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# taz.de -- Fehler eingestanden: Die späte Reue des Herrn Scherf
> Der Ex-Bürgermeister fühlt sich wegen seiner Brechmittel-Politik etwas
> „schuldig“. Heute wird ein Gedenkort für das Opfer eingeweiht.
Bild: Hat vor Gericht gelogen: Ex-Bürgermeister Henning Scherf (SPD).
BREMEN taz | Alt-Bürgermeister Henning Scherf hat die jahrelange
Brechmittelfolter in Bremen erstmals als „Fehler“ bezeichnet – und seine
eigene Schuld eingestanden.
Zwölf Jahre nach dem Tod von Laye Alama Condé sagte der SPD-Politiker dem
Kundenmagazin einer großen Versicherung: „Ich fühle mich schuldig, dass ich
den Tod dieses Menschen möglich gemacht oder zumindest dieses Verfahren
gerechtfertigt habe.“
Der Sierra Leoner war 2005 im Polizeigewahrsam an einem Brechmittel
gestorben, das ihm zwangsweise eingeflößt wurde, weil er verdächtigt wurde,
mit Drogen zu handeln. Condé hatte zwar ein paar Drogenkügelchen
ausgekotzt, im Falle einer Verurteilung hätte ihm aber höchstens eine
Geldstrafe gedroht.
Als Justizsenator hatte Scherf 1992 die landesrechtlichen Grundlagen für
die Brechmittelpraxis geschaffen und sie bisher stets verteidigt – auch vor
Gericht, und obwohl der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die
Prozedur 2006 als „Folter“ verurteilt. Der Tod Condés sei „eine große
Überraschung“ gewesen, sagte Scherf, als er 2013 vor dem Bremer Landgericht
als Zeuge aussagen musste. „Bis zu diesem katastrophalen Fall gab es
überhaupt keine Schwierigkeit.“ Entsprechend habe es „keine Kritik“ an d…
Verfahren gegeben, behauptete Scherf .
Das stimmt nicht: Schon 1994 hatte die Menschenrechtsorganisation Amnesty
International die Polizeipraxis ausdrücklich kritisiert und einen Bremer
Fall von Folter in ihrem Jahresbericht erwähnt. Und als 2001 in Hamburg
Achidi John an den Folgen eines Brechmitteleinsatzes starb, wurde das auch
in der Bremischen Bürgerschaft debattiert. Ein Antrag der damals noch
oppositionellen Grünen, die Brechmittelvergabe nun zu beenden, wurde von
der Großen Koalition abgelehnt.
Dabei thematisierte die SPD diese Polizeipraxis selbst schon 1996 im
Landtag. Zuvor hatte das Oberlandesgericht Frankfurt das Verfahren als Akt
gegen die Menschenwürde verurteilte – Scherf verteidigte es damals auch in
der Bürgerschaft. Gesundheitssenatorin Tine Wischer (SPD) schrieb er 1995,
sie solle ihre Kritik an der Prozedur einstellen, es gebe „keinerlei
Zweifel an der Zulässigkeit“.
Heute sagte er: „Ich habe mich immer vor die Polizei und diese Methode
gestellt, auch wenn andere gesagt haben: ‚Das dürft ihr nicht, das ist
Folter‘.“ Ob das „Altersweisheit“ sei, wird er in dem Interview gefragt:
„Ich will Fehler nicht schönreden“, antwortet er nur – und spricht im
nächsten Satz über die Bremer Stadtmusikanten. Für die taz war er am
Freitag nicht zu erreichen.
Man müsse das Schuldanerkenntnis „anerkennen und ernst nehmen“, sagte
Gundula Oerter von der Initiative im Gedenken an Laye Alama Condé. „Wir
erwarten jetzt aber, dass er auch öffentlich etwas in der Sache sagt.“ Und
ein Zeichen an die Hinterbliebenen, sei es in Form eines Briefes, sei es in
Form von Geld.
Die Initiative hatte Scherf bereits 2013 wegen Falschanzeige bei der
Staatsanwaltschaft angezeigt. Das Verfahren wurde aber 2014 wieder
eingestellt. „Scherf hat im Zeugenstand gelogen“, sagt Oerter – weil er
damals abstritt, Genaueres über die Gefährlichkeit der Brechmittelvergabe
gewusst zu haben. Die Initiative fordert nun, dass auch die anderen
verantwortlichen politischen Akteure von damals sich ihrer Verantwortung
stellen – die SPD als Partei, die Ärztekammer oder der CDU-Fraktionschef
Thomas Röwekamp, der als Innensenator mit Blick auf Condé seinerzeit
erklärte:
„Solche Schwerstkriminellen müssen mit körperlichen Nachteilen rechnen.“
Bremens Polizeipräsident Lutz Müller indes hat sogar ein Bild von Condé in
seinen Räumen im Präsidium: „Niemand darf unter polizeilicher Obhut ums
Leben oder nachhaltig zu Schaden kommen – Punkt“, sagt Müller.
Aus Anlass des 12. Todestages Condés wird die Initiative zu seinem Gedenken
heute einen mobilen Gedenkort vorstellen, der zunächst in der Weberstraße
im Viertel stehen wird. Später soll er in Kulturzentren, Kneipen, Vorgärten
und anderen Orten zugänglich sein. Er besteht aus einer Audiobox, deren
Ton-Dokumente auch auf der zeitgleich freigeschalteten Website
[1][www.brechmittelfolter-bremen.de] zu hören sind.
Sie geben einen Überblick über 13 Jahre Brechmittelvergabe in Bremen und
die Geschehnisse jener Nacht, in der Condé gefoltert wurde. Außerdem gibt
es Interviews mit Betroffenen. Man wolle nicht die individuelle
Lebensleistung eines Menschen würdigen, so die Initiative, „sondern mahnend
daran erinnern, dass kein Beschuldigter in Obhut der Polizei misshandelt
werden darf – schon gar nicht bis zum Tod“.
6 Jan 2017
## LINKS
[1] http://www.brechmittelfolter-bremen.de
## AUTOREN
Jan Zier
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