# taz.de -- Porträt des CDU-Spitzenkandidaten: Der Herausforderer | |
> Dietrich Wersich will SPD-Bürgermeister Scholz ablösen, doch die Umfragen | |
> sind düster: Der Spagat zwischen rechts und linksliberal fällt der CDU | |
> schwer. | |
Bild: So nett der Wahlkampfbus, so trübe die Aussichten: an Dietrich Wersichs … | |
HAMBURG taz | Die Umfragen sehen böse aus für den CDU-Spitzenkandidaten. | |
Noch im November kam die CDU auf hoffnungsvolle 27 Prozent, seither purzeln | |
die Werte auf zuletzt 18 Prozent. Dietrich Wersich gilt als Kandidat ohne | |
Chance. „Ich will Bürgermeister werden“, sagt der CDU-Mann, der mit einem | |
schwarzen Doppeldecker-Bus mit seinem Foto drauf auf die Wochenmärkte | |
fährt, tapfer. Einer muss ja Scholz herausfordern, sonst könnte man die | |
Hamburg-Wahl auch lassen. | |
Der 50-Jährige hat einen beeindruckenden Lebenslauf, ist | |
Allgemeinmediziner, war Theaterleiter und Staatsrat in der Hamburger | |
Sozialbehörde, und von 2008 bis 2011 dort Chef. Und er hat, so sagte er | |
beiläufig in einem Interview, einen Lebensgefährten, mit dem er im Urlaub | |
durch die Alpen wandert. Er schätze Wersich sehr, sagt ein früherer | |
Behördenmitarbeiter. Der habe ein breites Kreuz gezeigt, als es galt, von | |
der Politik geforderte unsinnige Vorgaben nicht umzusetzen. | |
Dietrich Wersich war schon mal Senator, das gibt seinem Auftreten eine | |
gewisse Autorität, eine Ernsthaftigkeit, wenn er Kürzungen bei | |
Stadtteiltreffs und Spielplätzen kritisiert, die der SPD-Senat zu Beginn | |
seiner Regierung mit der Schuldenbremse begründete. Gerade kürzt keiner, | |
wäre ja auch doof. | |
Wersich war Senator zu einer Zeit, in der die in Hamburg zunächst mit dem | |
Rechtspopulisten Ronald Schill gestartete CDU für das linksliberale | |
Spektrum etwas von ihrem Schrecken verlor. Als das Experiment Schwarz-Grün | |
kulturelle Gräben überwinden half. Seine Vorgängerin Birgit | |
Schnieber-Jastram (CDU) galt als „eiserne Lady“, noch gefürchteter war ihr | |
Staatsrat, der die Mitarbeiter die Hacken zusammenschlagen ließ. Das ist | |
nicht Wersichs Stil. Er sagt, er erwarte von Mitarbeitern Widerspruch und | |
Diskussion. | |
Ein Montag im Januar im „Kulturpalast“ in Billstedt, Hamburgs drittärmsten | |
Stadtteil. Die CDU wirbt mit „Vielfalt“ für Hamburg. Acht Kandidaten mit | |
Migrationshintergrund stehen auf der Landesliste. Der bunte Abend beginnt | |
mit einem Film, der zeigt wie Wersich und fünf Parteifreunde, die ihre | |
familiären Wurzeln in Ghana, Vietnam, Lateinamerika und der Türkei haben, | |
sich gegenseitig bewirten. Wersich steht mit Schürze in seiner Wohnküche, | |
kocht Winterrouladen mit Kartoffelstampf. | |
Eine Überraschung: Auch Bedo, der stadtbekannte Kultmoderator des | |
deutsch-türkischen Lifestylemagazins „Oriental night“, ist in Billstedt | |
dabei. Statt der lässigen Hippie-Weste trägt er Anzug und macht Wahlkampf | |
für die CDU. Mit seinen Eltern hätte er dafür Ärger bekommen, gesteht er | |
auf der Bühne. Dabei habe seine Mutter auch den früheren CDU-Bürgermeister | |
Ole von Beust gewählt, weil „Ole cool war“. Bedo B. Kayaturan, wie er mit | |
vollem Namen heißt, findet die ganze CDU cool. | |
Wersich spricht kurz. Multikulti funktioniere nicht von allein. Er erinnert | |
daran, dass die CDU in Hamburg die „Ausländerbeauftragte“ durch einen | |
Integrationsbeirat ersetzte. Dass es von Beust war, der die Einstellung von | |
Migranten in den Behörden förderte und die Einbürgerungsfeiern einführte. | |
## Von den Brüdern geprägt | |
Termine wie den in Billstedt gibt es viele. Wersich diskutiert beim DGB, | |
Wersich spricht im Johanneum, dem humanistisch Gymnasium, in das er nach | |
der sechsten Klasse wechselte, weil er auf der anderen Schule „zu viel Mist | |
gebaut“ habe. Dort musste er sich anstrengen und hocharbeiten, das habe ihn | |
geprägt. | |
Wersich ist der vierte von fünf Brüdern und wuchs in einem Reihenhaus nahe | |
des Hagenbeck’schen Tierparks auf. Sein Vater hatte einen Gartenbaubetrieb, | |
die Mutter legte Wert auf Kultur. Daher seine spätere Liebe zum Theater. | |
