# taz.de -- Streit in der AfD: Populist aus Überzeugung | |
> Marcus Pretzell sagt: „Pegida oder Blockupy, das ist egal. Beide werden | |
> von der Politik ignoriert.“ Er gilt als Gegenspieler von AfD-Chef Lucke. | |
Bild: Gibt sich geschmeidig: Marcus Pretzell, der von der FDP zur AfD gekommen … | |
DÜSSELDORF/MÜNSTER taz | Marcus Pretzell gibt sich gelassen. „Ernsthafte | |
Sorgen mache ich mir nicht“, sagt er, „zwei Drittel der Mitglieder | |
unterstützen mich.“ Pretzell, 41, runde Brille, Dreitagebart, offenes Hemd, | |
ist einer der Hoffnungsträger der Alternative für Deutschland, kurz AfD. | |
Für die einen. Für die anderen ist der smarte Jurist mit dem jungenhaften | |
Charme ein Populist, der die AfD weiter nach rechts rückt und | |
„charakterlich ungeeignet“ ist für einen Führungsposten in der Partei. | |
Es ist der letzte Freitag im März, Pretzell sitzt im Restaurant | |
Schnellenburg nahe der Düsseldorfer Messe, hinter den großen Fenstern | |
fließt langsam der Rhein dahin. In der AfD tobt der Richtungskampf, mit | |
zwei Resolutionen dreschen die Parteiflügel aufeinander ein. Die | |
Nationalkonservativen, die mit Pegida flirten und auf Islamfeindlichkeit | |
und Flüchtlingshetze setzen, finden den Kurs von Parteichef Bernd Lucke zu | |
lasch. Die Wirtschaftsliberalen unterstützen ihn. | |
Pretzell hat keine der beiden Resolutionen unterschrieben. Er ist | |
Europaabgeordneter und Landeschef in Nordrhein-Westfalen, bundesweit nicht | |
so bekannt, aber als Chef des größten Landesverbandes ein Machtfaktor in | |
der Partei. Und einer der einflussreichsten Gegenspieler des Eurokritikers | |
Lucke. | |
## Rücktritt lehnt er ab | |
Doch Pretzell sitzt in der Klemme. Er hatte private Steuerschulden nicht | |
bezahlt, es soll um 3.000 Euro gegangen sein. Die Finanzbeamten nahmen an, | |
dass er vom Landesverband ein Gehalt bezieht, und wollten es pfänden. | |
Briefe gingen verloren, Pretzell informierte den Landesvorstand nicht. Am | |
Ende sperrten die Beamten das Konto des Landesverbands. Damit habe er der | |
Partei geschadet, urteilten seine drei Stellvertreter, forderten Pretzell | |
zum Rücktritt auf und kündigten den eigenen zum Landesparteitag Ende April | |
an. | |
Eine Parteikommission führt alles auf „private chaotische Zustände“ zurü… | |
rät dem Bundesvorstand von Sanktionen ab und empfiehlt Pretzell, sich auf | |
das Europaparlament zu konzentrieren – und den Landesvorsitz abzugeben. Am | |
heutigen Freitag muss der NRW-Chef dem Bundesvorstand Rede und Antwort | |
stehen, Ende kommender Woche dann dem Landesparteitag. | |
Pretzell äußert sich zu den Steuerschulden nicht. „Die Ursache ist privater | |
Natur, darüber rede ich nicht“, sagt er im Restaurant am Rheinufer. | |
Pretzell, der vier Kinder zwischen fünf und zehn hat, lebt in Trennung. | |
„Fakt ist, die Teilkontensperre war beschränkt auf 1.023,50 Euro und 24 | |
Stunden, der Landesverband war immer zahlungsfähig.“ Der Partei sei kein | |
Schaden entstanden. Pretzells Deutung der Affäre geht so: Seine | |
Stellvertreter und Teile des Bundesvorstands – das Lucke-Lager – verfolgen | |
ein ganz anderes Ziel. „Geht es vielleicht darum, einen innerparteilichen | |
Konkurrenten zu beschädigen?“, fragt er. Einen Rücktritt als | |
