Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Neues IT-Sicherheitsgesetz: Vorratsdatenspeicherung plus Eins
> Mit einem neuen IT-Sicherheitsgesetz will die Regierung die Bürger
> angeblich besser beschützen. Profitieren wird vor allem das
> Innenministerium.
Bild: Auf diesem Bild zählt einiges zur kritischen Infrastruktur: Wer profitie…
BERLIN taz | Der Satz des Herrn Professors klingt nüchtern und kühl. „Der
Name des Gesetzes verspricht mehr als seine Regelungen einlösen“, sagt der
Mann mit dem schlanken Gesicht und den weißen, gepflegten Haaren. Prof. Dr
Alexander Roßnagel ist geladen, seines Zeichens Wirtschaftsrechtler an der
Universität Kassel, und vor dem Innenausschuss des Deutschen Bundestages
darf er nun also seine Einschätzung abgeben.
Es ist Montagnachmitag und heute geht es um ein Vorhaben, das nun wahrlich
jeden Menschen irgendwie betreffen könnte: Mit einem neuen
IT-Sicherheitsgesetz will die Bundesregierung für eine erhöhte Sicherheit
der Bürger im Internet sorgen. Allein eine Frage ist nach wie vor besonders
offen: Wie bitteschön geht das am besten?
Die Bundesregierung hat dazu einen Gesetzesentwurf vorgelegt, der derzeit
durch das Parlamentarische Verfahren geht. Allerdings: Fachleute sehen noch
zahlreiche Probleme ungelöst. Mit dem Gesetz könnte die Bundesregierung vor
allem eines stärken: Das Bundesinnenministerium und die ihm untergeordneten
Behörden.
Denn der Gesetzesentwurf sieht vor allem eine Stärkung des Bundesamts für
Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) mit Sitz in Bonn vor. Das macht
durchaus Sinn. Das BSI ist offiziell dafür zuständig, deutsche Behörden,
Unternehmen und Bürger möglichst gut vor digitalen Bedrohungen zu schützen.
## „Kritische Infrastruktur“
Dazu verfügt das BSI unter anderem über ein Lagezentrum, in dem die
deutsche Netzinfrastruktur gescannt wird und dem Unternehmen freiwillig
größere Hackerangriffe melden können. Mit dem IT-Sicherheitsgesetz soll
dieses Lagezentrum deutlich ausgebaut werden. Außerdem sollen mit einer
neuen Meldepflicht bestimmte Unternehmen gesetzlich dazu verpflichtet
werden, Vorkommnisse an das Lagezentrum zu melden, sobald „kritische
Infrastruktur“ in besonderem Ausmaß von Angriffen bedroht ist.
Kritik an dem Gesetz gibt es reichlich: So hält etwa der Chaos Computer
Club das Vorhaben für gänzlich ungeeignet, um die IT-Sicherheit in
Deutschland zu erhöhen. "Hier soll das Problem der IT-Sicherheit mit noch
mehr Bürokratie erschlagen werden, statt Ressourcen freizugeben für
produktive Sicherheitspolitik", sagte etwa CCC-Sprecher Linus Neumann bei
der Anhörung. Er fordert stattdessen mehr Mittel, um relevante
Sicherheitsstrukturen pro-aktiv untersuchen und auf Schwachstellen testen
zu können.
Auch die Gegenseite, der Bundesverband der Deutschen Industrie, steht dem
Gesetzentwurf skeptisch gegenüber. Unter anderem, weil darin nicht geregelt
wird, was „kritische Infrastruktur“ eigentlich sein soll. Eine
Verbandssprecherin sagte: „Viele Unternehmen wissen selbst nicht, ob sie
vom Gesetz betroffen sind oder nicht.“ Hintergrund ist, dass unklar ist,
wie sich juristisch definieren soll, welche Unternehmen „kritische
Infrastruktur“ vorhalten – oder auch nur Teil davon sind.
Klar ist dagegen, dass von dem Gesetz vor allem das Bundesinnenministerium
profitiert – und der Gesetzestext einige Lücken aufweist, die politisch
heikel und aus Grundrechtsperspektive durchaus beachtlich sind. Teil des
Gesetzes ist neben der Stärkung des ebenfalls dem Innenministerium
untergeordneten BSI unter anderem ein Stellenausbau beim Bundesamt für
Verfassungsschutz und beim Bundeskriminalamt (BKA). Auch das ist angesichts
der zunehmenden digitalen Bedrohungen noch keinesfalls abwegig.
## Nutzen aus der Kenntnis von Sicherheitslücken
Pikant ist jedoch, dass mit dem BSI durch die geplante Meldepflicht
ausgerechnet jene Stelle an die sensiblen Unternehmensdaten gelangt, in
deren Hauptsitz auch das Bundesamt für Verfassungsschutz, der deutsche
Auslandsgeheimdienst BND sowie das BKA mit eigenen Verbindungsbeamten am
Tisch sitzen. Diese Behörden könnten demnach möglicherweise auch für ganz
andere Vorhaben einen direkten Nutzen aus der Kenntnis von
Sicherheitslücken ziehen – weil sie ihrerseits nicht nur Gefahrenabwehr
betreiben, sondern auch selbst digitale Angriffe durchführen. Der
Gesetzesentwurf sieht unterdessen explizit vor, dass das BSI die
vorliegenden Daten an „die sonst zuständigen Behörden des Bundes zur
Erfüllung ihrer Aufgaben“ weiterreicht.
