# taz.de -- Debatte AfD: Die reaktionäre Mittelschicht | |
> Das mögliche Ende der Pegida-Bewegung bedeutet noch längst nicht das Ende | |
> der stärker werdenden rechten Bewegung in Deutschland. | |
Bild: Teilnehmer des Bundesparteitags der AfD: weiße, mittelständische Männer | |
Seit ihrer Gründung vor knapp zwei Jahren hat die Alternative für | |
Deutschland (AfD) die Parteienlandschaft gehörig umgepflügt. Vielfach ist | |
zu hören, aus der wirtschaftsliberalen Anti-Euro-Partei habe sich eine | |
Rechtsaußen-Partei entwickelt. | |
Es stimmt zwar: Bernd Lucke öffnete die Partei nach der Bundestagswahl | |
bewusst nach rechts, wie kürzlich aus internen Mails hervorging. Auch | |
deshalb konnte der Rechtsaußen-Flügel im Verlauf deutlich an Einfluss | |
gewinnen, während sich Liberale, deren Liberalismus sich nicht auf | |
wirtschaftspolitische Fragen beschränkt, aus der Partei verabschiedeten. | |
Doch der Fokus auf die Rechtsentwicklung übersieht, dass die Partei von | |
Anfang an als Zusammenschluss aus National-Neoliberalen und | |
Rechtskonservativen und damit als rechtes Bündnis konzipiert war. | |
Neben VWL-Professoren um Bernd Lucke gehören auch rechtskonservative | |
Netzwerker wie Beatrix von Storch zum Gründungspersonal. Die AfD war und | |
ist daher weder nur rechtspopulistisch noch nur nationalkonservativ oder | |
nur national-neoliberal. Vielmehr ist sie eine rechte Sammlungspartei, die | |
weite Teile der in Deutschland gespaltenen Fraktionen des rechten Lagers | |
binden möchte. Die AfD ist damit Teil eines Phänomens, das weit über die | |
Umwälzungen im Parteienspektrum hinausweist. Insgesamt formiert sich in | |
Deutschland eine Bewegung, die auf verschiedenen gesellschaftlichen Ebenen | |
für ein rechtes Projekt beziehungsweise eine rechte Gesellschaft wirbt. | |
Medial wird die AfD begleitet durch die Wochenzeitung Junge Freiheit. Im | |
Netz gibt es eine ganze Reihe von bekannten Blogs und Seiten wie | |
„Politically Incorrect“, „blu-News“ und „Die freie Welt“, die sich … | |
Sache der AfD verschrieben haben. In den vergangenen Jahren sind zudem | |
zahlreiche reaktionäre Bücher zur Einwanderung oder der Rolle der Frau | |
erschienen, die den gesellschaftlichen Diskurs prägen konnten. | |
## Der Druck von der Straße | |
Hinzu kommt der Druck von der Straße: Seit Oktober letzten Jahres gehen – | |
organisiert von Pegida – in Dresden jeden Montag Tausende Menschen auf die | |
Straße, um gegen die angebliche „Islamisierung“ Deutschlands zu | |
protestieren. Der Mobilisierungserfolg reiht sich ein in zahlreiche Demos | |
gegen Abtreibung oder Lehrpläne, in denen sexuelle Vielfalt thematisiert | |
wird, sowie die vielen Proteste gegen Flüchtlingsunterkünfte. | |
Eine weitere Rolle für die rechte Bewegung spielen neokonservative | |
Denkfabriken, in denen AfD-Granden, rechte Medien und unabhängige | |
Intellektuelle eng miteinander vernetzt sind. Hans-Olaf Henkel, | |
stellvertretender AfD-Vorsitzender, ist Mitglied des Kuratoriums der | |
Friedrich-August-von-Hayek-Gesellschaft, Joachim Starbatty und Beatrix von | |
Storch, beide AfD-Abgeordnete im Europaparlament, sind dort ebenfalls | |
Mitglied. | |
In den vergangenen Jahren hat sich in Deutschland eine Gruppe von | |
Unternehmern gebildet, die sich von der vorherrschenden Politik nicht mehr | |
vertreten sehen. Ihre mittelständischen Unternehmen haben sich aus dem | |
Interessensverbund des transnationalen Kapitals gelöst und setzen auf | |
regionale und lokale Absatzmärkte. Für sie macht es daher keinen eklatanten | |
Unterschied, ob die Waren in Euro oder D-Markt bezahlt werden. Maßnahmen | |
zur Stabilität des Euro würden im Gegenteil, so ihre Befürchtung, mehr | |
schaden als nützen. | |
Zudem gründet sich der AfD-Erfolg auf den reaktionären Teil der | |
