# taz.de -- Reform des Verfassungsschutzes: Folgen des Totalversagens | |
> Die Regierung will das Bundesamt stärken und den Einsatz von V-Leuten | |
> gesetzlich regeln. Scharfe Kritik kommt von Datenschützern und der | |
> Opposition. | |
Bild: Der Bundesinnenminister und seine Mannen wollen mal ordentlich aufräumen. | |
BERLIN taz | Als Konsequenz aus dem Versagen der Sicherheitsbehörden bei | |
der Mordserie des rechtsterroristischen NSU hat am Mittwoch die | |
Bundesregierung einen Gesetzentwurf zur Verfassungsschutzreform | |
beschlossen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) soll gestärkt, der | |
Austausch zwischen Bund und Ländern verbessert und der Einsatz von V-Leuten | |
erstmals gesetzlich geregelt werden. | |
„Damit folgen wir den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses“, sagte | |
Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU). „Dem Schock des Versagens | |
folgte die Entschlossenheit des Veränderns.“ Aus Sicht der Opposition zieht | |
die Regierung die falschen Konsequenzen aus dem NSU-Skandal. | |
Mit dem neuen Gesetz soll das BfV als Zentralstelle gestärkt werden. Es | |
soll die Zusammenarbeit der 17 Ämter der Ländern und des Bunds koordinieren | |
und den Informationsfluss sicherstellen. Ist es der Ansicht, ein Landesamt | |
beobachte eine gewaltbereite Gruppe nicht ausreichend, kann das BfV künftig | |
gegen den Willen des Landes dort aktiv werden. Das kritisiert der | |
rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD), derzeit | |
Vorsitzender der Innenministerkonferenz. „Wir sind als Länder für die | |
Polizei und den Verfassungsschutz zuständig“, sagte Lewentz. „An dieser | |
Aufteilung wollen wir auch in Zukunft festhalten.“ Viel Druckpotenzial | |
haben die Landesminister allerdings nicht: Der Bundesrat muss dem Gesetz | |
nicht zustimmen. | |
Weiter sieht der Gesetzentwurf vor, dass alle „relevanten Informationen“ | |
zwischen den Verfassungsschutzämtern ausgetauscht werden müssen. Bislang | |
mussten die Länder nur solche Daten an das Bundesamt melden, die nach ihrem | |
Ermessen für dieses erforderlich waren. In das Informationtionssystem Nadis | |
werden nicht nur die Personalien der Extremisten, sondern alle | |
Behördenerkenntnisse zu den einzelnen Personen eingespeist. Die | |
Bundesbeauftragte für Datenschutz, Andrea Voßhoff (CDU), sieht hier | |
„erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken“. Der Datenschutz bei den | |
Nachrichtendiensten werde aufgeweicht. | |
## Es gibt Ausnahmen | |
Zudem werden erstmals gesetzliche Grundlagen für das Anwerben und Führen | |
von V-Leuten geschaffen, also von Spitzeln aus extremistischen Szenen. | |
V-Leute müssen volljährig sein, sie dürfen nicht allein vom Geld des | |
Verfassungsschutzes abhängig und nicht als Straftäter verurteilt sein. | |
Allerdings sieht das Gesetz Ausnahmen vor. Als theoretisches Beispiel wird | |
gern ein Islamist bemüht, der in Syrien in den Dschihad gezogen ist und | |
dort straffällig wurde, aber bereit ist, dem Verfassungsschutz von | |
Anschlägsplänen in Deutschland zu berichten. V-Leute dürfen nach dem neuen | |
Gesetz Mitglied verbotener Organisationen sein und „szenetypische | |
Straftaten“ begehen“. | |
Grüne und Linke kritisieren die Reform scharf. „Der Entwurf gewährleistet | |
weiterhin keine ausreichende Koordination des Verfassungsschutzes von Bund | |
und Ländern, geschweige mit anderen Sicherheitsbehörden“, sagte Christian | |
Ströbele (Grüne). Die Ämter würden nicht voneinander wissen, ob und welche | |
V-Leute wo aktiv seien. Vor allem würden V-Leute nicht unabhängig und | |
parlamentarisch kontrolliert. Er fordert, den Verfassungsschutz aufzulösen | |
und neu zu starten. | |
„Die Bundesregierung möchte offenbar einen zentralen Inlandsgeheimdienst | |
und eine neue Sicherheitsarchitektur aufbauen, die vor allem auf | |
Datensammelei, Überwachung und V-Leute setzt“, kritisiert auch Jan Korte | |
(Die Linke). Das sei „nicht Verfassungsschutz, sondern das Gegenteil.“ | |
25 Mar 2015 | |
## AUTOREN | |
Sabine am Orde | |
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Tino Brandt | |
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