Was aber ist die Erfüllung der Aufgabe des Bundesamtes für
Verfassungsschutz? Und heißt dies nicht eigentlich: Anfallende Daten im
Lagezentrum könnten etwa vom BKA genutzt werden, um die eigene Spähsoftware
– Stichwort Staatstrojaner – weiterzuentwickeln?
Bedenken haben Juristen auch im Hinblick auf die geplante Speicherpraxis.
Denn das Gesetz sieht keine Löschungsfristen vor, sondern ermutigt
Unternehmen, etwaige Datenauswertungen lange vorzuhalten, um sie
gegebenenfalls zu weiteren Analysen heranzuziehen. Der Mann mit den weißen
Haaren, Professor Roßnagel, nennt das deshalb hochgradig bedenklich. Der
Gesetzesentwurf genüge nicht den höchstrichterlichen Vorgaben wie sie etwa
der Europäische Gerichtshof im Hinblick auf die Vorratsdatenspeicherung
formuliert hat.
Es ist heute noch ein anderer Rechtsprofessor gekommen. Er heißt Gerrit
Hornung und hält an der Universität Passau den Lehrstuhl für öffentliches
Recht, IT-Recht und Rechtsinformatik. Auch er hat Bedenken gegen diese
Uferlosigkeit – und hat auch ein Wort für sie. Er nennt sie eine „kleine
Vorratsdatenspeicherung“.
21 Apr 2015
## AUTOREN
Martin Kaul
## TAGS
Hackerangriff
Schwerpunkt Überwachung
BKA
BSI
Daten
Sicherheitsgesetz
Schwerpunkt Überwachung
Staatstrojaner
Schwerpunkt Überwachung
Wirtschaftsspionage
Datenschutz
Agenten
Datenschutz
Spionage
Schwerpunkt Chaos Computer Club
Hackerangriff
Schwerpunkt Angela Merkel
NSA-Affäre
NSA
## ARTIKEL ZUM THEMA
Große Koalition will den Staatstrojaner: Der Spion in deinem Handy
Telefone und Computer sollen zur Strafverfolgung mit Spionagesoftware
gehackt werden können. Die Technik dafür hat Grenzen – noch.
Spionagebehörde Zitis in Deutschland: Backdoor im Gesetz
Eine neue Spitzelbehörde soll für die Regierung Trojaner entwickeln und
Schutzlücken kaufen. Am Donnerstag kommt sie – durch die Hintertür.
Überwachung zwecks Terrorabwehr: BKA-Trojaner vor Gericht
Das Bundesverfassungsgericht verhandelt über die heimlichen
Online-Durchsuchungen durch das BKA. In der Praxis wurden sie fast nicht
angewandt.
NSA-Tricks vor Jahren von BND gemeldet: Die Regierung wusste Bescheid
Die Bundesregierung war seit Jahren über Versuche der NSA informiert, den
Bundesnachrichtendienst zur Wirtschaftsspionage zu benutzen.
Kritiker der Vorratsdatenspeicherung: „Heiko Maas hat gut verhandelt“
Johannes Fechner, rechtspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion,
rechnet mit der Zustimmung des SPD-Konvents zur Vorratsdatenspeicherung.
Hackerauflauf in Berlin: Codename Satzungsänderung
Seit Ex-Agenten, Whistleblower und Hacker Berlin als neues Mekka feiern,
treibt auch die Vereinsmeierei neue Blüten. Langsam wird es eng.
Reform des Verfassungsschutzes: Folgen des Totalversagens
Die Regierung will das Bundesamt stärken und den Einsatz von V-Leuten
gesetzlich regeln. Scharfe Kritik kommt von Datenschützern und der
Opposition.
Spionageverdacht im NSA-Ausschuss: Nach einer wahren Geschichte
Wurde das Kryptohandy des Vorsitzenden des NSA-Ausschusses gehackt? Das
Bundesamt für Informationssicherheit prüft den Fall.
Forderung des Chaos Computer Clubs: Verschlüsselt oder gar nicht
Immer wieder fordern konservative Politiker, verschlüsselte Kommunikation
für den Staat zugänglich zu machen. Nun schießt der Chaos Computer Club
zurück.
Digitale Sicherheit der Bundesregierung: Virtuell abgeschaltet
Ein Angriff hat die Internetseiten von Angela Merkel und dem Bundestag
stundenlang lahmgelegt. Eine prorussische Hackergruppe bekannte sich zu der
Aktion.
Blackberry kauft Merkelfon-Firma: In deutscher Hand
Blackberry kauft die Firma, die das „Kanzlerin-Handy“ mitentwickelte. Doch
Merkel will Kontrolle. Dafür wurde ein Anti-Spionagevertrag mit Blackberry
abgeschlossen.
Vodafone kaufte Datensaug-Firma: Schluuuurrrrp
Beim Anzapfen der Unterseekabel bekam der Geheimdienst GCHQ Hilfe. 70
Prozent der ausgeleiteten Datenmengen kamen über eine heutige
Vodafone-Tochter.
Deutsches Telekommunikationsnetz: Verdeckte Zugänge für NSA und GCHQ
Laut „Spiegel“ überwachen die angelsächsischen Geheimdienste den deutschen
Datenverkehr viel direkter als bisher gedacht. Auch die Telekom ist davon
betroffen.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.