Die Brüder haben sich gegenseitig erzogen. Dabei, so ist zu lesen, habe er | |
gelernt, sich zurückzunehmen und zu warten, bis er an die Reihe kam. | |
Als im Sommer 2010 der amtsmüde Bürgermeister Ole von Beust zurücktrat, | |
überließ Wersich dem CDU-Hardliner Christoph Ahlhaus die Nachfolge und | |
meldete zu spät eigene Ansprüche an. Hätte der Duzfreund mancher Grüner | |
sich getraut, vielleicht wäre Schwarz-Grün nicht kurz darauf zerbrochen. An | |
den Wunden dieses Bruchs leiden beide Parteien noch heute. | |
Ein heikles Thema sind die Kita-Gebühren. Sozialsenator Wersich verfügte | |
eine Erhöhung für die oberen Einkommen. Manch Grüner sah darin einen | |
Sabotageakt, auf der Protestwelle surfte Olaf Scholz ins Bürgermeisteramt. | |
Heute sagt Wersich, es sei damals ein Höhepunkt der Wirtschaftskrise | |
gewesen. Inzwischen habe die Stadt zwei Milliarden mehr im Etat, da hätte | |
auch er die Erhöhung zurückgenommen. Aber damit dringt er nicht durch. Und | |
wenige erinnern sich daran, dass es Schnieber-Jastram und später Wersich | |
waren, die den damals bundesweit einmaligen Kita-Platz-Anspruch für | |
berufstätige Eltern umsetzten. | |
## Schwieriger Spagat | |
Zuwanderung, Familienfreundlichkeit – Wersich gilt in der CDU als Linker, | |
und will mit Landeschef Marcus Weinberg den Landesverband zur modernen | |
Großstadtpartei machen. Zugleich versucht er, mit den Themen Verkehrs-Chaos | |
und innere Sicherheit zu punkten, fordert ein geschlossenes Heim für | |
kriminelle minderjährige Flüchtlinge. Doch die SPD kann die CDU damit nicht | |
rechts überholen, eher sahnt die AfD bei der Stimmungsmache ab. Und das | |
linksliberale Milieu, das in Hamburg die Mehrheit stellt, wird durch den | |
Spagat eher abgeschreckt. | |
Wird Wersich verheizt? Hat er den falschen Zeitpunkt erwischt? Einige | |
CDU-Abgeordnete treten nicht wieder an, aus beruflichen Gründen, wie es | |
heißt. Auch der Schulpolitiker Robert Heinemann verlässt das Parlament. Er | |
hat tröstende Worte. Von Beust habe auch mehrere Anläufe gebraucht. „Für | |
mich ist Wersich der Beste“, sagt Heinemann. „Wenn es diesmal nicht reichen | |
sollte, würde ich mich sehr freuen, wenn er in fünf Jahren erneut unser | |
Spitzenkandidat ist.“ Wäre dieser eloquente und intelligente Mann erst | |
Bürgermeister, „die Menschen würden ihn nach kurzer Zeit lieben“. | |
10 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Kaija Kutter | |
## TAGS | |
Verkehrspolitik | |
Dora Heyenn | |
Schwerpunkt AfD | |
Spitzenkandidaten | |
Wahl | |
Bürgerschaftswahl 2015 | |
FDP | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Hamburgs Bürgermeister über die Wahl: „Wir verbieten nicht das Autofahren“ | |
Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz verteidigt seine Flüchtlings-, Umwelt- | |
und Verkehrspolitik. Falls nötig möchte er mit den Grünen koalieren. | |
Hamburger Linkspartei vor der Wahl: Abschlusstour für Dora | |
Es ist kompliziert: In der Bürgerschaft hat sich Dora Heyenn | |
parteiübergreifend hohen Respekt erarbeitet. In den eigenen Reihen ist sie | |
umstritten. | |
Hamburger AfD vor der Wahl: Schills Erben und der nette Kruse | |
Die AfD könnte erstmals in ein westdeutsches Parlament einziehen. Ihr Chef | |
gibt sich moderat, andere Kandidaten sind alte Bekannte. | |
Hamburg-Wahl: linke Spitze: Die resolute Rektorin | |
Dora Heyenn ist das Gesicht der Linken in Hamburg. Sie wird ihre Partei | |
erneut in die Bürgerschaft führen, aber nie mit Olaf Scholz koalieren. | |
Hamburger SPD vor der Wahl: Regieren ist Normalzustand | |
Die SPD hat wieder zu ihrer natürlichen Rolle als Regierungspartei | |
gefunden. Dafür muss sie sich von Olaf Scholz sagen lassen, wo's langgeht. | |
Porträt der Grünen Katharina Fegebank: Ungeduldiges Wahlkampftier | |
Katharina Fegebank soll die Hamburger Grünen in eine Koalition mit der SPD | |
führen. Eigentlich zieht es sie aber aufs internationale Parkett. | |
Hoffnungsträgerin der Hamburger FDP: Der beste Mann | |
Katja Suding ist die personifizierte Hamburger FDP: Parteivorsitzende, | |
Fraktionschefin, Spitzenkandidatin. Ohne sie geht hier gar nichts – mit ihr | |
vielleicht alles. |