# taz.de -- Hamburg vor der Wahl: So schlicht, so erfolgreich | |
> Die Hamburger SPD scheint kurz vor der Wahl das Rennen für sich | |
> entschieden zu haben. Sie besetzt alle Themen und die Mitte der | |
> Gesellschaft. | |
Bild: Kennt „zwischen der Sonne und sich keine weitere Ebene“: SPD-Bürgerm… | |
HAMBURG taz | Wenn er Pech hat, muss sich SPD-Bürgermeister Olaf Scholz am | |
Sonntag einen Koalitionspartner suchen. Mit ein wenig Glück wird er etwas | |
erreichen, was im Stadtstaat an der Elbe zuletzt 1970 dem | |
sozialdemokratischen Bürgermeister Herbert Weichmann gelang: die absolute | |
Mehrheit verteidigen. | |
Spätestens dann hätte das bissige Bonmot des schleswig-holsteinischen | |
Star-Grünen Robert Habeck, vor zwei Jahren im Zorn gesprochen, dass Scholz | |
„zwischen der Sonne und sich keine weitere Ebene“ kenne, wohl seine | |
Berechtigung gefunden. | |
45 Prozent sagen Umfragen der seit vier Jahren allein regierenden SPD für | |
die Bürgerschaftswahl am Sonntag voraus, rund 3 Prozent weniger als 2011. | |
Aber es gab schon Parteien, die nach vier Jahren Alleinregierung sehr viel | |
tiefer stürzten. Es würde sogar wieder für die absolute Mehrheit reichen – | |
wenn die FDP aus der Bürgerschaft purzelt und die Alternative für | |
Deutschland nicht reinkommt. Die Demoskopen sehen beide Parteien jedoch | |
derzeit knapp im Parlament. | |
Doch gegen CDU, Grüne und Linke, die zusammen derzeit weniger als 40 | |
Prozent zusammenkriegen, hätte die SPD locker die Übermacht, selbst eine | |
weitere Oppositionsfraktion könnte sie wohl verkraften. | |
## Politprofi Olaf Scholz | |
Und der Grund dafür heißt Olaf Scholz. Er ist der Politprofi, der in einer | |
anderen Liga spielt, als alle, die sich im Hamburger Feierabendparlament | |
tummeln. Das glaubt er wirklich, und bislang gibt es wenig Hinweise darauf, | |
dass er sich irren könnte. | |
Im Herbst 2010, als die schwarz-grüne Koalition in Hamburg nach nur | |
zweieinhalb Jahren zerbrach, gab Scholz zwei Botschaften aus. Eine an die | |
eigene Partei: „Alles hört auf mein Kommando“, und eine an die | |
Öffentlichkeit: „Wir wollen ordentlich regieren.“ So schlicht, so | |
erfolgreich. | |
Und damit hat sich die SPD in Hamburg in der politischen Mitte, da, wo | |
Wahlen gewonnen werden, so breit gemacht, dass alle anderen, die da auch | |
gerne wären, kaum noch einen Sitzplatz abbekommen. | |
CDU, FDP, Grünen und neuerdings auch den Neuen Liberalen, einer Abspaltung | |
der FDP, bleibt kaum die Luft zum Atmen, nach Luft schnappen ebenfalls | |
kleinbürgerliche Einzelkämpfer wie der selbsternannte Einheitsschul-Gegner | |
Walter Scheuerl, der 2010 den erfolgreichen Volksentscheid gegen die | |
schwarz-grüne Primarschulreform initiierte. Nur die Linke grenzt sich | |
bewusst von diesem politischen Zentrum ab und müht sich redlich in ihrem | |
Biotop der Armen und Entrechteten. | |
## Die Grünen – lassen sich von Scholz zu Tode kosen | |
Verzweifelt sind hingegen die Grünen. Bei 11 bis 12 Prozent liegen sie, im | |
üblichen Rahmen, und haben keine Idee, wie sie das ändern könnten. In einer | |
Stadt wie Hamburg, wo sie vor 20 Jahren noch zu den stärksten grünen | |
Landesverbänden bundesweit gehörten, freuen sie sich inzwischen über jedes | |
