# taz.de -- Reform des Verfassungsschutzes: Freibrief für extremistische Spitz… | |
> V-Leute sollen künftig nicht mehr bestraft werden, wenn sie szenetypische | |
> Delikte wie den Hitler-Gruß begehen. So will es die Bundesregierung. | |
Bild: Wenn das da oben ein V-Mann ist, darf der Polizist da unten weiter wegsch… | |
KARLSRUHE taz | V-Leute dürfen künftig bestimmte Straftaten begehen, ohne | |
Strafe befürchten zu müssen. Das ist die bemerkenswerteste Neuerung bei der | |
Reform des Verfassungsschutzes, die die Bundesregierung plant. | |
V-Leute (Vertrauensleute) sind Extremisten, die dem Verfassungsschutz gegen | |
Geld aus dem Innenleben ihrer Szene berichten. Wenn sie Straftaten | |
begingen, wurden sie bisher bestraft wie andere auch, jedenfalls offiziell. | |
Ihr Doppelleben konnte allenfalls strafmildernd berücksichtigt werden. Bei | |
geringfügigen Taten wurde das Verfahren oft wohl einfach eingestellt. | |
Doch nun soll es eine ausdrückliche Rechtfertigung für Straftaten im | |
Bundesverfassungsschutzgesetz geben. Anlass dafür ist ein Urteil des | |
Oberlandesgerichts Düsseldorf, das 2011 einen V-Mann des | |
Bundesnachrichtendienst wegen Mitgliedschafts in einer terroristischen | |
Vereinigung verurteilte. | |
Künftig machen sich V-Leute nicht mehr strafbar, wenn sie Mitglied in einer | |
kriminellen oder terroristischen Vereinigung sind, über die sie berichten | |
sollen. Auch wenn sie an der Fortführung einer verbotenen Vereinigung | |
mitwirken, handeln sie künftig rechtmäßig. | |
Spitzel dürfen zudem szenetypische Taten begehen, die nicht in Grundrechte | |
Dritter eingreifen, und notwendig sind, um in der Szene nicht aufzufallen. | |
Gemeint sind zum Beispiel Verstöße gegen das Vermummungsverbot auf | |
Demonstrationen, das Zeigen des Hitler-Grußes oder das Schwenken der | |
IS-Fahne. | |
Auch bei Taten, die in Grundrechte Dritter eingreifen, ist Straffreiheit | |
möglich, aber nicht generell. Bei Beleidigungen, Sachbeschädigungen oder | |
Körperverletzungen kann die Staatsanwaltschaft jederzeit das Verfahren | |
einstellen oder eine Anklage zurücknehmen. Voraussetzung ist wieder, dass | |
die Tat notwendig war, um in der Szene nicht aufzufallen. Zudem darf sie | |
„nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts | |
sein“. Dabei kann die Staatsanwaltschaft nur von Strafverfolgung absehen, | |
wenn im konkreten Fall maximal ein Jahr Freiheitsstrafe droht. | |
Diese Privilegien sollen künftig nicht nur für V-Leute gelten, sondern auch | |
für Verdeckte Mitarbeiter der Verfassungsschutzämter von Bund und Ländern. | |
Das sind Beamte, die unter einer Legende in die Szene eingeschleust werden, | |
um von dort zu berichten. Auch verdeckte Mitarbeiter und V-Leute des | |
Bundesnachrichtendienstes sollen künftig vor Strafverfolgung geschützt | |
werden. | |
25 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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