# taz.de -- Migrantenstimmen in Hamburg: Plötzlich wichtig | |
> In Hamburg wählen am Sonntag 210.000 Menschen mit Migrationshintergrund. | |
> Auch migrantische Kandidaten haben Chancen, in die Bürgerschaft | |
> einzuziehen. | |
Bild: Grünen-Kandidatin Nebahat Güçlü wird beschuldigt, um Personenstimmen … | |
HAMBURG taz | Plumper geht es kaum: „Muslime wählen SPD“ prangte Freitag | |
früh auf den schwarzen Plakaten von Spitzenkandidat Olaf Scholz. Am Abend | |
empfängt der Bürgermeister rund 500 Einwanderer zur Einbürgerungsfeier mit | |
Kinderchor im Rathaus-Festsaal. Er schüttelt Hände, lässt sich | |
fotografieren, überreicht Urkunden. Gerade 40 Stunden danach dürfen Scholz’ | |
Gäste wählen. | |
Es ist die letzte von rund einem Dutzend solcher Feiern in dieser | |
Legislatur. Ende 2011 hatte Scholz 150.000 Hamburgern einen Brief | |
geschrieben, der sie zur Annahme der deutschen Staatsbürgerschaft | |
ermunterte. Seither sind 20.500 Menschen dieser Einladung gefolgt. | |
Hinzu kommt, dass erstmals Jugendliche ab 16 wählen dürfen, unter denen der | |
Anteil der MigrantInnen bei knapp 40 Prozent liegt. Rund 210.000 | |
wahlberechtigte Einwanderer sind am Sonntag zu den Urnen gerufen. 2009 | |
waren es noch 166.000. | |
Freilich sind es noch zu wenige. 31 Prozent Hamburgern mit | |
Migrationshintergund stehen nur 15 Prozent der Wahlberechtigten gegenüber. | |
„Und von diesen gehen auch nicht alle wählen“, wirft Politikwissenschaftler | |
Orkan Kösemen ein. „Es hört sich nach mehr an, als es ist.“ Deutschland | |
hole erst langsam eine Entwicklung nach, die in anderen Ländern längt | |
üblich ist. Das großstädtische Milieu werde aber unbestritten „bunter und | |
vielfältiger“; Parteien richteten sich auf neue Wählergruppen aus, so | |
Kösemen. Ein Wahlkampf, der Einwanderer zu Sündenböcken abstempelt, sei | |
nicht mehr denkbar. | |
## Selbst die CDU setzt auf „Vielfalt“ | |
Bei der Hamburg-Wahl setzt sogar die CDU auf „Vielfalt“; betont, dass der | |
frühere CDU-Bürgermeister Ole von Beust die Einbürgerungsfeiern erfunden | |
hat und Scholz sie nur kopiert. Und sie wirbt in diesem Wahlkampf damit, | |
dass acht Kandidaten mit Migrationsgeschichte auf der Landesliste stehen, | |
darunter der Russlanddeutsche Nikolaus Haufler und der Fernsehmoderator | |
Bedo Kayaturan. Der Großteil der türkeistämmigen Menschen sei | |
„wertkonservativ“, erklärt der im taz-Interview. „Muslime und Aleviten | |
haben mehr mit der CDU gemein als sie es je mit der SPD haben werden.“ | |
Die Bindungen einstiger Gastarbeiter an die SPD lösten sich in der nächsten | |
Generation langsam auf, stellte auch Kösemen in seiner Studie „Wenn aus | |
Ausländern Wähler werden“ fest. Genau wie die Bindungen der Spätaussiedler | |
an die CDU. „Die migrantische Wählergruppe ist völlig heterogen so wie die | |
übrige Bevölkerung auch.“ | |
Die Grünen haben sogar 19 Kandidaten mit Migrationshintergrund auf ihrer | |
Landesliste, allerdings die meisten auf den hinteren der 60 Plätze. Aber | |
das heißt nichts. Denn in Hamburg gibt es „Personenstimmen“, mit denen | |
Kandidaten von den hinteren Plätzen nach vorn kommen können. Bei der Wahl | |
2011 katapultierte das damals erstmals angewandte neue Verfahren etliche | |
Kandidaten nach vorn. | |
Cansu Özdemir von der Linkspartei schaffte es von Listenplatz 9 auf Platz | |
2. Nummer neun wäre nicht mehr reingekommen. Und CDU-Jungpolitiker Nikolaus | |
Haufler schaffte bei der CDU damals den Sprung vom aussichtslosen Platz 50 | |
auf Platz 6. | |
## „Grüne Politik“ um jeden Preis | |
Bei dieser Wahl steht die Grüne Politikerin Nebahat Güçlü auf Platz 25. Sie | |
soll aus der Partei ausgeschlossen werden, weil sie bei dem Kulturfestival | |
einer Organisation auftrat, die den rechtsnationalen „Grauen Wölfen“ nahe | |
steht. Der Verdacht der Parteifreunde ist, dass sie dort Personenstimmen um | |
jeden Preis einwerben wollte. Sie sagt, sie habe lediglich für „grüne | |
Politik“ werben wollen. | |
Die FDP macht keine Angaben über Kandidaten mit Migrationshintergrund. Auf | |
der Liste stünden „nur deutsche Namen“, sagt ein Sprecher. Die SPD nennt | |
die Zahl Fünf für die Landesliste. „Für uns ist das eine | |
Selbstverständlichkeit mittlerweile“, sagt ein Sprecher. „Wir heben diese | |
Gruppe nicht besonders hervor.“ | |
Allerdings sah es bei der letzten Wahl noch mau aus: Neben Kazim Abaci, der | |
auf Einladung von Landeschef Scholz Platz 21 bekam, fand sich noch der in | |
der Türkei geborene Ali Şimşek auf der Liste, ganz am Ende auf Platz 59. | |
Dank Personenstimmen schaffte er es noch vor Abaci auf den 14. Platz. | |
Das 2009 eingeführte Wahlrecht ist offenbar die passende Medizin, um | |
Vielfalt auch im Parlament zu repräsentieren. Dass es Bewerber aus einer | |
migrantischen Community leichter hätten als andere, bestreitet Kösemen. | |
„Nur wegen ethnischer Zugehörigkeit wird man nicht gewählt“, sagt er. | |
„Klinkenputzen müssen die trotzdem.“ | |
Den ganzen Schwerpunkt zum Thema „Migrantische Kandidaten bei der | |
Bürgerschaftswahl in Hamburg“ lesen Sie in der Nord-Ausgabe der taz.am | |
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13 Feb 2015 | |
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## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
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