zweistellige Ergebnis. Vor vier Jahren reichte es für 11,2 Prozent, und die | |
grüne Führungsspitze hofft inständig, dass es am Sonntag nicht weniger | |
wird. Das wäre schon ein Erfolg. | |
Auch fällt ihr kein Mittel ein gegen Scholz’ Taktik, sie zu Tode zu kosen. | |
Wenn es für die absolute Mehrheit nicht reichen sollte, erzählt der | |
Bürgermeister bei jeder Gelegenheit seit Wochen, „sprechen wir zuerst mit | |
den Grünen“. Diese vermeintliche Liebesbezeugung ist vergiftet, der Kern | |
der Botschaft lautet: Wählt lieber gleich mich, dann müssen wir alle uns | |
nicht mit den Ökos rumärgern. | |
Denn mit Umweltthemen ist in Hamburg ohnehin kein Staat mehr zu machen: | |
Widerstand gegen die Elbvertiefung ist in der Stadt mit dem zweitgrößten | |
Hafen Europas selbst in der grünen Wählerschaft kein Konsens. Einzig die | |
harte Hand der SPD in der Sozial- und Flüchtlingspolitik lässt den Grünen | |
Platz für eigenes Profil, das aber kann für sie nur der Mindeststandard | |
ihrer politischen Argumentation sein. Beifall über die eigene Stammklientel | |
hinaus lässt sich so kaum erhaschen. | |
## CDU – Niedergang im Vier-Jahres-Takt | |
Exakt das gleiche Problem haben die CDU und ihr Bürgermeister-Kandidat | |
Dietrich Wersich. Der 50-Jährige ist drauf und dran, das historisch | |
schlechteste Wahlergebnis seit 1949 einzufahren – und das ist nicht mal | |
seine Schuld. Wersich und der CDU fehlen die Themen, weil Scholz sie längst | |
besetzt hat. | |
Wer an der SPD-Bildungspolitik kritisiert, dass sie den Elternzuschuss für | |
das Mittagessen in der Kita und die Studiengebühren an den Hochschulen | |
abschaffte, darf sich über ausbleibende Jubelstürme nicht wundern. Wer an | |
den vielen Straßenbaustellen in der Stadt und den damit verbundenen Staus | |
herummäkelt, muss sich von der SPD vorrechnen lassen, wie viele Dutzend | |
Schlaglöcher, die CDU-Senate hinterlassen hatten, sie Woche für Woche | |
reparieren lässt. Und die Forderung, noch härter zu sparen als die SPD, um | |
die Schuldenbremse früher als 2020 zu erreichen, sorgt nur noch für | |
Unverständnis in der Öffentlichkeit. Denn die SPD-Finanzbehörde meldete | |
gerade einen Haushaltsüberschuss von 422 Millionen Euro im vergangenen | |
Jahr. | |
2004 feierte die Hamburger CDU unter ihrem Strahlemann Ole von Beust mit 47 | |
Prozent die absolute Mehrheit, 2008 ging sie mit knapp 43 Prozent das | |
bundesweit erste schwarz-grüne Bündnis ein, 2011 halbierte Beust-Nachfolger | |
Christoph Ahlhaus dieses Ergebnis auf 22 Prozent – und Wersich, der als | |
Parteilinker und Schwarz-Grüner gilt, liegt zurzeit unter der | |
20-Prozent-Marke. | |
Es ist die Geschichte vom Aufstieg und Fall einer Partei, die in der roten | |
Hochburg im Norden eine 44 Jahre währende SPD-Dauerregierung 2001 mit Hilfe | |
des gnadenlosen Richters Schill ablöste – und danach alles verspielte. | |
Leidtragender ist Wersich, der weit unter Wert geschlagen wird. Ob er den | |
Wahlabend politisch überleben wird, ist fraglich. | |
## FDP – Katja Sudding baggert um Stimmen | |
Ein wenig schuld daran hat auch FDP-Spitzenkandidatin Katja Suding. Sie | |
wird nicht müde zu erzählen, dass jede Stimme für die CDU eine verschenkte | |