Landesvorsitzender lehnt er ab. | |
Im Gespräch ist Pretzel geschmeidig. „Ich komme aus der FDP. Ich bin ein | |
Liberaler.“ Er ist gegen TTIP und die Vorratsdatenspeicherung, | |
Russland-Sanktionen und „Frühsexualisierung wie in Baden-Württemberg“. | |
Fragt man nach Einwanderung und Islam, weicht er aus. „Zuwanderung, | |
Familienpolitik, Russland, das ist alles interessant. Aber das | |
Entscheidende ist die Partizipation des Bürgers am politischen Diskurs“, | |
sagt er. „Pegida oder Blockupy, das ist egal. Beide werden von der Politik | |
ignoriert.“ Er bestellt Fussili mit Garnelen in Basilikumcreme. | |
## Verständnis für Pegida | |
Alexander Häusler, Rechtspopulismusexperte der Düsseldorfer Fachhochschule, | |
beobachtet die AfD von Anfang an. Für ihn ist Pretzell ein Bindeglied | |
zwischen neoliberalen und nationalkonservativen Positionen in der Partei. | |
Er habe früh Verständnis für die islamfeindlichen Pegida-Demonstrationen | |
geäußert und um die Jahreswende in einem „Brief an 80 Millionen Deutsche“ | |
dazu aufgerufen, auf die Straße zu gehen – gegen die politische Klasse, für | |
christliche Werte und eine liberale Gesellschaft. „Pretzell kann | |
mobilisieren.“ | |
Aufgewachsen in Wiesbaden, hat Pretzel in Heidelberg Jura studiert, war | |
dort im Corps Saxo-Borussia. Bevor er im Mai 2014 ins Europaparlament | |
einzog, arbeitete er als Anwalt für Immobilienrecht. Kurz darauf wurde er | |
Vorsitzender des Landesverbands, dessen Mitglieder in manchen Städten | |
gemeinsame Sache mit Rechtsextremen machten. Dagegen schritt er ein. | |
Am Abend vor dem Mittagessen am Rhein kommt Pretzell von Brüssel nach | |
Düsseldorf, direkt in eine Schauspielschule in der Innenstadt. Die Junge | |
Alternative, die Jugendorganisation der AfD, hat ihn eingeladen, über TTIP | |
zu berichten, das Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union und | |
den USA. Rund 25 Leute sind da, meist junge Männer in Hemd und Jackett. | |
Viele von ihnen begrüßt Pretzell mit Handschlag. Kurz drauf spricht er von | |
problematischen Schlichtungsverfahren, Bananenrepubliken und | |
funktionierenden Rechtsstaaten, der Macht der Konzerne. | |
Er redet frei, flicht anschauliche Beispiele und unterhaltsame Vergleiche | |
ein. Vieles von dem, was er sagt, tragen auch linke Kritiker vor. Die Junge | |
Alternative aber steht noch rechts von der AfD. Burschenschaftler sind hier | |
aktiv, der ehemalige Vizechef war bei Danubia, einer Burschenschaft, die | |
der Verfassungsschutz als rechtsextremistisch bezeichnet. „Pretzell setzt | |
sich sehr für die JA ein“, sagt der Bezirksvorsitzende Jonathan Steffens. | |
TTIP und die Folgen, das sei „eine echte Gefahr für unsere Demokratie“, | |
schließt Pretzell seinen Vortrag. Applaus, dann folgen Detailfragen. Kein | |
Wort zu den Vorwürfen gegen den Landeschef. So wird es auch am folgenden | |
Abend in Münster sein, wenn Pretzell gemeinsam mit der christlichen | |
Fundamentalistin Beatrix von Storch referiert. | |
„Pretzells Steuerschulden werden instrumentalisiert“, sagt Sven Tritschler, | |
Landeschef der JA, ein bulliger Kerl im Jackett, der auch im | |
AfD-Landesvorstand sitzt. „Das war Schludrigkeit“, einen Rücktritt | |
