# taz.de -- Hamburgs Bürgermeister Olaf Scholz: Der Abräumer | |
> „Olaf denkt, Olaf lenkt – wir rudern“, beschreibt ein Genosse das System | |
> Scholz. Es ist ein Mix aus Merkels Pragmatismus und Schröders Wucht. | |
Bild: Durchregieren per Kurzmitteilung. Nicht nur bei der Handynutzung kopiert … | |
HAMBURG taz | „Chuzpe“ steht über dem Portal der Kammerspiele. Das ist der | |
Titel eines Theaterstücks, aber es passt zu diesem Sonntagvormittag. Olaf | |
Scholz ist der Stargast, eingeladen hat die Zeit in dies Wohnzimmer des | |
Hamburger Bürgertums im Uni-nahen Grindelviertel. | |
Zwei Wochen vor der Wahl könnte Hamburgs Erster Bürgermeister nach Umfragen | |
seine absolute Mehrheit verteidigen. Er zieht sich die Socken hoch und | |
grinst. Den ersten Applaus heimst er ein, als es um das Flüchtlingsheim | |
geht, das Anwohner ein paar hundert Meter weiter im Villenviertel | |
Harvestehude gerichtlich gestoppt haben. „Die überwältigende Mehrheit dort | |
ist für die Unterkunft“, sagt er. „Und wir werden die Entscheidung nicht | |
hinnehmen!“ | |
Dass er mit seiner Kita-Reform vor allem die Mittelschicht entlastet hat, | |
will Scholz hier gar nicht bestreiten. Er ist ein Pionier der Linie, nach | |
der die SPD sich künftig vor allem um die „arbeitende Mitte“ kümmern will. | |
Außerdem gebe es in Hamburg gar nicht genug Reiche, die man mit hohen | |
Beiträgen zur Finanzierung des Systems heranziehen könnte. „So schlimm sind | |
die Reichen gar nicht, und es gibt zu wenige davon in der Stadt“, fasst | |
Zeit-Herausgeber Josef Joffe zusammen. Scholz schmunzelt. Dann zitiert | |
Joffe noch den Industrieverband, der sich eine absolute SPD-Mehrheit | |
wünscht – „Sie sind der Genosse der Bosse!“ | |
Es schrödert gewaltig. Und natürlich stellen alle immer wieder die Frage: | |
Kann der Kanzler? Denn wann gab es das zuletzt, dass einer für die SPD eine | |
absolute Mehrheit holt? Sie vielleicht gar verteidigt? Dazu noch einer, der | |
Erfahrung als Parteivize und im Bundeskabinett mitbringt. Als | |
Bundesarbeitsminister setzte Scholz die Hartz-IV-Reformen um – und hat so | |
den Erfolg der Linken in Westdeutschland erst möglich gemacht. Heute nennt | |
er Die Linke eine „Schlechte-Laune-Partei“, genau wie die AfD. | |
## „Sie sind die Angela Merkel der SPD“ | |
Auch Joffe will auf die K-Frage hinaus, sagt aber: „Sie sind die Angela | |
Merkel der SPD.“ Er meint, wie Merkel sei Scholz in der falschen Partei; | |
seit Helmut Schmidt keine ganz schlechte Voraussetzung für einen Kanzler. | |
In der SPD ist der 56-Jährige einen weiten Weg gegangen: vom | |
Stamokap-Flügel der Jusos zum Darling der Handelskammer; vom engagierten | |
Arbeitsrechtler, der die Satzung der taz-Genossenschaft verfasste, zum | |
Arbeitgeberversteher; vom Altonaer Freigeist zum Brechmittelsenator. | |
2001 war er in letzter Minute an Bord geholt worden, um das sinkende | |
Schiff, seine Hamburger SPD, zu retten. Als Innensenator, der den | |
Rechtspopulisten Ronald Schill überflüssig machen sollte. Geklappt hat es | |
nicht, geblieben ist ein Trauma. Bis heute setzt Scholz auf beinharte | |
Innenpolitik. Keinen Millimeter weicht er zurück vor der Bewegung von | |
engagierten Christen bis zu Autonomen, die ein Bleiberecht für in Hamburg | |
gestrandete afrikanische Flüchtlinge erkämpfen will. | |
Noch als durch taz-Recherchen Menschenrechtsverletzungen in den | |
„Haasenburg“-Heimen bekannt wurden, bestand er auf die Notwendigkeit | |
solcher Einrichtungen. Und vor einem Jahr ließ er die Polizei gewähren, als | |
