergabe
in Bremen heute für eine schlimme Sache.
Im Nachhinein. 2006 hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte
festgestellt, dass die Brechmittelvergabe zur Beweissicherung als
Menschenrechtsverletzung anzusehen ist und der Staat damit gegen das
Folterverbot verstößt.
Anhand der aktuellen Debatte um das Denkmal zeigt sich allerdings, dass die
Dimensionen dieses Urteils noch nicht begriffen wurden: In Bremen wurde
über Jahre gefoltert – in geschätzten über 1.000 Fällen. Es sei
„Beweissicherung-Alltag“ gewesen, so hat Bremens ehemaliger Bürgermeister
Henning Scherf (SPD) vor Gericht die Folterpraxis beschrieben und dies
entschuldigend gemeint. Condés Tod sei „eine Überraschung“ gewesen.
Eine dreiste Aussage. Die Debatte um die Vergabe von Brechmitteln hätte in
Bremen nicht öffentlicher geführt werden können und begann mindestens zehn
Jahre vor Condés Tod.
Nachdem 2001 der Nigerianer Achidi John in Hamburg an einer
Brechmittel-Zwangsvergabe gestorben war, debattierte die Bremer
Bürgerschaft über das Thema. Der Grüne Fraktionsvorsitzende Matthias
Güldner warnte damals davor, dass es auch in Bremen irgendwann zu einem
Todesfall kommen könnte.
## „Keine Schwierigkeiten“
Wenn Bremens Ex-Bürgermeister Henning Scherf (SPD) im letzten Prozess gegen
den Polizeiarzt Igor V. 2013 im Zeugenstand aussagte, es habe bis zu Condés
Tod „überhaupt keine Schwierigkeiten“ gegeben und er habe in seiner Zeit
als Justizsenator von 1992 bis 2005 nichts von Problemen mitbekommen, dann
kann er von Glück reden, dass sich in den Holzdecken des alten
Gerichtsgebäudes nicht die Balken bogen.
In offenen Briefen, Zeitungsartikeln, Broschüren, Bürgerschaftsdebatten –
jahrelang wurde die Methode kritisiert, öffentlich diskutiert und von ihm
und anderen Entscheidungsträgern als notwendig im Kampf gegen die
Drogenkriminalität verteidigt.
Wie damals wird nun auch heute mit der vermeintlichen Abscheulichkeit des
Drogendealers ein Gedenken abgelehnt. Der Hass, der Condé als Drogendealer
vermeintlich im Sinne seiner drogenabhängigen „Opfer“ entgegenschlägt,
entspricht einem veränderten Diskurs um Drogen in den letzten Jahren.
Wurden zuvor die DrogenkonsumentInnen als Junkies kriminalisiert, gelten
sie heute als unmündige Kranke.
Umso mehr sind nun die Drogenverkäufer in den Blick geraten. In der Regel
werden die – tatsächlich oft schlimmen – Auswirkungen des illegalisierten
Konsums der Wirkung der Droge selbst zugeschrieben, obwohl sie erst in
Folge der Prohibition durch schlechte Stoffqualität und hohe
Schwarzmarktpreise entstehen.
Die Verlockungen des Rausches, den die Drogen vermeintlich versprechen und
die dem bürgerlichen Subjekt nicht erlaubt sind, werden in dieser neuen
Sichtweise abgewehrt und stattdessen auf ein äußeres Hassobjekt projiziert:
den Dealer. Wenig haben die in den Kommentaren beschworenen Bilder mit der
Realität zu tun – mit den Männern, die bis heute wie Condé an der
Sielwall-Kreuzung meist kein Heroin, sondern Gras und Kokain verkaufen.
Und zwar an vorwiegend etablierte weiße Kunden, StudentInnen oder
Medienschaffende, die sich den Kick für die Party abholen und am
Montagmorgen wieder in ihrer Agentur sitzen und nicht dem üblichen Bild des
Junkies entsprechen.
Laye Condé war in der Nacht, in der er festgenommen wurde und die tödlichen
Brechmittel eingeflößt bekam, das erste Mal polizeilich mit Drogen
auffällig. Freunde sagen sogar, er habe an dem Tag das erste Mal überhaupt
dort gestanden.
Hört man den Berichten der Leute zu, die wie Condé die Brechmittel bekamen
und die teilweise auch erzählen, dass sie tatsächlich Drogen verkauft
haben, dann ist dies bis heute mit sehr viel Scham verbunden. Niemand von
ihnen tat das aus Überzeugung.