rechtfertige es nicht. Tritschler schätzt Pretzell, der die AfD nach vorne | |
bringe. „Mit einer biederen Partei kann man keine Wahlen gewinnen. Man muss | |
die Themen der Leute aufnehmen und zuspitzen.“ | |
So sieht es auch Pretzell. Als die Netten von nebenan krempele man die | |
Politik nicht um. Die Kritik an Lucke schwingt in jedem Satz mit. „Nehmen | |
Sie die Gratulation an Juncker. Das Bild nach außen ist: Wir möchten | |
dazugehören, wir möchten mitmachen. Ich will nicht mitmachen. Ich will die | |
Struktur der Europäischen Union ganz grundsätzlich ändern.“ Der Politikstil | |
der JA dagegen gefällt Pretzell: „Ich mag Provokationen.“ Die | |
Antifeminismuskampagne, die es in die Emma geschafft habe, sei „super“ | |
gewesen. Junge Frauen halten dabei Plakate hoch, warum sie keine | |
Feministinnen sind: „Weil mein Mann mein Fels in der Brandung ist und nicht | |
mein Klassenfeind“ ist eines davon. | |
## Podium mit Ukip | |
Kurz vor der Europawahl, Lucke wollte die AfD vom Verdacht des | |
Rechtspopulismus fernhalten, [1][lud die JA Nigel Farage ein, Chef der | |
britischen Ukip]. Dessen Lieblingsthemen: EU-Austritt, Einwanderungsstopp, | |
Kopftuchverbot. Pretzell setzte sich mit ihm aufs Podium. Das war eine | |
Kampfansage. Er kassierte eine Rüge des Bundesvorstands, dem er selbst | |
angehörte. Wenig später zog er sich daraus zurück. | |
„Mein Verhältnis zu Bernd Lucke hat eine gewisse Tradition“, sagt Pretzell | |
im Restaurant und lacht. Er inszeniert sich gern als Rebell. Er zählt auf: | |
Dass er als Bezirkssprecher vor dem Schiedsgericht eine Klage gegen den | |
Bundesverband eingereicht hat. Dass er bei der Listenaufstellung zur | |
Europawahl und bei der Wahl zum Bundesvorstand gegen den Lucke-Vertrauten | |
Hans-Olaf Henkel antrat. Dass er, Luckes Willen zum Trotz, Landeschef | |
geworden ist und als einziger der Europaabgeordneten gegen Sanktionen gegen | |
Russland gestimmt hat. „Das fasst Bernd Lucke möglicherweise als Bedrohung | |
auf. Er hat mir schon vorgeworfen, ihn stürzen zu wollen, als ich noch | |
Bezirkssprecher war.“ | |
Und, wollen Sie Lucke stürzen, Herr Pretzell? | |
Pretzell stutzt einen Augenblick, dann lächelt er. „Ich hätte den | |
Kompromiss mit ihm vor dem Parteitag in Bremen nicht schließen müssen“, | |
sagt er. Nein sagt er nicht. Anfang Januar hatte es einen erbitterten | |
Machtkampf gegeben, ob Lucke künftig die AfD allein führen soll. Zurzeit | |
sei der Parteichef unangreifbar, sagt Pretzell. „Wir brauchen ihn, aber er | |
braucht uns auch.“ | |
Wir, damit meint er vor allem den brandenburgischen Nationalkonservativen | |
Alexander Gauland, von Storch und die erzkonservative Frauke Petry aus | |
Sachsen. Das sind Pretzells Verbündete in der Partei. Er hat nichts | |
dagegen, wenn man ihn einen Populisten nennt. „Politik ist populistisch, | |
Details kann man nicht verkaufen.“ Soll heißen: Wer das politische System | |
aufmischen will, muss populistisch sein. Dann fischt Pretzell die letzte | |
Nudel von seinem Teller und sagt: „Herr Lucke möchte nicht populistisch | |
sein.“ | |
16 Apr 2015 | |
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## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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