Mittelschicht. Anhand vorliegender Wahlanalysen lässt sich zeigen, dass der | |
typische AfD-Wähler männlich, unter 45, Arbeiter oder selbstständig ist, | |
der Mittelschicht angehört und überdurchschnittlich gut verdient (die | |
Arbeiter unter den AfD-Wählern dürften mehrheitlich Facharbeiter sein). Er | |
pocht auf deutsche Interessen, Kriminalitätsbekämpfung sowie auf | |
Einschränkung der Einwanderung. | |
## Unsolidarisch und rassistisch | |
Gleichzeitig ist er von der Parteiendemokratie enttäuscht und in hohem Maße | |
verunsichert, was seine ökonomische Zukunft angeht. So hat er erhebliche | |
Angst vor dem sozialen Abstieg, was nicht ganz unberechtigt ist, denn | |
Studien belegen, dass die Mittelschicht in den vergangenen Jahrzehnten | |
erheblich geschrumpft ist. | |
Diese Ängste werden durch das rechte Projekt aufgegriffen und verstärkt. | |
Die AfD bietet eine entsprechende parlamentarische Kanalisierung an. Jüngst | |
konnte die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegebene Studie von | |
Andreas Zick und Anna Klein „Fragile Mitte – Feindselige Zustände“ | |
aufzeigen, dass es einen engen Zusammenhang gibt zwischen dem Gefühl, durch | |
die (aktuellen) Entwicklungen in Europa etwas verlieren zu können oder | |
etwas hergeben zu müssen, einer ökonomistisch und menschenfeindlichen | |
Einstellung sowie den Sympathien für die AfD. | |
Die Grundhaltung des reaktionären Teils der Mittelschicht ist geprägt von | |
Entsolidarisierung, Rassismus und Wohlstandschauvinismus, von | |
Ungleichheits- und Wettbewerbsideologien. Die neoliberale Ideologie, die | |
auf Wettbewerb, Marktfundamentalismus und Individualismus setzt, dürfte | |
hier deutliche Spuren im Bewusstsein der Menschen hinterlassen haben. Es | |
ist zugleich der Schwäche der gesellschaftlichen Linken geschuldet, dass | |
Ansätze der Krisenverarbeitung nicht im Kontext von Solidarität und | |
Kooperation verlaufen. | |
## Versuchslabor für rechte Politik | |
Die AfD, als parlamentarischer Arm eingebettet in eine breite rechte | |
Bewegung, schickt sich an, die Gesellschaft in Richtung rechtskonservativer | |
Werte und einer national-neoliberal-ökonomistischen Logik zu | |
radikalisieren. Die Partei ist dabei auch das Versuchslabor für das rechte | |
Projekt. An ihr wird sich zeigen, ob ein Konsens zwischen den | |
widerstreitenden Positionen innerhalb der traditionell gespaltenen Rechten | |
in Deutschland herstellbar ist. | |
Mittelfristig werden sich die AfD-Oberen wahrscheinlich auf Themen | |
verständigen, die ähnlich konsensfähig sind, wie es die Ablehnung der | |
Euro-Rettungspolitik in der Gründungsphase der Partei war. Ob eine | |
langfristige Einigung der unterschiedlichen Strömungen gelingt, wird stark | |
von der Arbeit der Brückenbauer in der Partei abhängen. Vor allem Bernd | |
Lucke versteht es bislang, als Zentrist zwischen dem national-neoliberalen | |
und dem Rechtsaußen-Flügel zu vermitteln. | |
Für das rechte Projekt wird es aber auch darauf ankommen, wie es mit den | |
rechten sozialen Bewegungen auf der Straße weitergeht. Momentan zeichnet | |
sich, begünstigt durch das Versäumnis, das Gemeinsame voranzustellen, ein | |
Ende des Pegida-Mobilisierungserfolgs ab. Doch ein Ende der rechten Welle | |
bedeutet das noch nicht. | |
Der bemerkenswerte Erfolg der Pegida, über Wochen hinweg die öffentliche | |
Debatte zu dominieren, dürfte das rechte Spektrum motiviert haben und | |
könnte auch mittel- und langfristig Wirkung zeigen. | |
Der Weg auf die Straße bei einem nächsten Anlass dürfte deutlich leichter | |
fallen, den Weg kennt man ja schon. Womöglich ist der Kamm der rechten | |
Mobilisierungswelle noch gar nicht erreicht. | |
14 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Sebastian Friedrich | |
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