sie nach einem bis heute unbelegten Angriff auf die Davidwache St. Pauli | |
zum „Gefahrengebiet“ erklärte, in dem sie sich wie Besatzer aufführte. | |
## Eine zerrüttete SPD | |
Als Olaf Scholz seine Partei 2009 erneut retten musste, war sie in noch | |
erbärmlicherem Zustand: die dritte Wahlperiode in der Opposition, heillos | |
zerstritten. Bei einer Urwahl des Spitzenkandidaten waren die Wahlurnen | |
verschwunden. Im Bezirk Eimsbüttel hatten Genossen Wahlkampf gegen den | |
eigenen Bundestagskandidaten gemacht. Dann kam Scholz. | |
Über die taz ließ er wissen: „Wer bei mir Führung bestellt, muss wissen, | |
dass er sie dann auch bekommt.“ 15 Monate später holte die SPD mit 48 | |
Prozent die absolute Mehrheit. Seitdem herrscht fast schon gespenstische | |
Ruhe in der Partei. Wer etwas werden möchte, horcht erst mal, was Scholz | |
meint, bevor er etwas sagt. „Olaf denkt, Olaf lenkt – wir rudern“, | |
beschreibt es ein Genosse. | |
Wobei sich das Lenken häufig in kleinen Kurskorrekturen erschöpft: Was | |
Scholz auch mit der Kanzlerin gemein hat, ist, dass beiden der politische | |
Gestaltungswille abgesprochen wird. Keine „Vision für Hamburg“ habe Scholz | |
entwickelt, nörgelt die CDU. Bei Scholz lösen solche Vorwürfe tiefe | |
Zufriedenheit aus. Denn er hat sich ganz dem Machbaren verschrieben. Vor | |
vier Jahren trat er mit einem blutleeren Wahlprogramm an, das sich in dem | |
Satz zusammenfassen lässt: Wir wollen ordentlich regieren. Gemeint war: | |
anders als die schwarz-grünen Luftikusse mit ihren Luftschlössern. | |
## Albtraum Elbphilharmonie | |
Die größte Vision seines Amtsvorgängers Ole von Beust (CDU) hat Scholz | |
nächtelang den Schlaf geraubt: die still stehende | |
Elbphilharmonie-Baustelle. Scholz hat hunderte Seiten Verträge selbst | |
durchgeackert, sich mit dem Bauunternehmen zusammengesetzt und nochmal 200 | |
Millionen Euro extra springen lassen. Festpreis. Schlüsselfertig. Mit | |
Eröffnungstermin 11. Januar 2017. Bei der Jahreszahl kam Scholz kürzlich | |
ins Stottern, aber alle glaubten an einen gelungenen Witz statt an eine | |
erneute Verschiebung. | |
Typisch Scholz: Er nimmt Probleme wahr, taxiert sie: Ist es wichtig? Kann | |
es gelingen? Wenn zweimal ja, macht er es zur Chefsache, frisst sich durch | |
alle Akten – und entscheidet. Allein. Dann wird die Sache durchgezogen, | |
auflodernde Feuer werden zur Not mit säckeweise Geld erstickt. Wie bei | |
Hamburgs Einstieg in die schwächelnde Reederei Hapag-Lloyd: eine | |
Fehlentscheidung von Schwarz-Grün, die nur zu retten war, indem Scholz | |
nochmals Hunderte Millionen nachschoss. Dass Hamburg dennoch einen | |
Haushaltsüberschuss hat, ist der günstigen Konjunktur zu verdanken. Glück, | |
wie Scholz einräumt. | |
Konfliktfelder räumt Scholz systematisch ab. Den Volksentscheid für den | |
Rückkauf der Energienetze setzt sein Senat geräuschlos um – auch wenn er | |
nach Ansicht der Initiatoren viel zu viel Geld dafür bezahlt. Kurz vor der | |
Wahl bekommen die Krippen doch noch eine klitzekleine Personalaufstockung. | |
Als die Schlagzeilen über straffällige minderjährige Flüchtlinge nicht | |
aufhören, wird deren Heim handstreichartig geräumt; für die Handvoll | |
Übeltäter wird ein Containerlager im Gewerbegebiet hingestellt. Die CDU | |
beklagt sich über „Themenklau“. | |
## Scholz hat zu allem was zu sagen | |
Den Konservativen bleibt fast nur noch, gegen das | |
„Busbeschleunigungsprogramm“ zu stänkern, das – natürlich – erst mal | |
Baustellen bedeutet. „Aber in Wahrheit ist das ein Programm zur | |
Beschleunigung des Autoverkehrs“, lässt Scholz bei einer | |
