| # taz.de -- Kommentar Suizid eines mutmaßlichen Dealers: Tödliche Politik | |
| > In einem Hamburger Untersuchungsgefängnis hat sich ein Geflüchteter das | |
| > Leben genommen. Er ist ein weiteres Opfer rassistischer Strukturen und | |
| > Repressionen. | |
| Bild: Ständige Repressionen und rassistische Gesetze haben Diabi J. in den Tod… | |
| Ein berühmtes Zitat von Bertolt Brecht lautet: „Es gibt viele Arten zu | |
| töten.“ Zum Beispiel jemandem das Brot zu entziehen, ihn in eine schlechte | |
| Wohnung zu stecken oder auf andere Art in den Selbstmord zu treiben. „Nur | |
| weniges ist in unserem Staat verboten“, schließt Brecht. Auch jemanden dazu | |
| zu bringen, nachts bei Schneeregen und null Grad an versifften Straßenecken | |
| auf St. Pauli zu stehen und Drogen an Partywütige zu verkaufen, ohne jede | |
| Versicherung, ohne Schutz, ohne Rechte, immer auf der Hut vor der Polizei: | |
| auch das ist so eine Möglichkeit. | |
| Natürlich hat niemand persönlich den in Untersuchungshaft verstorbenen | |
| Diabi J. dazu genötigt, Kleindealer zu werden. Er ist viel mehr ein Opfer | |
| rassistischer Strukturen und Asylgesetze. Aufgrund falscher, weil nicht | |
| deutscher Papiere, hatte er hier nicht das Recht auf eine legale Arbeit. | |
| Die als Kleindealer mag da die einzige Möglichkeit gewesen sein, um nicht | |
| untätig in der Unterkunft sitzen zu müssen; in Sachsen-Anhalt, wo er | |
| gemeldet war. | |
| Trotzdem: Niemand verlässt seine Heimat in der Absicht, anderswo unter | |
| prekären Bedingungen Drogen zu verkaufen. Menschen fliehen vielmehr nach | |
| Europa, weil sie auf ein Leben in Sicherheit hoffen. Ob es die Enttäuschung | |
| dieser Hoffnung war, die Diabi J. in den Tod getrieben hat, die schiere | |
| Verzweiflung oder die Trostlosigkeit in der Untersuchungshaft? Für die | |
| Öffentlichkeit ist das unerheblich – letztlich sind es die Drogenpolitik | |
| und die rassistische Gesetzgebung, die in diesem Fall tödlich waren. | |
| J. wurde inhaftiert, weil die Behörden Geflüchteten wie ihm pauschal | |
| Fluchtgefahr unterstellen: Sie haben ja keine Familie und keine Arbeit | |
| hier. Das ist zynisch. Wo sollen sie denn hin? Dort, von wo sie geflohen | |
| sind, droht ihnen nicht selten der Tod. Und in Europa sind sie nirgendwo | |
| willkommen. Auf St. Pauli stehen Schwarze inzwischen unter | |
| Pauschalverdacht, werden täglich von der Polizei kontrolliert, regelrecht | |
| gejagt. Diese zusehends eskalierende Polizeigewalt hat jetzt also ein | |
| Todesopfer gefordert – nicht das erste. | |
| Der Tod von Diabi J. fügt sich in eine Reihe mit denen von [1][Oury | |
| Jalloh], [2][Laya Condé] und [3][Achidi John]. Obgleich sie alle unter | |
| unterschiedlichen Umständen in Polizeigewahrsam umkamen, hängen ihre Tode | |
| durchweg mit ihrem Status zusammen: Als in die Kleinkriminalität getriebene | |
| Nirgendwo-Gewollte sind sie im Rechtsstaat Entrechtete, wie vogelfrei. | |
| 17 Mar 2016 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Feuertod-von-Oury-Jalloh/!5245269 | |
| [2] /Brechmittel-Opfer-Laye-Conde/!5263404 | |
| [3] /Brechmitteleinsatz-in-Hamburg/!5143440 | |
| ## AUTOREN | |
| Katharina Schipkowski | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Repression | |
| Hamburg | |
| Oury Jalloh | |
| Oury Jalloh | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Hafenstraße | |
| Hafenstraße | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Racial Profiling | |
| Lesestück Meinung und Analyse | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Neues Brandgutachten zu Oury Jalloh: Beharrlichkeit zahlt sich aus | |
| Die Staatsanwaltschaft Dessau will den Brand simulieren lassen, der 2005 | |
| Oury Jalloh in einer Polizeizelle tötete. Zu verdanken ist das Aktivisten. | |
| Kommentar zu rassistischer Rechtsprechung: Sie müssen weg | |
| Für Schwarze, die auf St. Pauli mit Drogen erwischt werden, gilt ein | |
| härteres Strafmaß als für Weiße. Das ist rassistisch und weit weg vom | |
| Rechtsstaat. | |
| Tod im Hamburger Untersuchungsgefängnis: Suizid in U-Haft wirft Fragen auf | |
| Ein mutmaßlicher Kleindealer hat sich in Haft das Leben genommen. Für die | |
| Staatsanwaltschaft ist der Fall erledigt, nicht aber für die | |
| Hinterbliebenen. | |
| Druck auf linkes Biotop: Pfefferspray im Wohnzimmer | |
| In der Hamburger Hafenstraße häufen sich gewaltsame Polizeikontrollen. | |
| Zuletzt stürmten die BeamtInnen eine Privatwohnung und verletzten eine dort | |
| lebende Frau. | |
| Demos für Oury Jalloh: „Unklarheiten noch und nöcher“ | |
| Vor elf Jahren kam Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle ums Leben. In | |
| verschiedenen Städten gibt es dazu am Donnerstag Demonstrationen. | |
| Racial Profiling bei der Polizei: Hautfarbe als Kriterium | |
| Im Gefahrengebiet können Polizisten ohne Verdacht kontrollieren – meist | |
| Schwarze. Auch Anwohner fühlen sich von Beamten belästigt. | |
| Denkmal für Laye Condé: Woran man sich erinnern will | |
| Eine Initiative will ein Denkmal für Laye Condé, der durch | |
| Brechmittelvergabe der Polizei starb. Einige Kritiker wollen eines Dealers | |
| nicht gedenken. | |
| Brechmittelprozess: Kaum Chancen auf ein Urteil | |
| Das Verfahren gegen den Polizei-Arzt, der für den Tod Laye Condés | |
| verantwortlich ist, droht zu platzen: Der Angeklagte ist | |
| verhandlungsunfähig. | |
| Brechmitteleinsatz in Hamburg: Der Tod des Achidi John | |
| Im Dezember 2001 hatte Hamburg den ersten Toten nach einem | |
| Brechmitteleinsatz. Der Todesfall blieb ohne strafrechtliche Konsequenzen. |