sei. Nur die FDP könne Rot-Grün verhindern, baggert sie um die Stimmen von | |
Grünen-Skeptikern in CDU wie SPD gleichermaßen. Das scheint zu fruchten: Zu | |
Jahresbeginn waren Suding und ihre Partei auf 2 Prozent taxiert worden, | |
inzwischen liegen sie bei 6 Prozent. | |
Olaf Scholz indes beeindruckt sie damit nicht. Er hält die Performance der | |
gelernten PR-Fachfrau „nicht für seriös“, vor allem die kürzliche | |
Fotostrecke in der Gala missfiel ihm nachdrücklich. Aber auch sonst hält er | |
nicht viel von Suding, deren schrille Plakate mit wehenden Haaren, | |
stylishen Lederleggins und flotten Sprüchen im Hamburger Straßenbild | |
allgegenwärtig sind. Er vermisse „den nötigen Ernst, bei aller erlaubten | |
Lockerheit“, so der Tadel des Bürgermeisters. | |
Scholz glaubt nicht daran, dass die FDP wieder in die Bürgerschaft | |
einzieht, und selbst wenn, könne er sich eine rot-gelbe Koalition „nicht | |
vorstellen“. So will er die Liberalen ebenso klein halten wie die Grünen, | |
nur mit umgekehrter Argumentation. Es lohne sich nicht, von der CDU zur FDP | |
zu wechseln, so seine Botschaft, denn regieren werde er mit denen sowieso | |
nicht. | |
## Scholz will die Alleinregierung | |
Mit der CDU im Übrigen erst recht nicht: „Eine Große Koalition wird es | |
nicht geben.“ Wersich schimpft, das sei „Erpressung“. Scholz wolle „alle | |
bürgerlichen Wähler zwingen, SPD zu wählen, wenn sie Rot-Grün verhindern | |
wollen“, sagt Wersich. Das ist korrekt analysiert: Scholz will die | |
Alleinregierung, nur eine absolute SPD-Mehrheit, so seine Botschaft, | |
garantiere Qualität. Sein Slogan „Hamburg weiter vorn“ mit Scholz und der | |
SPD ist von ergreifender Schlichtheit, aber genau so gemeint. | |
Eine Behauptung, die der linken Spitzenkandidatin Dora Heyenn die | |
Zornesröte ins Gesicht zu treiben pflegt, aber das ist Scholz reichlich | |
egal. Die Linke will nicht mit ihm, er nicht mit ihr, da lässt es sich | |
erträglich nebeneinanderher leben. Heyenn fordert die Millionärsteuer statt | |
der Schuldenbremse und von Scholz eine Entschuldigung für Agenda 2010 und | |
Hartz IV – da gibt es nicht viel miteinander zu besprechen. 8 oder gar 9 | |
Prozent könnte die Linke derzeit holen, mithin kann sie sich auf einen | |
geruhsamen Wahlabend einstellen und anschließend auf fünf Jahre Opposition | |
gegen einen Bürgermeister, der schon jetzt feststeht: Olaf Scholz. | |
Bleibt als Zünglein an der Waage die AfD, die nach Umfragen bei 5 Prozent | |
liegt und somit an der Grenze zwischen allem und nichts. Sollte sie es in | |
die Bürgerschaft schaffen, würde es wohl eine – wahrscheinlich rot-grüne �… | |
Koalitionsregierung geben müssen. Vier ehemalige Abgeordnete der | |
Schill-Partei kandidieren für die Rechtspopulisten. Soweit die anderen | |
Parteien die AfD nicht ignorieren, warnen sie deshalb vor Schills Erben und | |
einer Wiederkehr der skandalträchtigen ersten drei Jahre dieses | |
Jahrtausends. Insofern wird sich am Sonntag auch zeigen, ob die | |
HamburgerInnen aus früheren Fehlern gelernt haben. | |
13 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Sven-Michael Veit | |
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