Wahlkampfveranstaltung im wohlhabenden Hamburger Norden wissen. Die alte | |
Turnhalle im „Sasel-Haus“ ist voll, gut 300 Leute. Sie dürfen dem | |
Bürgermeister Fragen stellen: Jugendhäuser, TTIP, Fluglärm – Scholz hat zu | |
allem was zu sagen. | |
Als ein Bürger über Hochwasserschutzgebiete klagt, die Grundstückswerte | |
sinken lassen, sagt Scholz: „Ich hätte es vermisst, wenn Sie es nicht getan | |
hätten.“ Und dann erklärt er noch dreimal, dass die Stadt lediglich eine | |
EU-Richtlinie umsetzt. „Schließlich leben wir in einem Rechtsstaat. Und das | |
find ich gut.“ | |
Scholz mag diese Eins-zu-eins-Situationen. Da kann er mit Sachkenntnis | |
punkten. Er spricht konkret, bedächtig, in einfachen, kurzen Sätzen. Wie | |
Angela Merkel. Daran hat er hart gearbeitet. Verstärkt flicht er auch | |
Gefühlsäußerungen ein. „Es hat mich tief bewegt, als ich kürzlich 1.200 | |
Flüchtlingshelfer im Rathaus empfangen habe“, sagt er in Sasel. | |
## Den „Scholzomat“ ist er los | |
Es hat ihn viel Mühe gekostet, das Image vom „Scholzomaten“ loszuwerden, | |
der als SPD-Generalsekretär einst für das routinierte Absondern der immer | |
gleichen Politikerstanzen berüchtigt war. Die große Rede, das Zuspitzen, | |
das Vom-Podium-Donnern liegt ihm bis heute nicht. Deshalb gibt es auch | |
keine Bühne, nur einen Leinwand-Hintergrund, der grau in grau aussieht wie | |
der Beton einer sozialdemokratischen 60er-Jahre-Großsiedlung im Hamburger | |
Regen. | |
Dabei sind die für ihn eine Art Erbsünde seiner Partei. Als wichtigsten | |
Erfolg seiner Amtszeit sieht Scholz, dass 2014 erstmals über 6.000 neue | |
Wohnungen gebaut wurden, davon über 2.000 Sozialwohnungen. „Und zwar nicht | |
alle an einer Stelle“, sagt Scholz stolz. „Wenn Sie sich das auf der Karte | |
ansehen, das sehen Sie, dass die sich über alle Stadtteile verteilen.“ | |
Scholz ist, ein paar Tage vor der Wahl, im traditionellen Arbeiterquartier | |
Wilhelmsburg zu Gast. | |
Der Große Saal im Bürgerhaus ist nur zur Hälfte bestuhlt, viele Stühle sind | |
dennoch leer geblieben. Vielleicht 150 der 50.000 Wilhelmsburger sind | |
gekommen. Einer von ihnen ist nicht überzeugt von Sozialwohnungen „auf dem | |
Süllberg“, einer von Hamburgs vornehmsten Adressen. Die würden in | |
Wilhelmsburg doch dringender gebraucht. Was soll Scholz dazu sagen? Dass er | |
nicht möchte, dass sich Probleme weiterhin an einem Ort konzentrieren? Er | |
spricht lieber über Erfolge. Dass die Stadt hier die teuerste Schule von | |
ganz Hamburg hingestellt habe. Dass die Kitas zusätzliche Erzieher bekämen, | |
dort „wo die Bildungsbedingungen nicht ganz so doll sind“. | |
Ein Kinderarzt steht auf und sagt: „Die Kinder, die ich gern in der Kita | |
sähe, gehen da gar nicht hin.“ Die von der SPD eingeführte Beitragsfreiheit | |
für fünf Stunden täglich führe dazu, dass Kitas die Armen abweisen würden, | |
weil sie Acht-Stunden-Plätze besetzen müssten, um über die Runden zu | |
kommen. Scholz sagt, dafür, dass Kinder zu Hause blieben, sei auch das von | |
der Union eingeführte Betreuungsgeld verantwortlich, gegen das Hamburg in | |
Karlsruhe klage. „Und ich bin zuversichtlich, dass wir das gewinnen | |
werden.“ Für die Wilhelmsburger ist Karlsruhe heute weit weg; viel, viel | |
weiter noch als das Rathaus auf dem anderen Elbufer. Olaf Scholz hat sie an | |
diesem Abend nicht richtig zu fassen gekriegt. Sie sind vielleicht zu sehr | |
alte SPD-Klientel. | |
14 Feb 2015 | |
## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
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