# taz.de -- Hamburger AfD vor der Wahl: Schills Erben und der nette Kruse | |
> Die AfD könnte erstmals in ein westdeutsches Parlament einziehen. Ihr | |
> Chef gibt sich moderat, andere Kandidaten sind alte Bekannte. | |
Bild: Vorzeigekandidat der AfD für Hamburg: Jörn Kruse | |
HAMBURG taz | Polizei ist immer dabei, weil eben auch die Freunde aus der | |
autonomen Antifa-Szene zu Hamburger AfD-Wahlveranstaltungen gehören. An | |
diesem Abend in einem Vereinsheim im Arbeiterviertel Hamburg-Wilhelmsburg | |
bewacht ein halbes Dutzend uniformierter Beamte die Tür des | |
Versammlungsraums, hinter der sich Spitzenkandidat Jörn Kruse, ein weiterer | |
Referent, zehn Zuhörer, ein paar Reporter und zwei Jungautonome eingefunden | |
haben, die, schon etwas bierselig, die Runde ein wenig aufmischen wollen. | |
Das Thema in Wilhelmsburg lautet Schule und Uni oder, wie es die AfD auf | |
ihrem Wahlplakat formuliert: „Solide Bildung statt rot-grüne Experimente“. | |
Mit einer Tulpe Bier auf dem Tisch lauscht Kruse den Ausführungen des | |
lokalen AfD-Bildungsexperten über die angeblich misslungene Inklusion an | |
Hamburger Schulen und über verfehlten Sexualkundeunterricht nach | |
baden-württembergischem Vorbild. Kruse selbst spricht später darüber, dass | |
"deutscher Arbeitsethos" nicht mehr in den Bildungseinrichtungen vermittelt | |
werde, über „Migrantenkinder“ mit geringen Deutschkenntnissen, die „schon | |
verloren haben, wenn sie in die Grundschule kommen“, und deshalb „so früh | |
wie möglich in staatliche Einrichtungen“ gesteckt werden müssten. | |
Seine Wortwahl bleibt moderat. Bloß nicht anecken, lautet die Hamburger | |
AfD-Strategie, bloß keine Angriffsfläche bieten. Es geht darum, möglichst | |
viele Rechtskonservative einzusammeln, aber auch Protestwähler, die von den | |
etablierten Parteien enttäuscht sind. Niemand soll abgeschreckt werden. Die | |
Strategie scheint aufzugehen: In Umfragen kletterte die AfD | |
zwischenzeitlich auf 6 Prozent. Der Einzug in die Bürgerschaft ist möglich. | |
„Seriös“ ist einer von Kruses Lieblingsbegriffen, wenn er über die AfD | |
redet. Vor jedem seiner Vorträge über Migration betont er, „dass wir | |
Zuwanderer dringend brauchen“. Und mit den meisten habe man ja „auch keine | |
Probleme“. Aber es gebe halt gute und schlechte Migranten, und so gelte das | |
Aschenputtel-Prinzip. Willkommen seien die, die Qualifikationen für den | |
deutschen Arbeitsmarkt mitbrächten und die in ihren Heimatländern wirklich | |
verfolgt seien, also Anspruch auf Asyl hätten. Aber dann gebe es eben noch | |
die Wirtschaftsflüchtlinge und Einwanderer, die einfach | |
integrationsunwillig seien. Die müssten so schnell wie möglich wieder raus | |
aus Deutschland. | |
In Hamburg will die AfD erstmals in ein westdeutsches Landesparlament | |
einziehen. Die Hansestadt soll der Brückenkopf in die alten Bundesländer | |
werden. Das ist strategisch von eminenter Bedeutung für die Partei, und in | |
einer westdeutschen Großstadt muss man moderater agieren als in Sachsen | |
oder Thüringen. | |
## Prosa über „Hamburger Tugenden“ | |
Als emeritierter Wirtschaftsprofessor ist Jörn Kruse der richtige | |
Vorzeigekandidat für die Elbmetropole. Den AfD-Poltergeist gibt hier ein | |
anderer: Dirk Nockemann, der auf dem Ticket der rechtspopulistischen | |
Schillpartei 2003 ein kurzes Gastspiel als Hamburger Innensenator gab. Er | |
ist für die populistisch-markigen Parolen zuständig. Noch immer kopiert er | |
die Law-and-Order-Rhetorik, mit der die Schill-Partei 2001 sensationelle | |
19,4 Prozent erzielte. | |
Und er ist nur der prominenteste von mehreren Ex-Schillianern, die nun | |
unter dem Mäntelchen der AfD an ihrem politischen Comeback arbeiten. Wenige | |
Tage nach der Aufstellung ihrer Landesliste erklärten im vergangenen | |
Oktober vier der neun damaligen Hamburger AfD-Vorstandsmitglieder ihren | |
Rücktritt und warnten vor der Unterwanderung durch ehemalige Mitglieder der | |
Schill-Partei. Die droht noch immer, nur redet inzwischen niemand mehr | |
darüber. | |
In Wilhelmsburg reden dafür die beiden Jungautonomen, ab und zu pöbeln sie | |
auch. Man lässt sie gern zu Wort kommen, auch weil die beiden | |
Kapuzenpulliträger nicht die rhetorisch Versiertesten ihrer Zunft sind. So | |
liefern sie den wenigen Zuhörern den lebenden Beweis dafür, dass das | |
Hamburger Bildungssystem versagt hat. Der Handwerksmeister, der sich | |
während der Veranstaltung darüber beschwert, er würde keine qualifizierten | |
Lehrlinge mehr finden, muss mit seinem Kopf nur ein paar Mal in Richtung | |
der ungebetenen Gäste deuten und jeder der Zuhörer weiß, was er meint. | |
Nur einmal bringen sie Kruse in Verlegenheit mit der Frage, wie es die AfD | |
denn mit Pegida halte. Da eiert der 66-Jährige herum, grenzt sich dann von | |
dumpfen Pegida-Parolen ab und fordert die Politiker gleichzeitig auf, das | |
Gespräch zu suchen, so wie es die AfD schon lange und der Sigmar Gabriel | |
erst neulich getan habe. | |
Danach bedient Kruse das rechtskonservative Milieu weiter auf gehobenem | |
Stammtischniveau. Schließlich sei die AfD, so ihr Spitzenkandidat, „primär | |
dem gesunden Menschenverstand verpflichtet“. Und der sucht bei schwierigen | |
Problemen nun mal einfache Lösungen: Muslimischen Lehrerinnen will Kruse | |
das Kopftuch wegnehmen und das Autonomen-Zentrum Rote Flora räumen lassen, | |
auch wenn er auf Nachfrage nicht weiß, wie das rechtsstaatlich | |
funktionieren soll. Dazu reicht der Professor a. D. viel Prosa über | |
„Hamburger Tugenden“, „ehrbare Kaufleute“, über „bürgerliche Lebens… | |
und ihre Werte“ oder das „allgemeine Multikulti-Gerede“. | |
Das kommt an, und das muss reichen. Für 5 Prozent plus x. | |
11 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Marco Carini | |
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