Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Brechmitteleinsatz in Hamburg: Der Tod des Achidi John
> Im Dezember 2001 hatte Hamburg den ersten Toten nach einem
> Brechmitteleinsatz. Der Todesfall blieb ohne strafrechtliche
> Konsequenzen.
Bild: Beschlagnahmte Drogen beim Zoll.
HAMBURG taz | Im rot-grünen Hamburger Senat hatte es jahrelang ein
kategorisches Nein gegeben. Trotz des regen Drogenhandels am Hamburger
Hauptbahnhof komme ein Brechmitteleinsatz, um Dealer mit verschluckten
Heroinkügelchen in Silberpapier zu überführen, nicht in Frage - schon wegen
rechtlicher Zweifel und der medizinischen Bedenken der Ärzteschaft. Doch
angesichts der Wahlprognosen, die 2001 dem Rechtspopulisten Ronald Schill
prophezeit wurden, machte der damalige Interims-Innensenator Olaf Scholz
(SPD) im Herbst 2001 einen Salto mortale. Und auch der Leiter der
Rechtsmedizin des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Klaus Püschel,
gab plötzlich seine zuvor hartnäckig geäußerten Bedenken gegen das
Brechmittel "Ipecauanha" auf.
Es dauerte nicht lange, da hatte Hamburg seinen ersten Todesfall zu
beklagen. Der 19-Jährige Nigerianer Achidi John war am Morgen des 8.
Dezember 2001 von Zivilfahndern im Stadtteil St. Georg wegen des Verdachts
des Drogenhandels aufgegriffen worden und sogleich in die Rechtsmedizin
gefahren worden. Als eine herbeigeeilte Rechtsmedizinerin ihm eine
Magensonde einführen wollte, um ihm gewaltsam den "mexikanischen Sirup"
einzuflößen, leistete John erheblichen Widerstand, so dass er von mehreren
Polizisten "fixiert" werden musste. Eine Anäthesistin für den Notfall wurde
nicht zu Hilfe gerufen.
Nach dem Einflößen des Ipecacuanha-Sirups fiel er zu Boden. "Eigentlich
keine ungewöhnliche Reaktion", sagte Püschel später, der gegen das Votum
der Ärztekammer die Unbedenklichkeitserklärung erteilt hatte und im Prozess
gegen den Bremer Polizeiarzt 2004 als Gutachter auftrat. Aber dann seien
"Abläufe eingetreten, mit denen wir nicht gerechnet haben". Die
Gesichtsfarbe habe sich verändert, Atmung und Puls hätten ausgesetzt. Zwei
Notärzteteams versuchten den Mann zu reanimieren, erst nach 30 Minuten
konnte er in die Intensivstation gebracht werden. Zu spät.
Der Tod von Achidi John führte damals dazu, dass in Berlin und Bremen
sofort der Brechmitteleinsatz ausgesetzt wurde. Und auch das
Bundesverfassungsgericht meldete sich unaufgefordert zu Wort und stellte
klar, dass es Brechmitteleinsätze, niemals gebilligt habe. 1999 hatte das
Gericht zwar in einem Fall festgestellt, dass Brechmittel "in Hinblick auf
die Menschenwürde und die Selbstbelastungsfreiheit keinen grundsätzlichen
verfassungsgerichtlichen Bedenken unterliegt". Doch zunächst müssten
medizinische Fragen geklärt werden. Und: Das sage nichts darüber aus,
"inwieweit eine zwangsweise Verabreichung zulässig ist".
Strafrechtlich wurde die Hamburger Rechtsmedizinerin nie zur Rechenschaft
gezogen. Die Obduktion hatte ergeben, dass John an einem Hirntod aufgrund
von Sauerstoffmangels gestorben ist, der durch einen Herzstillstand
verursacht wurde. Die Rechtsmediziner attestierten dem Toten einen
Herzfehler.
Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein. Und auch ein
Klageerzwingungsverfahren, das die Hamburger Anwältin Gabriele Heinecke für
die Angehörigen angestrengt hatte, bleib erfolglos, trotz der Ächtung des
Brechmitteleinsatzes durch den EGMR.
30 Apr 2010
## AUTOREN
Kai von Appen
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Hafenstraße
## ARTIKEL ZUM THEMA
Kommentar Suizid eines mutmaßlichen Dealers: Tödliche Politik
In einem Hamburger Untersuchungsgefängnis hat sich ein Geflüchteter das
Leben genommen. Er ist ein weiteres Opfer rassistischer Strukturen und
Repressionen.
Tod im Hamburger Untersuchungsgefängnis: Suizid in U-Haft wirft Fragen auf
Ein mutmaßlicher Kleindealer hat sich in Haft das Leben genommen. Für die
Staatsanwaltschaft ist der Fall erledigt, nicht aber für die
Hinterbliebenen.
Tödlicher Brechmitteleinsatz: BGH hebt Freispruch auf
Anfang 2005 starb in Bremen ein Afrikaner nach einem Brechmitteleinsatz.
Der Bundesgerichtshof hat den Freispruch für den beteiligten Polizeiarzt
aufgehoben.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.