Es sind Flüchtlinge, meist mit Arbeitsverbot, die sich durch den Verkauf
zum Beispiel ein paar schickere Klamotten leisten wollen. Um zu verstehen,
mit welcher Härte diesen Kleindealern begegnet wurde und was ihnen im Namen
des Kampfes gegen die Drogen angetan wurde, ist es wichtig, die
Brechmittel-Prozedur näher nachzuvollziehen.
Laya Condé waren die Hände mit Handschellen auf den Rücken und die Füße mit
Kabelbindern gefesselt worden. Auf einen Untersuchungsstuhl gesetzt, wurde
ihm ein 70 Zentimeter langer Schlauch durch die Nase in den Magen
geschoben, dann Brechmittel und Wasser in ihn hineingepumpt.
Auch nachdem Condé ein Kügelchen erbrach, fuhr der Polizeiarzt Igor V.
damit fort. Nach 40 Minuten dieser Qual sank Condé in sich zusammen, weißer
Schaum trat ihm aus Mund und Nase. Der Polizeiarzt machte in Anwesenheit
eines Notarztes weiter und pumpte wieder Wasser in Condé.
Weil der schwach und lethargisch wurde und der Brechreiz nachließ, kratzte
Polizeiarzt V. mit einem Holzspachtel und einer Pinzette in dessen Rachen,
um ihn erneut erbrechen zu lassen. Schließlich fiel Condé nach der fast
zweistündigen Prozedur ins Koma und wachte nicht mehr auf. Für das
insgesamt nicht mal halbe Gramm Kokain, das Condé erbrochen hat, hätte er
wohl höchstens eine Geldstrafe bekommen.
## Minderjährige betroffen
Neben der Beschreibung des Todes von Condé gibt es Berichte von vielen
anderen Menschen darüber, wie ihnen auf dem Untersuchungsstuhl das
Brechmittel verabreicht wurde. Auch noch nicht strafmündige Minderjährige
mussten das erleiden.
Es ging um Abschreckung. Obwohl die Beschreibungen der Brechmittelprozedur
an Kapitel aus dem aktuellen Folterbericht der USA erinnern, bringt die
Bremer Bevölkerung kaum Empörung über die Taten des eigenes Staates auf.
Umso eindeutiger ist die Position, die Bremens Polizeipräsident Lutz Müller
einnimmt. Die Frage, ob Condé Drogen verkauft habe, ist für ihn
„irrelevant“: „Niemand darf unter polizeilicher Obhut ums Leben oder
nachhaltig zu Schaden kommen – Punkt“, so Müller.
Es gebe „genug Gründe zu mahnen und zu erinnern“ und dabei gehe es „um d…
durch Politik gewünschten und legitimierten zwangsweisen Einsatz von
Brechmitteln, mangelnde Kritikfähigkeit und fehlende
Verantwortungsübernahme“.
## Diskussion bei der Polizei
Müller hat ein Bild von Condé hinter seinem Schreibtisch hängen – eine
Zeichnung, die für eine Broschüre der Polizei zur Aufarbeitung des Falles
entstanden ist. Das führe auch zu kontroversen Diskussionen, aber die
Polizei müsse für Werte wie „Weltoffenheit, Toleranz und Menschlichkeit“
stehen und das eigene Handeln und stereotype Verhaltensweise immer wieder
hinterfragen, so Müller.
Wie bemerkenswert diese Position des Polizeipräsidenten ist, wird deutlich,
wenn man sich die Repressionen anschaut, unter denen KritikerInnen der
Brechmittelvergabe noch in den 1990er Jahren zu leiden hatten.
Nachdem AktivistInnen des damaligen „Antirassismusbüro“ die Vorfälle und
Zeugenaussagen in einer Broschüre dokumentierten und die Praxis als
„rassistische Sonderbehandlung“ anprangerten, wurden sie der
Volksverhetzung angeklagt und die Broschüre beschlagnahmt.
Die Gewerkschaft der Polizei organisierte gar eine Demonstration, weil die
Polizei diffamiert worden sei. KritikerInnen der Brechmittelvergabe wurden
als Mitglieder der „Drogenmafia“ bezeichnet.
Wenn nun heute ein Denkmal oder Gedenkortes an eine Folter erinnern soll,
die politisch gewollt und in der Diskussion um Drogen auch von der
Bevölkerung gefordert wurde, dann spricht wenig mehr dafür, es zu
errichten, als die erneute öffentliche Empörung.
19 Jan 2015
## AUTOREN
Jean-Philipp Baeck
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